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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.12.1910
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- 1910-12-27
- Erscheinungsdatum
- 27.12.1910
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- Deutsch
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(Zietsch) der Kommissionsarbeiten ihre Stellung abhängig, denn die Vor lage hat viele Bedenken gegen sich. Sie trifft nicht nur das wirkliche Kurpfuschertum und den Schwindel mit Geheimmitteln, sondern reicht weit darüber hinaus. Wenn das Gesetz den Geheimmittelschwindel beschränken will, müssen auch die Geheim mittel verboten werden, die von approbierten Personen in den Verkehr gebracht und denen zahlreiche Gutachten von Ärzten bei gegeben werden. Zu weit geht es, daß auch der Geheimmittel bezug aus dem Auslande bestraft werden soll. Zunächst müßte einmal für den Begriff des Geheimmittels eine Deklaration ge funden werden; die fehlt im Gesetzentwurf. Nach der Gerichts- Praxis werden darunter namentlich solche Mittel verstanden, die mit einem geheimnisvollen Charakter verbunden sind; das gilt aber auch für die lateinischen Rezepte der Ärzte. Gesundheits schädlich können auch offiziell anerkannte Heilmittel sein; weite Volkskreise sind sich z. B. darüber einig, daß das Jmpfmittel ge- sundheitsschädlich ist. Die Vorlage verbietet auch Mittel zur Be seitigung der Schwangerschaft oder Verhütung der Konzeption. Daran hat der Reichstag in allen früheren Verhandlungen noch nicht gedacht. Zur Verfolgung der Verbrechen gegen das keimende Leben genügen schon die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen; durch die Presse ist z. B. der Fall gegangen, daß eine weibliche Person wegen dieses Verbrechens bestraft wurde, weil sie ein Glas Glühwein getrunken hatte. Es kam also für das Gericht nicht auf die Schädlichkeit des Mittels, sondern auf den Willen an, mit dem es genommen war. Die Verhütung der Kon zeption, die bisher als erlaubt gilt, soll bedingterweise unter Strafe gestellt werden, wenn man nämlich sich die Mittel dazu verschafft. Die Begründung rechtfertigt dies damit, daß die volkswirtschaftlichen Verhältnisse durch den Stillstand der Ziffer des Geburtenüberschusses bedroht seien; ich meine um- gekehrt, die volkswirtschaftlichen Verhältnisse sind an der stehen bleibenden Geburtsziffer schuld. Der Stillstand zeigt sich namentlich in den höheren Klassen; viele Männer, die in den heiligen Ehestand treten, haben gar nicht mehr nötig, sich konzeptionsverhütende Mittel zu verschaffen. Für die Arbeiter dagegen empfahl Frau von Vopelius die Wasser bütte, und Fürst Bülow sprach von den polnischen Karnickeln. Die ärmeren Kreise sollten erst einmal in den Stand gesetzt werden, freudigen Familienereignissen ohne Sorge entgegensetzen zu können. Gefährlich ist die Blankovollmacht, die in weitem Maße dem Bundesrat erteilt wird. Die verbündeten Regierungen scheinen bei der Vorlage von der Anschauung ausgegangen zu sein, daß jede nichtapprobierte Person Kurpfuscher ist. Eine solche An schauung mag vom Standpunkte der Arzte berechtigt fein, aber die Regierung hat mit Rücksicht auf die durch die Gewerbeordnung eingeräumte Kurierfreiheit sich solcher beschimpfenden Bezeichnung zu enthalten. Auch in der Reichsregierung sind Personen an die höchsten Stellen gekommen, die nicht über die Sprossen der Beamtenleiter hinaufgeklettert sind. Man will hier die Kurier freiheit vollständig totschlagen, die Ausübung jeder nichtärztlichen Praxis unmöglich machen. Denn jeder nichtapprobierte Kranken behandler soll in das zu führende Krankenjournal Namen, Wohnung usw. des Patienten eintragen. Mit Beziehung hierauf heißt es in der Begründung, daß, wenn durch die Unmöglichkeit einer Erfüllung dieser Vorschrift Patienten veranlaßt werden, nicht zu einem Kurpfuscher zu gehen, dies zu begrüßen sei. Was im Gesetz steht, ist entstanden durch die Wünsche der organisierten Arzte. Diese führen den Kampf gegen die Nichtärzte nicht erst seit heute und gestern. Von jeher haben sie sich gegen die Konkurrenz gewehrt; das zeigt ihre Agitation gegen die Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium und gegen die Zahntechniker, vor allem aber ihr Verhalten gegen die Krankenkassen. Haben die Arzte, die jetzt das Wort von der notwendigen Erhaltung der Volksgesundheit im Munde führen, auch im Interesse der Volks gesundheit gehandelt, als sie bei ihrem Streik gegen die Kranken kassen die ärztliche Hilfeleistung versagten? Wir machen den Kampf gegen das wirkliche Kurpfuschertum mit, aber es müssen ent sprechende Korrelate gefordert werden. Nach dem alten Gesetz von 1861 wurde jede Medizinalperson, die die Ausübung der Heilkunde verweigerte, mit