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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 13.02.1900
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- 1900-02-13
- Erscheinungsdatum
- 13.02.1900
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- Deutsch
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1238 Nichtamtlicher Teil. ^ 88, 13. Februar 1900. wissenschaftlicher und kriminalpolitischer Beziehung sonst so sehr sympathisiere, den ich aber auf diesem Gebiete ganz energisch bekämpfen muß, bei der ersten Lesung den Versuch gemacht hat, diese vagen Begriffe etwas mundgerechter zu machen. Herr Kollege Roeren hat den Begriff dahin zu definieren versucht, daß er meinte, ohne unsittlich zu sein, verletze das Scham- und Sittlichkeitsgesühl das Gemeine. Ja, Herr Kollege Roeren hat für einen dunklen Begriff noch einen viel dunkleren eingesetzt. Ich kann ihm einen klassischen Beweis dafür erbringen, wie vag, wie unbestimmt alle diese Ausdrücke sind. Ich habe hier aus der Schrift des bekannten Tübinger Stiftlers, des Aefthetikers Theodor Bischer — eines Mannes, von dem ich glaube, daß auch das Centrum Be denken gegen ihn nicht erheben kann —, in »Auch einer» Bd. II folgende wunderschöne Definition des Begriffes des »Gemeinen» gesunden. Es heißt da: Gewiß enthält das Geschlechtsleben reichen Stoff des Komischen. Es wäre abgeschmackt, diese Quelle für Lachen und Witz verpönen zu wollen. Wo fängt nun aber das Gemeine, das Wachtstubenmäßige an? was ist die Grenzlinie? Ich habe oft darüber nachgedacht, es ist schwer zu finden. Ungefähr so: das Gemeine beginnt, wo der Stoff nicht mehr durch zufälligen komischen Kontrast oder durch erzeugten Kontrast, das heißt durch Witz, verflüchtigt wird, sondern wo er als Stoff komffch interessant sein soll. Es muß ein Plus von komischem Kontrast oder Witz über den puren Stoff da sein. Nun, meine Herren, möchte ich Sie bitten, mir diese schwierige Definition zu wiederholen oder sie mir zu deuten. Dieses feine ästhetische Gefühl soll in Zukunft also unsere deutschen Gerichtssäle beherrschen!? (Sehr richtig! links.) Aber, meine Herren, das können Sie doch unter keinen Um ständen leugnen, daß leider unser deutscher Juristenstand — daran kann ich nichts ändern, ich mache ihm ausdrücklich auch keinen Vorwurf daraus — von der Kunst und der Aesthetik oft so viel versteht wie der Elephant vom Flötenblasen. (Große Heiterkeit.) Das läßt sich doch nicht leugnen. Woher soll ein Richter und Beamter, der in einer kleinen Stadt aufgewachsen ist, dann in eine kleine Universitätsstadt kam und endlich schließlich auch in einer kleinen Stadt praktizierte und dort angestellt wird, (Glocke des Präsidenten.) Präsident: Meine Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe! vn Müller (Meiningen), Abgeordneter: — — meine Herren, woher soll ein solcher Richter die ästhetischen und Kunstbegriffe lernen, wenn er vorher auf der Universität oder sonstwo nicht die geringsten Kunststudien gemacht hat? Ich wiederhole noch einmal: damit soll dem deutschen Richter stande absolut kein Vorwurf gemacht werden; aber die Tat sachen liegen leider vor. Meine Herren, bei solchen Verhältnissen können wir mit derartigen vagen und unbestimmten Begriffen, die wir in das Ermessen des Strafrichters geben, unmöglich etwas Gutes schaffen. Nun legt Herr Kollege Roeren auch ein besonderes Gewicht aus den Begriff »zu geschäftlichen Zwecken» und interpretiert dies in charakteristischer Weise dahin: »in gewissen loser Spekulation auf die leichte Erregbarkeit der Leidenschaft bei der Jugend». Ja, meine Herren, da muß ich doch sagen: das für den ganzen deutschen Kunsthandel auszusprechen, ist etwas sehr kühn, und es wird sich der deutsche reelle Kunst- Handel auch ganz entschieden