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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 12.06.1902
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1902-06-12
- Erscheinungsdatum
- 12.06.1902
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
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4818 Nichtamtlicher Teil. ^>L 133, 12. Juni 1902. erlesen, auch internationale Mißstände zur Sprache zu bringen und es z B. in die Welt hinauszuposaunen, daß ein liebenswürdiger, englischer Tourist aus Reisen von Schaffnern und Hotelbediensteten eine Unbill erfahren hat, von einem Droschkenkutscher überteuert oder von seinen uncivili- siertcn Mitreisenden nicht gebührend berücksichtigt worden ist. Jedesmal, wenn London von einem ungewöhnlich dicken Nebel heimgesucht wird, laufen bei allen Zeitungen Zuschriften ein, welche diesen klimatischen Uebelstand be handeln, und um ihm abzuhelfen, die verschiedensten und oft die tollsten Mittel in Vorschlag bringen. Jedes größere Tagesereignis wird auf diese Weise besonders beleuchtet, und die Einsender haben dann die kleine Freude, ihren vollen Namen in Druck zu sehe». Manche derartige Mit teilungen erscheinen ohne Unterschrift, doch werden Name und Adresse dem Redakteur zugestellt, nicht um nötiger- weise veröffentlicht zu werden, sondern als Zeichen »guten Glaubens- (zooä 1?Litl>), wie er oft betont; anonyme Zu schriften dagegen bleiben unberücksichtigt. Viele Zeitschriften leichteren Inhaltes erfreuen sich einer großen Beliebtheit durch die Anekdoten, welche sie regelmäßig bringen. Um nun ihren Leser» ohne Unterbrechung heitere Augenblicke zu verschaffen und einer humoristischen Ebbe vorzubeugen, muß wiederum das Publikum mithelsen. In solchen Fällen werden Preise ausgeschrieben für die drei besten Anekdoten, welche bis zu gewissem Datum einzusenden sind, und Checks über ein, zwei oder drei Pfund werden regelmäßig jede Woche ausgestellt, bis nach einiger Zeit eine genügende Anzahl komischer Geschichten eingelaufen und die in Frage stehende Zeitschrift auf ein Jahrzehnt mit einem reichlichen Anekdotcnvorrat sich versehen hat. In Deutschland sind die Zeitverhältnisse anders, Methoden wie die soeben erwähnten unbekannt, und wir haben auch nicht über solche Reichtümer zu verfügen wie die Engländer; ausländische Korrespondenten können sich nur die wenigsten Blätter halten, und das Honorar der Zeitungs schreiber und -Verleger ist auch in den günstigsten Fällen ein mäßiges. Dazu kommt, daß die deutschen Preßgesetze den Journalisten hüben nicht dieselben Freiheiten gestatten, wie die englischen drüben den werten Kollegen. Allein trotz dieser Schattenseiten mangelt es bei uns nicht an Zeitschriften jeder Art, und deutsche Federn machen es möglich, auch für geringe Bezahlung tüchtiges zu leisten. Und wie im Kampfe der Mensch erstarkt und oft ungeahnte Eigenschaften zeigt, so haben deutsche Litteraten trotz ihrer gefesselten Hände es zu einer solchen Schreibgewandtheit gebracht, daß die lieben überseeischen Vettern, die sich doch keinerlei Zwang anzuthun brauchen, nur von ihnen lernen können. Es hat eben alles seine zwei Seiten; nicht alle Menschen ertragen eine unbedingte Freiheit, am aller wenigsten die Zeitungsschreiber. Unter allen Umständen den Mut seiner Meinung zu haben und demgemäß nach allen Richtungen hin eine rücksichtslose Kritik auszuüben, ist gewiß empfehlenswert, namentlich in einem demokratischen Lande, wo jedem sein Recht werden soll; aber die Durch schnittsbildung unsers Jahrhunderts verlangt, daß dies vor allem in civilisierter Sprache geschehe und die Maximen befolgt werden, wie sie Boileau, freilich a la Schulmeister, den französischen Federn schon vor über zweihundert Jahren gegeben hat: Lnrtont guov vos svrits I» laugus rsvsrss Oanr V08 plus Araväs sxoss V0U8 soit tovjovrs saorss. Aber nicht alle englischen Zeitungsschreiber binden sich an die Regeln der Rhetorik und des guten Geschmacks, sondern wenn es ihnen in den Sinn kommt und ihr Blut in Wallung gerät, so genieren sie sich nicht, Metaphern zu