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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.02.1900
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- Erscheinungsdatum
- 03.02.1900
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- Deutsch
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28, 3. Februar 1900. Nichtamtlicher Teil. 963 Der gegenwärtige englische Marineminister (erster Lord der Admiralität) ist nämlich ein Enkel des berühmten deutschen Verlegers Göschen in Leipzig, der im Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts auch Werke von Goethe, Schiller, Lessing, Wieland und anderen verlegte. Der Minister Goschen, wie er sich drüben schreibt, hatte die Deutschen sämtlich zu einem I-uuobsou eingeladen, und so wunderten wir eines Mittags um 1 Uhr gemeinschaftlich zu ihm, geführt von dem Präsi denten John Murray. Uns allen werden die Stunden, die wir bei Mr. Goschen zubringen durften, unvergeßlich bleiben; um einen großen runden, herrlich mit Frühlingsblumen ge schmückten Tisch saßen wir beim fröhlichen Mahle mit dem alten Herrn und seiner Familie in bunter Reihe. Es machte dem Gastgeber ersichtlich Freude, Landsleute und Beruss- genossen seiner Vorfahren bei sich zu sehen, er zeigte ein leb haftes Interesse für alles, was den deutschen Buchhandel betraf, erzählte uns auch, daß er eine Biographie seines Großvaters in englischer Sprache geschrieben habe, diese aber leider nicht vollenden könne, da er als vielbeschäftigter Minister nicht mehr die Zeit dazu finde. Die Abende brachte man in kleineren Kreisen regelmäßig als Gäste bei den Chefs der großen Londoner Firmen zu, wie Longmans, Macmillan, Low, Murray, Heinemann, und am letzten Kongreßtagc, Freitag, fand abends eine große Festlichkeit in der llluilädUI, dem Rathause der City, statt, bei der sich Gelegenheit bot, mit dem Lordmayor einen Hände druck zu wechseln. Es mochten an achthundert Personen sich in der mächtigen Empfangshalle bewegen, die 40 m lang, 15 m breit und 17 m hoch, in der fünfhundert Jahre alten Holzarchitektur bei blendendster elektrischer Beleuchtung einen wunderbar schönen Anblick bot. Ein reichbesetztes Büffet zog sich an der einen ganzen Längsseite des Raumes hin, und auch hier bot sich Gelegenheit, viele Berühmtheiten der englischen Gesellschaft in nächster Nähe zu sehen und den reichen Damenflor zu bewundern. Das Arrangement hatte in seiner Großartigkeit viel Ähnlichkeit mit dem Fest im Brüsseler Rathause. Zur Erholung nach der anstrengenden Woche wurde am Sonnabend ein gemeinsamer Ausflug nach Schloß Windsor unternommen, wo uns, in Abwesenheit der Königin, mit den übrigen Räumen im Innern des Schlosses, auch die Privat bibliothek der Königin gezeigt wurde, die sonst für das Publikum nicht zugänglich ist. Es sind dort die auserlesensten, seltensten Schätze an Handschriften und alten Drucken ge sammelt, ich sah z. B. das erste, mit Jahreszahl versehene gedruckte Buch, das berühmte Psaiterium von 1457 aus der Offizin von Frist und Schösser, das ich zuvor nie zu Gesicht bekommen hatte. Die zweite Ausgabe des Buches, vom Jahre 1459, hatte mir am Tage vorher Bernard Quaritch in London gezeigt, der dafür in seinem Kataloge einen Preis von 100090 ^ angesetzt hat. Danach kann man ungefähr auf den Wert der ungemein seltenen ersten Ausgabe des Windsor-Exeinplares schließen. Von der Schloßterrasse in Windsor bietet sich ein herr licher Ausblick auf die weite, liebliche Landschaft; man konnte sich kaum davon trennen, aber zuletzt mußte doch geschieden sein, nachdem die Photographen in üblicher Weise die Kon- gresststen gruppenweise ausgenommen hatten. Als wir oben aus einem Omnibus in London vom Bahnhof zum Hotel zurückfuhren, hatten wir einen sonderbaren Anblick, wie bei einem Faustkampfe auf der Straße eine Frau einen Mann regelrecht niederboxte. Solche Scenen von betrunkenen Weibern kann man am Sonnabend Abend in den Straßen von London öfters sehen. Um 4 Uhr beginnt nämlich schon die Sonntags ruhe, wobei das niedere