dagegen wehren, daß er voll ständig in einen Topf mit Schundgeschäften geworfen wird. Es läßt sich aber aus der anderen Seite auch gar nicht leugnen, daß jeder Kunsthandel, auch der reellste, zu geschäft lichen Zwecken geschieht. Und, meine Herren, das ist es ja überhaupt, was wir an dem ganzen Paragraphen auszusetzen haben: wir fürchten eine Gefährdung des reellen, ernsten, deutschen Kunst handels und damit der deutschen Kunst selbst. (Sehr richtig! links.) Ich glaube nicht, daß die Herren vom Centrum ein besonderes Mitleid mit den Kunstschätzen, wie wir sie in Florenz, in den kapitolinischen Sammlungen oder im Nationalmuseum zu Neapel oder auch in Berlin, in Dresden oder München haben. Allein ich muß doch in gewisser Beziehung an Ihr Pietätsgefühl appellieren bezüglich der unsterblichen Kunstwerke, die wir im Vatikan haben. (Hört! hört! links und Heiterkeit.) Meine Herren, ich habe mir erlaubt, mir eine Liste auf zustellen über diejenigen Aktstudien und Aktgemälde aus dem Vatikan, welche in Tausenden und Abertausenden von Kopieen und Reproduktionen im deutschen Kunsthandel und vor allem im Berliner Kunsthandel erschienen sind Ich stelle dieses Verzeichnis hier Ihnen, die Sie ja zum größten Teil Kenner des Vatikans sind, sehr gern zur Verfügung; allein das werden Sie doch nicht leugnen, wenn Sie die Kunstschätze des Vatikans kennen, daß unter diesen Werken, die — ich wiederhole — auch in Tausenden von Reproduktionen ver breitet sind, eine sehr große Anzahl ist, welche Sie absolut nicht ohne weiteres als keusch bezeichnen können, die, wenn Sie sie vielleicht als keusch bezeichnen, weil Sie die Original stelle kennen, doch nicht jeder deutsche Richter als keusch bezeichnen wird. Meine Herren, bedenken Sie doch auch — ich will Ihnen bloß eine einzige historische Reminiscenz Vorhalten —, welche verschiedenen Anschauungen man selbst in den höchsten hierarchischen Kreisen über die Begriffe des Schamgefühls, des Sittlichkeitsgesühls, des Unzüchtigen u. s. w. hatte. Ich will Sie bloß an das eine Beispiel aus der Geschichte des Vatikans erinnern: Sie wissen alle, daß das »Jüngste Gericht» von Michelangelo ursprünglich im Aufträge des Papstes Clemens VII. gemalt war, und Sie wissen auch alle ganz genau, daß Papst Clemens VII. damals die Ausführung überwacht hat und nicht das geringste Unsittliche oder Un züchtige in der Ausführung durch Michelangelo sah. Sein Nachfolger, Paul IV., hatte ganz andere Anschauungen: er fand es so unzüchtig, daß er einen Maler beauftragte, das »Jüngste Gericht- mit jenen schändlichen Hosen zu versehen, die leider das Gemälde auch heute noch verunzieren. (Heiterkeit. Sehr gut! links.) Infolgedessen hat bekanntlich Paul IV. und der betreffende Künstler den Spottnamen »braZbsttons- (Hosenmaler) von den Italienern bekommen. (Heiterkeit.) Nun sage ich: wenn diese im höchsten Grade kunstverständigen Herren, diese Herren an der Spitze der Hierarchie, von denen ich wiederholt sehr gern zugebe, daß sie stets großes Kunst verständnis hatten, so diametral entgegengesetzte Anschauungen über Zucht und Sitte in der Kunst hatten, — wie können Sie dann, meine Herren, ohne weiteres einem deutschen Amts- oder Landrichter die Lösung solcher Fragen in einem derartigen Maße überlassen, wie Sie es hier im Gesetz wollen? (Sehr gut! links.) Meine Herren, dazu kommt aber noch, daß Sie sich einer großen llnlogik in dem ganzen Gesetz schuldig machen. Sie wissen ja ganz genau, daß Sie nicht so weit gehen können, daß Sie auch öffentliche Denkmäler u. s. w. unter das Gesetz bringen. Sie erlauben also, daß nackte Gestalten — ich erinnere nur an die hiesige Schloßbrücke, die mit Vorliebe vom Kollegen Bebel angeführt wird, und vor allem an die
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