Geldstrafe bis zu 200 Talern bestraft, selbst wenn durch die Weigerung kein Schade erwachsen war. Diesen Kurier zwang sollte man jetzt wieder einführen. Es müßte dafür gesorgt Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. lZieisch) werden, daß der Landflucht der Ärzte Einhalt getan wird. Um die Entwicklung der segensreichen Naturheilkunde, die schon bis in die weitesten Kreise des Volkes hineingedrungen ist, zu fördern, sollte die Naturheilkunde an den Hochschulen gelehrt werden. Wenn man das alles täte, würden freilich auch die Herren Arzte auf das Gesetz pfeifen. Ferner gibt es in den Volksschulen noch überflüssige Lehrgegenstände, die man lieber ersetzen sollte durch Unterricht, der das Volk über die Erhaltung der Gesundheit auf klärt. Dann wird in einem gesunden Körper eine gesunde Seele wohnen. Abgeordneter Müller-Meiningen (fortschr. Volksp.): Meine politischen Freunde stehen dem Grundgedanken dieses Gesetzes, dem Kampf gegen den Schwindel und der Ersetzung der poli zeilichen Willkür durch Schaffung von Rechtsgarantien, sympathisch gegenüber. Wir haben selbst wiederholt eine gesetzliche Regelung dieser Materie durch Anträge angeregt. Es erscheint mir aber die Frage gerechtfertigt, ob der Zeitpunkt zur Einbringung einer derartigen Gesetzesvorlage ein glücklicher ist. Wir können doch von seiten des Bundesrats und der Reichsregierung eine gewisse Rücksicht auf unsere geschäftliche Lage verlangen. Es ist keine glückliche Taktik der Regierung, daß sie uns im letzten Abschnitt der letzten Session noch eine Reihe von so strittigen und schwie rigen Vorlagen macht. Dabei könnte sehr leicht eine legis latorische Kurpfuscherei entstehen, die tatsächlich die weitesten Kreise an ihrem Körper spüren könnten. Man hätte sich auf diejenigen Vorlagen beschränken sollen, die in Zusammen hang stehen mit der Justizgesetzgebung und der Arbeiter versicherungsordnung. Was den ersten Teil der Vorlage betrifft, so läßt sich nicht leugnen, daß das Kurpfuschertum auf einzelnen Gebieten häßliche Dimensionen angenommen hat, namentlich auf dem Gebiet der Fruchtabtreibung und der Geschlechtskrankheiten. Hier hat die Regierung sich auf einen richtigen Standpunkt gestellt. Es fragt sich aber, ob die vor geschlagenen gesetzlichen Mittel die richtigen sind, um die tat sächlich vorhandenen Mißstände zu bekämpfen, und ob nicht durch das Gesetz die notwendigen Rechtsgarantien verletzt werden. Diese beiden Fragen wird die Kommission ernsthaft zu prüfen haben. Beide Teile der Vorlage leiden vor allem an einem Mangel, an der vollkommenen Überschätzung der Zuständigkeit des Bundesrats. Wir müssen diesem Bestreben des Bundesrats, das auch sonst hervorgetreten ist, mit aller Schärfe begegnen. Von diesem Gesichtspunkte aus gehen vor allem die §§ 3 und 6 dieser Vorlage viel zu weit. § 3 trifft im wesentlichen das Richtige. Anderseits muß man schon jetzt anerkennen, daß der deutsche Richter dadurch vor geradezu unlösbare Aufgaben gestellt wird. Durch das Verbot des »mystischen Verfahrens« werden große psychologische und pathologische Probleme aufgex-^r, die weit über das hinausgehen, was der Richter überhaupt zu be urteilen befähigt ist. Im Gegens"^ zu dem Abgeordneten Henning muß ich aber der Genugtuung Ausdruck geben, daß hier einmal der Versuch gemacht wird, den Unfug des Gesundbetens zu bekämpfen, der vor allem die obersten Zehntausend ergriffen hat. Die Ausführungen des Abgeordneten Faßbender haben gezeigt, wie kolossal schwierig das Grenzgebiet des Transzenden talen ist. Es würde auch das autoritative suggestive Verfahren zu dem mystischen Verfahren gehören, und die Entscheidung hierüber muß natürlich der Judikatur die allergrößten Schwierig keiten bereiten. Erfreulich ist es, daß durch dieses Gesetz der Stand der Dentisten nicht unterdrückt werden kann. Die Be stimmungen des zweiten Teiles der Vorlage, vor allem § 6, sind in der vorliegenden Fassung für uns geradezu unannehm bar. Daß auf dem Gebiete des Geheimmittelunwesens eine gesetzliche Neuordnung dringend notwendig ist, erkennen wir ohne weiteres an. Die Bundesratsbeschlüsse von 1903 und 1907 sind geradezu Dokumente bureaukratischer Willkür, sie sind ungesetzlich, verstoßen gegen das Reichspreßgesetz. Es ist doch ein Unikum der Reichsgesetzgebung, daß auf der einen Seite es erlaubt ist, gewisse Mittel zu verkaufen, auf der anderen Seite aber verboten ist, sie anzukündigen. Die Folge dieser unsinnigen Be stimmung war, daß sich eine Industrie von Falsifikaten gebildet hat, nicht bloß im Lande, sondern vor allem an den Grenzen des Reiches, die unserer chemischen pharmazeutischen In dustrie einen unlauteren Wettbewerb gefährlichster Art gemacht 2055
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