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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.06.1909
- Strukturtyp
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- 1909-06-08
- Erscheinungsdatum
- 08.06.1909
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- Deutsch
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6838 «Ist-abl-tt >. I>. DItchn. v-chhx-d-I. Nichtamtlicher Teil. oV 129, 8. Juni 1909. Nichtamtlicher Teil. Schund- und unzüchtige Literatur. Von R. L. Prager. Einen Kampf gegen den Schmutz in Wort und Bild zu unterstützen, ist Angelegenheit eines jeden, der es mit seinem Volke gut meint. Ebenso wie für das Kind gerade das Beste gut genug ist, so soll man auch suchen, dem Volk das Beste zu vermitteln, was deutscher Geist geschaffen und gebildet hat. Theoretisch ist also alles entschiede» und keine Schwierigkeit zeigt sich, um so schwieriger ist aher die Handhabung. Freilich wird es geben und gibt es Vieles, was als Schmutz zu erkennen keine Mühe kostet, aber neben diesem Unzweifelhaften sind so mannig fache Übergänge, daß die Entscheidung schwer ist. Man muß sich hüten, den Geschmack des gebildeten Mannes oder der gebildeten Frau als alleinigen Maßstab zu nehmen, man muß lernen, was das Volk braucht, und was das Volk will, wenn es zum Lesen gebracht werden soll. Wenn man die reiche und schöne Literatur ansieht, die Deutschland sein nennt, und auf der anderen Seite die sogenannte Schundliteratur, so müßte es Wunder nehmen, daß es noch Leute gibt, die nach der letzteren greifen, wenn man nicht zugeben will, daß der Geschmack des Mindergebildeten eine kräftigere Kost verlangt. Denn es ist nicht die Billigkeit dieser Literatur, die ihren Erfolg verursacht. Bei der Auswahl, die allein Reclam und Hendel bieten, kann die gute Literatur in bezug auf Billigkeit den Wettbewerb mit der minderwertigen sehr wohl aufnehmen. So sind die sogenannten Schauerromane geradezu sündhaft teuer und die Käufer könnten sich für das für drei oder vier solcher Romane ausgewendete Geld schon eine recht nette Bibliothek bester Literatur zulegen. Auch die verschiedenen Versuche, die durch Vereine gemacht worden sind, gute Literatur ins Volk zu tragen, sind ge scheitert oder haben wenigstens nicht vermocht, der sogenannten schlechten Literatur das Feld abzugraben. Will man also wirkliche Erfolge erzielen, so wird man der Eigenart sdes Volkes doch etwas mehr nachgehen und die Volkspsyche studieren müssen, damit man im stande ist, ihr das Bessere in der Form zu geben, die es verlangt und in einer Fassung, die seinen Wunsch, zu lesen, anregt. Daß dies keine leichte Aufgabe ist, haben die mannigfachen, gescheiterten Versuche gezeigt. Einer gleichen Schwierigkeit begegnet man bei der Bekämpfung der Nick Carter- und ähnlicher Literatur. Auch hier gilt es nicht ein einfaches Verbieten, sondern ein Darreichen des Besseren in einer Forni, wie sie einmal der jugendliche Leser verlangt. Wenn je, ist bei dem Volk und bei der Jugend das vielverlachte Wort Scherls: »Vom Hinauslesen« am Platze. Ist nun bei der Bekämpfung der sogenannten Schundliteratur Vorsicht am Platze, will man nicht das Kind mit dem Bade aus- schütten, so ist eine noch größere gegenüber der sogenannten Unsittlich keit in Wort und Bild vonnöten. Hier kommt das Interesse von Kunst und Literatur in Frage, hier heißt es den Schutz des Volkes vor Entsittlichung in Einklang zu bringen mit dem Recht freien Schaffens des Schriftstellers und Künstlers. Denn an diesem ist das ganze Volk interessiert, von diesem hängt die Zukunft seiner Literatur und Kunst und damit recht eigentlich auch seiner sittlichen Entwicklung zu freien Menschen ab. Die geschlechtliche Moral ist eine wechselnde, die Prüderie die schlechteste Wahrerin der Sittlichkeit. Das Geschlechtliche ist ein so wichtiger Faktor in der Entwicklung, daß er weder ignoriert, »och weniger aus geschaltet werden kann, nicht im Leben des einzelnen, noch in dem der gesamten Menschheit, weder in Schriften, noch in der Kunst. Wo bliebe die Weltliteratur, wenn die Erotik ausgeschieden würde? Wohin käme der Schriftsteller, den sogenannte Sitten strenge zwänge, sie als nicht vorhanden zu betrachten? Noch heute gilt Horaz' Wort: »dknturam expellns kurca, tarnen usque recurret!