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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.06.1909
- Strukturtyp
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- 1909-06-08
- Erscheinungsdatum
- 08.06.1909
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- Deutsch
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^ 129, 8. Juni 1909 Nichtamtlicher Teil. v«r,«»blatt,. d. DNchn. »uchh-nd-l. k 8 3 9 Die Urteile solcher Literatur- und Kunstrichterkollegien würden auch von dem Vertrauen des Volles getragen werden. »Die Sorge, daß der erlaubten Darstellung (des Sexuellen) allzuweite Grenzen gezogen werden könnten, hat dazu geführt, richterliche Schranken aufzurichten, welche der menschlichen Forschung Licht und Lust nehmen und das göttliche Prinzip der Natürlichkeit in einer Weise einengen, daß zwar dem Pietisten und der Prüderie gedient wird, nicht aber der natür- ichen Empfindung und dem reinen eklektischen Verstände». (S. 5.) »Solche gesetzgeberischen oder judikatorischen Fesseln führen zu einer Schädigung des Buch- und Kunsthandels .. . .« (S. 5.) Der Verfasser führt aus, daß gerade die Sittlichkeitsvereine den Zweck verfehlen, indem sie immer und immer wieder die allgemeine Aufmerksamkeit auf obige Bücher und Bilder lenken, und gerade dadurch die Lüsternheit schwacher und widerstands- unsähiger Menschen anregen, die ohne diese Tätigkeit der Sitt lichkeitsvereine von dergleichen niemals etwas erfahren hätten. So sehr man den ernstgemeinten Bestrebungen, Schädlichkeiten vom Volke abzuhalten, sympathisch gegenüberstehen mag, so sehr muß man die »Gefolgschaft naturfremder Anschauungen, als Eiferer für eine geradezu verwerfliche Prüderie, mit allem Nach druck bekämpfen«. (S. 7.) Die Judikatur, die durch derart äußerliche Momente beeinflußt, sich allmählich über den A 184 StrGB. bildet, »wird schließlich selbst für den völlig einwandfreien Buch- und Kuusthandel von ungeheurer Gefahr«. Bei der Interpretation des A 184, so wird ausgeführt, handelt es sich mehr wie bei irgend einer anderen gesetzlichen Bestimmung »um dehnbare Begriffe und Anschauungen, welche der Gesetzgeber nicht definiert und nicht definieren kann, sondern welche sich erst aus dem allgemeinen Volksbewußtsein heraus arbeiten«. Der Verfasser erwähnt die Anschauungen von Rosenkranz, dem bekannten Ästhetiker, der die Göttlichkeit der Natur betont und die Obszönität von Feigenblättern tadelt, die gerade die ent gegengesetzte Wirkung haben, als beabsichtigt ist, indem sie auf etwas aufmerksam machen, was gegenüber der Schönheit des Ganzen dem unverdorbenen Sinne nicht besonders ausgefallen wäre und die damit übereinstimmende Ansicht Goethes in Wilhelm Meisters Wanderjahren: »Der Mensch ohne Hülle ist eigentlich der Mensch. Dem Reinen ist alles rein, warum nicht die unmittelbare Absicht Gottes in der Natur? Aber vom Jahrhundert kann man dies nicht verlangen, ohne Feigenblätter kommt es nicht aus.« Die Schwierigkeit einer Urteilsfindung in derartigen Dingen beruht daraus, daß einmal mit dehnbaren Rechtssätzen zu arbeiten ist, dann aber auch, »weil der größte Teil derjenigen Angelegen heiten, welche vor sein Forum gelangt, je nach der Welt- und Sittenanschauung verschieden beurteilt werden kann«. Damit scheint einmal der Kernpunkt getroffen zu sein, der die Erklärung gibt, warum die große Menge derer, die ebenso für eine Erhaltung und Festigung der Sittlichkeit des Volkes cin- tretcn, sich trotzdem von den Bestrebungen der Sittlichkeitsvereine fernhalten. Als in Berlin der Sittlichkeitsverein von Herrn v. Leixner begründet wurde, wurde als Vorzug dieses Vereins genannt, daß er Personen aus allen Parteien, aus allen Religions- gesellschasten, aus allen Richtungen in seinen Reihen zu sehen wünsche. Mir schien dieses Programm gerade die Schwäche des Vereins zu bedeuten. Hinsichtlich der Auffassung des Begriffs Sittlichkeit ist die Weltanschauung des einzelnen so maßgebend, daß es schier unmöglich erscheint, in einem Vereine Leute der verschiedensten Weltauffassung zu dem Zwecke der Aufrechterhaltung der Sittlichkeit zu sammeln. Es läßt sich gerade in diesem Punkt die Goethesche freie menschheitliche Auffassung nicht vereinen mit der asketischen, die in der Betätigung natürlicher Triebe eine Erbsünde sieht, die bekämpft werden muß und schlechterdings nur geduldet wird, weil es eben ohne sie nicht geht. Wolfs betont ferner, daß die angeblichen Verfehlungen gegen Z 184 Abs. 1, die die Öffentlichkeit beschäftigen, in der weitaus größten Mehrzahl streitige Fälle umfassen. »Schriften zweifellos obszönen und straswürdigen Inhalts werden nur sehr selten zur Kognition des Richters kommen.