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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.05.1908
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1908-05-29
- Erscheinungsdatum
- 29.05.1908
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
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5966 Börsenblatt s. d. DttSn. «uchh-ndrl. Nichtamtlicher Teil. 123, 29. Mai 1S08, ^ guoi dov? — Die Antwort auf diese Frage hätte eigentlich Herrn Brütt stutzig machen sollen. Nämlich über den Eisenbahn fiskus, über die Zeitungen und über daS Publikum wünschte der Herr Geheimrat mit dem Anträge seine väterliche Tutel zu strecken, die selbstverständlich — das sei von vornherein bemerkt! — aus der besten väterlichen Absicht angeboten wurde. Und was geschah? Der CisenbahnfiSkus lehnte schon in derselben Sitzung durch seinen Vertreter, Herrn Geheimrat Offenberg, die Brüttsche Für sorge ziemlich energisch ab, und die Presse bekreuzte sich mit einer Einmütigkeit, die mein kollegiales Herz höher schlagen ließ, vor dem Antrag und rief erschrocken die Regierung um Schutz an vor ihrem Schützer. Herr Brütt will also erstens das finanzielle Gewissen des Eisenbahnfiskus stärken. Der Kasus macht mich lachen. Des preußischen Eisenbahnfiskus, der heute der schärfste, smarteste Ge schäftsmann im Deutschen Reiche ist! Was brachte er vor? Die Verträge mit den heutigen Eisenbahnbuchhändlern seien über haupt nicht befristet, die Verwaltung habe sich nur ihre Kündigung Vorbehalten, wer aber die Verwaltung kennt, der wisse, daß das in ihr wohnende -Beharrungsvermögen- ohne eine treibende Kraft (wie z. B. die des Herrn Brütt) sie zur Kündigung unlustig mache, daß daher die beneidenswerten Kon trahenten der Eisenbahnverwaltung z. B. zehn Jahre lang in ihren Verträgen säßen, zehn Jahre lang also ihre niedrige Pacht zahlten und deshalb die hohen Gewinne einstrichen, die ihnen er wüchsen infolge der außerordentlichen Steigerung des Personen verkehrs während dieser zehn Jahre. Welch ein Argument! Kühl erwiderte der Regierungsoertreter: Jawohl, unsere Verträge sind nicht befristet; jawohl, die Regierung hat ein jederzeit auszu- Lbendes Kündigungsrecht — es ist hier ein viertel, da ein halb jährliches —, und dies Kündigungsrecht brauchen wir nicht dazu, um die Buchhändler alle drei Jahre zu steigern, — nein, wir steigern sie alle Jahre: 1901 haben wir ihnen 113000 1905 193000 1908 278 000 abgenommen. Und dabei haben wir den Vorteil, die Leute genau zu kennen und zu wissen, wie viel wir ihnen abnehmen können. — Man sieht, wie groß auch das »Beharrungs vermögen- des preußischen Eisenbahnfiskus sonst sein mag, Geld zu nehmen, soviel Geld, als er kriegen kann, daran hat es ihn noch nie verhindert. Aber der preußische Eisenbahnfiskus hat auch seine Erfahrungen gesammelt. Er hat cs schmerzlich genug empfunden, was für eine angenehme Handelschaft er sich aufhalst auf dem Wege der öffentlichen Ausbietung durch kurzfristige Verträge mit unkontrollierbaren Meistbietenden, die mit ihrem Vertrage Raubbau treiben. Er hat diese trüben Erfahrungen auch vor dem Abgeordnetenhause nicht verheimlicht. Da hat er denn, im Sinne eines erfahrenen, weitsichtigen und urteilsfähigen Kaufmanns, ein geradezu raffiniertes System ausgedacht, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Er hat un befristete Verträge geschloffen mit zuverlässigen, leistungsfähigen Buchhändlern, denen er zumuten darf, die reichstassortierten Läger zu halten, denen er zumuten darf, auf allerlei leichtverkäuflichen, gewinnbringenden pikanten Schund zu verzichten, aus denen er sogar das kleine politische Nebengeschäft herausschlägt, ihm politisch unangenehme Sachen auszuschließen, was schon weniger schön ist; — aber er behält sich ein viertel- oder halbjährliches Kündigungsrecht vor, kontrolliert ihre Geschäfte und sagt, wenn er steht, daß die Geschäfte — nicht zum wenigsten durch die Tüchtigkeit der Buchhändler selbst — wesentlich gestiegen sind: Jetzt wird, bet Gefahr der Kündigung, die Pacht erhöht, I-s, bourso au lo coutrat! Lrodatuw ost! Publikum, Eisenbahn fiskus, allerdings auch die Buchhändler haben sich dabei bisher sehr gut gestanden. Muß man sich nicht darüber wundern, daß Herr Brütt, ein preußischer Beamter, die Fiskalität der fiskalischsten preußischen Behörde so gering bewertet? Daß er ihr gar eine sentimentale Rücksicht auf Privatunternehmer auf Kosten der eigenen Kaffe zumutet? Oder soll man sich mehr darüber wundern, daß Herr Brütt die kaufmännische Weisheit des Eisenbahnfiskus so sehr verkennt? Doch nein. Hierüber darf man sich nicht wundern. Rief er doch im Brustton der Überzeugung: Was braucht denn so ein Bahnhofsbuchhändler