« Im Berliner Tageblatt (Zeitgeist Nr. 12 vom 22. März 1909) behandelt Otto Julius Bierbaum diese hochwichtige Frage unter der Überschrift: »Zum Kapitel der Moral.« Auch er warnt davor, die berechtigte Sinnlichkeit, die Erotik, mit der gemeinen Spekulation auf die Sinnlichkeit in einen Topf zu werfen, er tritt ein für das Recht des Künstlers. »Aber echt oder unecht: die Erotik lebt in allen wirklichen Künstlern. Ohne sie gäbe es keine. Aber so groß ist die Macht der Moralpatienten, daß selbst von Goethe erotische Gedichte existieren, die in seinen Werken nicht existieren dürfen.« Bierbaum warnt die Künstler, »sür ihre Darstellungen sinnlicher Natur eine Art mildernder Umstände geltend zu machen, indem sie beteuern, es handle sich dabei lediglich um ästhetische Übungen; der menschliche Akt sei ein malerisches Problem, die Aussprache erotischer Gefühle und Zustände eine künstlerische Notwendigkeit aus diesem und jenem (nur nicht aus einem persönlichen) Grunde ... .- ». . . . Zu dieser Würde gehört nicht bloß, was die einen Moral, die anderen Idealismus nennen, sondern auch der Mut des Be kenntnisses zur Freude am Sinnlichen, der stärksten Quelle künst lerischer Anregung, die die Quelle allen Lebens ist.« Und ferner sagt er: »Bedenklich aber in höchstem Grade, eine Dekadenz erscheinung gefährlichster Art ist es, wenn Künstler, die kraft ihrer Sinnlichkeit, also aus ihrer reinsten Kraft, Sinnliches schaffen, hinterher ein unsauberes Gewissen an den Tag legen.« Aber auch Bierbaum verschließt sich nicht der Notwendigkeit der Pornographie entgegenzutreten, er bezeichnet sie »als Konter bande, gegen die sich die Mächte der Kultur abschließen müssen« — »mit bloßer Pornographie, die roh und ausschließlich nichts weiter im Auge hat, als die plumpe Darstellung von animalen Funktionen unter dem einzigen Gesichtswinkel der Spekulation ans rohe Gierigkeit.« Es herrscht also allgemeine Übereinstimmung, daß sowohl der »Schmutz» als auch die »Unsittlichkeit« beides in Wort und Bild im Interesse der Volkswohlfahrt zur Erhaltung eines gesunden und widerstandsfähigen Nachwuchses zu bekämpfen sei. Meinungs verschiedenheit zeigt sich erst da, wenn ein konkreter Fall vorliegt, wenn beurteilt werden soll, ob ein vorhandenes Erzeugnis zu bekämpfen ist oder ob ein berechtigtes literarisches oder künstlerisches Interesse zu schützen ist. Wie weit da die Meinungen auseinander gehen, hat der Kampf um die sogen. lex Heinze gezeigt. Soll Kunst und Literatur nicht geschädigt werden, so muß das Bestreben dahin gehen, Merksteine zu schaffen und Grenzwälle aufzuwersen, die Berechtigtes vom Verwerflichen trennen, die mit einem Wort Kunst und Literatur die Freiheit ihres Schaffens erhalten. Jeder, der uns solche Merksteine liefert, kann unseres Dankes gewiß sein. Jeder, der uns aufklärt: -Was ist unzüchtig? Was ist unsittlich? Was ist normal«, verdient gehört zu werden. Eine solche Aufklärung will uns Justizrat Or. Richard Wolfs geben in einer Schrift, die den eben erwähnten Titel hat?) Und gerade Wolfs ist um so befähigter und berechtigter, uns solche Aufklärung zu geben, als er selbst literarisch und künstlerisch begabt ist und in seiner Stellung als Anwalt reichlich Gelegen heit gehabt hat, sich praktisch mit diesen Fragen zu beschäftigen. In einer Einleitung weist Wolfs auf die Wichtigkeit des Buchhandels hin und aus die Schädigungen, die eine unrichtige Auslegung des 8 184 StrGB. ihm zuzusügen imstande ist. Deshalb muß die Auswahl der Personen, denen die Kontrolle des Buchhandels obliegt, eine sehr sorgfältige sein. Zu diesem Zwecke sei eine Zusammensetzung des Richterkollegiums anzustreben, derart, daß neben gelehrten Richtern auch Laien aus dem Stande der Buchhändler, der Künstler und des Volkes berufen würden *) Was ist unzüchtig? Was ist unsittlich? Was ist normal? Die Gefahren für den Buch- und Kunsthandel aus Z 184 des Reichsstrafgesetzbuchs. Von Justizrat l)r. Richard Wolfs. 8? Berlin 1909. Hermann Walther Verlagsb. G. I». b. H. 80 Seiten. Preis ^ 1.50.
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