« (S. 9.) »Zur Erkenntnis des Begriffes »unzüchtig« ist strengste Objektivität geboten, der eigene subjektive lüsterne Sinn ist bei der richterlichen Qualifizierung vollständig ausznschließen.« (S. 10.) Wolfs führt das mit erfrischender Impulsivität abgegebene Urteil des kürzlich verstorbenen Bildhauers Magnussen an, der auf die Frage des Verteidigers, ob jemand an den Abbildungen in dem Kunstwerk: ,Die Schönheit der Frau' Anstoß nehmen könne, geantwortet habe: »Nur ein Schmutzfink, der selber nicht sittlich rein sei, könne daran Anstoß nehmen». Und der Maler Weinehs in München beantwortete eine ähnliche Frage: »Die Unzüchtigkeit existiert lediglich im Gehirn des unzüchtigen Be schauers«. Im weiteren erörtert Wolfs den Begriff des »Unzüchtigen«. »Fast alle Gesetzgeber vermeiden eine Definition.« Das öster reichische Strafgesetzbuch vom 27. Mai 1852 definiert den Be griff »unzüchtig« (Z 500) durch Interpretation durch 8 516. Diese Interpretation lautet wörtlich: »Wer durch bildliche Darstellungen oder durch unzüchtige Handlungen die Sittlichkeit oder Schamhastigkeit gröblich oder auf eine öffentliches Ärgernis erregende Weise verletzt, macht sich einer Übertretung schuldig. »Wurde aber eine solche Verletzung durch Druckschriften begangen, so ist sie als ein Vergehen zu ahnden.« Interessant ist, daß das österreichische Gesetz die Verletzung der Schamhaftigkeit durch Bild als Übertretung, die durch eine Druckschrift aber als Vergehen ahndet, ein Grund hierfür ist nicht ersichtlich. In dem Entwurf von 1881 ist übrigens, wie auch im österreichischen Strafgesetzbuch, die Ankündigung unzüchtiger Schriften unter Strafe gestellt, was bei uns erst durch die Novelle vom 25. Juni 1900 geschehen ist. Einer absoluten Begriffserklärung steht schon »an sich die individuelle verschiedenartige Sittenanschauung entgegen«. Wolfs wendet sich zu der Judikatur und stellt fest, daß auch sie dem Buchhandel eine genügende Handhabe und Sicherheit des Betriebes nicht gäbe. Das Reichsgericht ist zu einer bestimmten Norm des Begriffes »unzüchtig» nicht gelaugt. Die Entscheidung Bd. 26 S. 373 will den Begriff »unzüchtig« dann annehmen, »wenn eine Schrift oder eine Abbildung objektiv ge eignet ist, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl des normal empfindenden Menschen in geschlechtlicher Beziehung (RGE. Bd. 27 S. 115; Bd. 31 S. 260) zu verletzen». »Das ist die mechanische .Formel', welche sich in der Recht sprechung des höchsten Gerichtshofes wie die Lösung einer mathematischen Ausgabe für den Begriff .unzüchtig' heraus gebildet hat.« Der Verfasser führt aus, wie »das Reichsgericht hier einen unbestimmten Begriff lediglich durch einen andern unbestimmten Begriff, der in seiner Kompliziertheit noch erheblichere Schwierigkeiten bei einer objektiven oder subjektiven Feststellung bereitet», ersetzt hat. Im nächsten Abschnitte beschäftigt sich Wolfs mit dem Be griffe: »normal». Daß nicht die Normalität des Z 51 StrGB. (Zurechnungssähigkeit) gemeint ist, ist klar, sondern das »in sexueller Beziehung normale Empfinden eines Menschen«. Auch die Norma lität im Gegensatz zu Z 175 StrGB. kann nicht gemeint sein. Ob die Verletzung eine »gröbliche» sein muß, ist vom Reichs gericht verschieden beantwortet worden. Als Fazit wird gezogen, daß das Reichsgericht den Begriff »normal» weder definieren kann noch will; cs überläßt dies dem Richter erster Instanz (Entsch. Bd. 32 S. 419). »Das Durchschnittsempfinden der Gesamtheit für Zucht und Sitte soll die Normalität sein«, der Richter »soll
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