für Veranstaltungen! Ein Tisch, ein Stuhl und ein Bücherbord — das ist alles! — Dieses »Alles» kostet aus dem Hamburger Bahnhof 6500 auf den Berliner Bahnhöfen rund 60 000 ^, auf denen, nebenbei bemerkt, 187 An gestellte beschäftigt sind, die, bei kurzfristigen Verträgen, nach ein, zwei, drei Jahren regelmäßig brotlos werden würden. Doch das brauchte Herr Brütt vielleicht nicht zu wissen. Aber was er unbedingt wissen mußte, wenn er sich die Auslagen auf den Bahnhöfen mit prüfendem Auge angesehen hätte, ist, daß sie ein reichassortiertes Bücherlager voraussetzen, das ein Kapital repräsentiert. Nein, — das kaufmännische Urteil, das der Herr Geheimrat bei dieser Gelegenheit produziert hat, kann sich messen mit dem des Lafontatneschen Hennenschlächters. Alsdann wünscht Herr Brütt die Presse zu beschützen. Herr Brütt liebt die -Freisinnige Zeitung». Er macht sich auch regel mäßig »den Spaß- (ipsissiwa vsrbs.), nach der »Kreuzzeitung- und der »Post- zu fragen. Auf dem Bahnhofe von Wittenberge hat er sie nie bekommen. Daraus schließt er, daß der Bahnhossbuchhandel die Presse imparitätisch behandelt. Das erinnert ein wenig an den englischen Reisenden von Laurence Sterne, der in Calais von einem rothaarigen Kellner schlecht behandelt wird und in sein Tagebuch schreibt: »Die Franzosen sind grob und haben rote Haare». Ich kann mit einer ähnlichen Erfahrung aufwarten. Ich bin Theaterinteressent. Ich lese regelmäßig den Berliner Börsen-Courier, weil er den reichhaltigsten Theaterteil hat. Auf vielen Bahnhöfen habe ich vergebens nach ihm gefragt. Märe ich Abgeordneter — ob mich das veranlaßen würde, einen Antrag s la Brütt zu stellen? Ich vermute, ich würde mir sagen: die Zahl der spezifischen Theaterinteressenten, die auf der Reise das Bedürfnis nach dem Börsen-Courier haben, ist eben nicht groß. Und ich folgere aus Herrn Brütts Miß geschick und vorbeigelungcnem -Spaße-: die Nachfrage nach Kreuzzeitung usw. auf dem Bahnhof Wittenberge ist minimal. Mit Recht schreibt denn auch die .Kreuzzeitung- dem spaßfrohen Abgeordneten ins Stammbuch: ihre Freunde möchten nicht nur nach ihr fragen, sondern sie auch kaufen. Das Problem ist übrigens nicht schwer zu ergründen. Die »Freisinnige Zeitung- sowie unsere meisten konservativen Zeitungen sind politische Meinungsblätter, keine Nachrichten- und (ich bitte meine kon servativen Herren Kollegen um Vergebung, es ist nicht bös ge meint) keine Unterhaltungsblätter. Meinungsblätter werden von denjenigen, die die Meinung teilen, abonniert; abonnierte Blätter kauft man erfahrungsmäßig selten in Einzelnummern. Auf der Reise — das ist nun mal so — will man schnell die neuesten Nachrichten und etwas Unterhaltung erhaschen. Gäbe es bei uns ein konservatives Blatt mit einem Nachrichtendienst wie dem des Londoner Standard oder so amüsant wie der Pariser Figaro, es würde auf Bahnhöfen ebenso gekauft werden wie »Berliner Tageblatt-, »Lokal-Anzeiger-, »Kölnische-, »Frank furter- usw. In dem republikanischen und kirchenfeindlichen Frankreich wenigstens habe ich selbst die Erfahrung gemacht, daß der monarchistisch-klerikale Figaro auf Bahnhöfen das gekausteste Blatt ist. Die Sache ist die: Der Bahnhofsbuchhändler hält die Ware- die verlangt wird, — in anderen Ländern. Das unter scheidende Merkmal unseres Eisenbahnbuchhandels dagegen ist es, daß er außer der viel verlangten Ware auch vielfach solche hält, bei der nur eine vage Möglichkeit oorliegt, daß sie verlangt wird, und ich bin überzeugt, daß der Pächter für Wittenberge von nun an gern für Herrn Brütt je ein Exemplar seiner drei Vorzugsblätter während der Land tagssession bereit halten wird. Es ist unglaublich, was man auf manchen Bahnhöfen alles kriegen kann: Zeitungen aller Richtungen, dann außer deutschen auch englische, französische, holländische, russische usw., von denen regelmäßig ein Teil liegen bleibt, ohne daß deswegen die Einzelnummer teurer verkauft wird. Man kann nicht paritätischer sein. Herr Brütt ist leider konsequent falsch unterrichtet. Er gibt die Klage weiter, daß der Bahnhof zu Frankfurt keine -Kölnische Volkszeitung- führe. Der -Verein der Deutschen Bahnhofsbuchhändlcr- weist dagegen nach, daß diese ullramontane Zeitung immer auf dem Frankfurter Bahnhof zu haben ist und — stets in größeren Posten unverkauft liegen bleibt. Pech! Diesen Luxus kann sich aber nur unser ge festeter Bahnhosbuchhandel leisten; einer, der in ein bis drei Jahren abwirtschaften müßte, fragte den Teufel nach so zarten Rücksichten auf das Publikum. Eisenbahnverwaltung und Presse haben schließlich eine Stimme, um sich gegen die Vergewaltigung durch den gesetzgeberischen
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