Volk sich durch Betrinken aus die Freuden des Sonntags vorbereitet, die Weiber mehr noch als die Männer. Die Sonntagsruhe wurde mir am folgen den Tage noch handgreiflicher vor Augen gebracht. Ich war, weil man Sonntags in London absolut nichts unternehmen kann, mit einigen deutschen Kollegen aufs Land gefahren, nach Hampton-Court, Richmond und Kewgarden, den herr lichen königlichen Gärten. Bei einer Fahrt oben auf dem Omnibus hatten wir schon unser Vergnügen über die fröh lichen Mitreisenden, namentlich über ein junges Paar, das sich durch Ausgelassenheit hervorthat. Beim Absteigen vom Verdeck kletterte der Mann zuerst hinunter, dann war die Reihe an mir; als ich mich aber vom Platze erhob, faßte mich das junge Weib am Arm und meinte: luülo 8ir, lst ms go ürst, bsoauss mv üuslravck is alreaäzr cko^vustairs, auä, )'ou me«. Natürlich ließ ich ihr mit einem >»U rigüt, go ou« den Vortritt. Als nun aber die Person an mir vorbeiging, erhielt ich im Fluge mit einem »l tbaull von mv äsar«, einen derben Kuß von ihr, wonach sie sofort verschwand. Der Schnapsgeruch von meiner Backe verschwand leider nicht so schnell und die Hänselei der Kollegen noch viel weniger, sie hatten natürlich einen Hauptspaß an der Eroberung, die ich alter Knabe da oben gemacht haben sollte! Am andern Tage, Montag, trat ich die Rückreise an, aber nicht, wie auf der Hinreise, über Vlifsingen, sondern über Southampton, wo ich Passage auf dem von Amerika kommenden größten Bremer Lloyddampser »Kaiser Wilhelm der Große« nahm, und nach dreißigstündiger Fahrt in Bremer haven ankam. Dienstag früh ging ich an Bord und verlebte bei ruhiger See einen herrlichen Tag, der mir nach den Auf regungen der vorhergegangenen Woche wohlthat, er wirkte wunderbar erfrischend. Es war schöner Sonnenschein, spiegel glatte See und ein Leben ans dem Schiffe, von dem man bei uns am Lande sich nur schwer einen Begriff machen kann. Wir waren nahezu 1800 Menschen an Bord, davon entfielen auf die Besatzung allein 450 Mann, worunter 130 Stewards, 700 Kajüten-Passagiere und ebenso viele Zwischendecks-Passagiere, letztere meistens von Amerika zurück kehrende russische Auswandererfamilien. Und bei dieser Menge Menschen absolut kein Mangel an Platz, im Gegenteil, man konnte sich überall frei bewegen. Die Promenadendecks zu beiden Seiten waren je 300 Schritte lang, die Räume im Innern des Schiffs von einer Größe und Pracht der Aus stattung, die die der ersten Hotels am Lande weit übertrifft. Im Speisesaal hat man gar nicht den Eindruck, an Bord eines Schiffes zu sein, so groß und hoch ist er, da sein Oberlicht durch zwei Verdecks geht. Beim Dinner um 7 Uhr bedienten 80 Stewards in der Uniform des Lloyd unter dem Kommando des Oberstewards die mehrere hundert Köpfe starke Tisch gesellschaft; die Tafelmusik wurde durch die zehn Mann starke ausgezeichnete Schiffskapelle ausgeführt, Konzertprogramm und Speisekarten wurden täglich in der Schiffsdruckerei gedruckt. Natürlich ist eine große Schlächterei und Bäckerei an Bord, und es fehlt nicht an dem auserlesensten Gebäck und sonstigen Leckereien, wie Eis u. a. Morgens um 7 Uhr wurde aus Deck Reveille geblasen; um 8 Uhr gab es zum ersten Frühstück bei Kaffee, Thee, Chokolade, Bouillon und Kakao schon eine Auswahl von etwa zehn warmen Speisen, darunter Beefsteak, Fisch, Geflügel und Wild und hinterher täglich frische Erd beeren und Bananen. Um 1 Uhr zum Luncheon ebenso, und tagsüber liefen die Stewards fortwährend im Schiff umher und präsentierten Brötchen mit Caviar, Lachs und andere Delikatessen. Daß zu jeder Zeit die erlesensten echten Biere, wie Porter und Ale, auch Pilsener und diverse echte Münchener frisch vom Faß verschenkt wurden, ist selbstverständlich. Und wie behaglich war für die Nacht die Koje eingerichtet, und wie aufmerksam kam der Kajütsdicner jedem Wunsche ent gegen! Abends war überall blendend Helle elektrische Beleuch tung, herrliche Gemälde und geschnitzte Ledertapeten schmückten 1S9»
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