gebrauchen, die im gewöhnlichen Leben Schimpfwörter sind. Eine absolute Preßfreiheit erlaubt ihnen jede Stilblüte und gestattet ihnen, den Premierminister Gladstone ein hysterisches altes Krokodil zu nennen. Diese nette Redewendung habe ich nicht auS der Luft gegriffen, noch sie einer Zeitung entnommen, die für einen halben Penny käuflich ist und nicht immer sehr wählerische Leser hat, sondern sie stammt aus einer teuren Wochenschrift, welche in ihrer Art erstell Ranges ist und hauptsächlich von der reichen Aristokratie gelesen wird. Dieses b^storivol olä erooockilo ist nur eine ganz kleine Probe der Geschmacksrichtung und des litte- rarischen Kalibers dieser Zeitschrift; folgende Kleinigkeit dürfte ebenfalls charakteristisch für beides sein: Ein junger Mann, der eine alte Frau auf die brutalste Weise ermordet und dann beraubt hatte, wurde zum Tode verurteilt. Obige Wochenschrift brachte ihren Lesern diese Mitteilung mit dem Vorschläge, doch um die Begnadigung dieses Mörders zu petitionieren und die Königin zu bitten, ihn zum Premier minister zu machen und diesen letzteren dafür zu hängen.- Dieses wertvolle Blatt gehört zu den sogenannten Ge sellschaftsjournalen, einer Gattung, wofür wir in Deutsch land glücklicherweise noch keine Parallele haben, die aber augenblicklich in England so floriert, so allgemein gelesen wird, daß man berechtigt ist, aus diesem Umstande einige Schlüsse zu ziehen. Es heißt zwar: »Sage mir, mit wem du umgehst, und ich werde dir sagen, wer du bist» jedoch rich tiger wäre es in unserem Zeitalter der flüchtigen Bekannt schaften und des oberflächlichen Verkehrs, wenn bei der allgemeinen Vielbelesenheit es statt dessen hieße: «Nenne mir die Bücher und Schriften, die du gerne liesest, und ich werde dir sagen, wes Geistes Kind du bist.- Die Beliebt heit nun, welcher die Gesellschastsjournale, deren Lektüre im günstigsten Falle nur verflachend wirken kann, sich in England so allgemein erfreue», wirft eigentümliche Streif lichter auf eine gebildete Leserwelt, denn hier mehr als anderswo dürfte man sagen: »lös äamvväst eansss tbo/ suppig». Die allseitige Nachfrage aber nach einer geistigen Nahrung, wie die Gesellschaftsjournale sie bieten, hat ein ganzes Heer dieser Zeitungen ins Leben gerufen und in England einen besonder» Zweig in der Tageslitteratur geschaffen. Ursprünglich stammen diese Society Usxors, wenigstens der Form nach, aus Amerika; sie haben vor allen Dingen den Zweck, das Thun und Treiben der »oberen Zehntausend», wie die vornehme Gesellschaft in England gern genannt sein will, zu beleuchten, Privatexistenzen an die Oeffentlichkeit zu ziehen, Skandalgeschichten durch Einzelheiten, welche der Redaktion durch die Hinterthür zugehen, so skandalös und pikant wie möglich zu machen und jedem Geklatsch willig Vorschub zu leisten. Politisch haben diese Zeitungen keine Bedeutung, obwohl sie alle politische Artikel bringen und gern Enten in die Welt schicken; ihr Haupterwerbszweig aber bleibt la obromguo seallckklouso und die darauf bezüg lichen, stark gepfefferten und daher die Neugierde prickeln den Aphorismen Der Ehrenplatz unter diesen litterarischen Erzeugnissen gebührt Vovitx k?air, teils seiner Seniorität, teils des hohen Kaufpreises wegen, welcher letztere Umstand den Abonnentenkreis zu einem auserlesenen machen muß. Es bringt als jedesmalige Beigabe die von bedeutender Künstlerhand gezeichnete kolorierte Karikalur mit dabei folgen der kurzer Lebensskizze irgend einer bekannten Persönlichkeit, und viele Menschen halten sich diese Zeitschrift überhaupt nur wegen dieser Karikaturen, wovon ganze Jahrgänge ein gebunden in vielen Häusern zu finden sind. Beim Durch blättern einiger Bände kam ich auch aus das Bild aus dem Jahre 1870 vom Kaiser Wilhelm I., der als Menschen fresser abgebildet ist und sich bei seiner Lieblingskost gütlich thut. Selbstredend ist dieses Journal keavlioxtäl, nitrator^ und, wie alle Zeitungen dieser letzten Richtung, maßlos in seinen Auslassungen über die Gegenpartei.
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