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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.09.1902
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1902-09-18
- Erscheinungsdatum
- 18.09.1902
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- Deutsch
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7384 Nichtamtlicher Teil. 217, 18. September ISS?. Der Londoner Straßen-Antiquar. Der ambulante Straßenbuchhändler ist eine in jeder Großstadt wohlbekannte Erscheinung; namentlich in den Universitätsstädten bildet er eine vom Straßenbilde un zertrennliche Erscheinung, denn mancher Musensohn deckt seinen Bedarf an Studien- und Quellenmaterial — soweit er es an dieser Stelle zu erlangen vermag — mit Vorliebe bei dem Straßenbuchhändler, bei dem er billiger zu fahren hofft, als beim angesessenen Ladeninhaber. Ein Eldorado für Bibliophilen war von jeher die britische Metropole; es gehört aber schon eine genaue Orts kenntnis dazu, um die Schlupfwinkel — anders kann man die dunkeln abgelegenen Lädchen dort kaum nennen — des Antiquariats zu finden; meist ist es Zufall, Glücksache. So gelang es mir — es sind über zwanzig Jahre her — in einem Seitengäßchen von Drury Lane eine vollständige Aldinausgabe des Vergil in Original-Miniaturbänden stir eine Bagatelle zu erstehen; bei einem andern für 2 sl>. eine zweibändige Sophoklesausgabe aus dem sechzehnten Jahr hundert mit lateinischem Kommentar; dann wieder bei einem Straßenhändler für 1 sb. ein vollständig deutsch-englisches und englisch-deutsches Folio-Wörterbuch von 15ü Druck bogen Umfang, und so im Laufe der Zeit noch anderes mehr. Aber die Zeiten ändern sich; die Preise, dis ein Quaritch und andere Bibliopolen für Seltenheiten anlegen, werden in den Tagesblättern den staunenden Lesern ver kündet, und das kann schließlich auch dem Straßenbuch händler, so wenig er im übrigen Tageszeitungen lesen mag, nicht unbekannt bleiben. Sein geringes Anlagekapital er laubt ihm zwar nicht, an den gelegentlichen Auktionen von BUchersammlungen der oberen Zehntausend aktiv teil- zunehmen; aber er hat doch begreifen gelernt, daß durch Seltenheit und Alter der Wert eines Buches erhöht wird, und er schätzt daher — wenn auch häufig genug instinktiv — die ihm zum Kauf angebotenen Bücher verhältnismäßig richtig ein. Der gebildetere unter diesen Straßenantiquaren wächst sogar unmerklich mit den erkannten Zielen, und es glückt ihm nicht selten, seinem Kollegen einen guten Fang vor der Nass oder gar — da in der Riesenstadt der Konkurrent im einen Stadtviertel den im benachbarten nicht kennt —- vom eigenen Karren wegzuschnappen, um es seinem eigenen sach verständigen Kunden mit gutem Nutzen und doch noch preis wert anzuhängen. Doch — wie gesagt — der Londoner Straßenantiquar hat seine beste Zeit hinter sich. Trotz der engen Gassen der City, die noch vor einem Jahrzehnt das Eindringen mecha nischer Straßenverkehrsmittel undenkbar erscheinen ließen, hat die Elektrizität ihren Weg gesunden. Was für den Straßen händler dabei das Schlimmste ist, das Publikum hat sich an die schnelle und bequeme Beförderungsart gewöhnt, und mehr und mehr verschwindet aus dem Straßenverkehr der bedächtige Wanderer, der hier eine Schaufensterauslage, dort einen Auflauf betrachtete, nie aber bei einem Antiquarwagen ohne Prüfung vorbeizugehen pflegte. Immerhin ist in dem Straßengewirr Londons noch manches Gäßchen aus lange Zeit vor der »Elektrischen« gefeit, und somit wird auch der Straßenantiquar einstweilen sein melancholisches Dasein noch weiter fristen können, bis eine Generation herangewachsen sein wird, die vor Im perialismus überhaupt kein Interesse für alte Bücher mehr haben dürfte. Gegenwärtig sind die »Centralen« des Londoner Straßenbuchhandels in Whitechapel, Mile-End-Road im Osten, Shoreditch im Centrum und City-Road im Norden. Es ist nicht ohne Interesse, dem primitiven Geschäfts betriebe dieser Straßenantiquare nachzuspüren, also die drei Fragen zu beantworten: Woher bezieht er seine Ware? Was zahlt er dafür? Wer sind seine Kunden? Als Hauvtbezugsquellen kommen für den Antiquar in Betracht Nachlaßauktionen, Makulaturhändler und Pfand leiher. Ganze Büchersammlungen aus Nachlässen zu er werben, fehlt ihm meistens das nötige Kapital; doch dient ihm solche Gelegenheit nicht selten zur Erlangung einer Provision, indem er einem ansässigen Großantiquar die Kaufgelegenheit nachweist. Hat er aber besonderes Glück, so kann es ihm geschehen — derartige Fälle sind wiederholt vorgekommen —, daß er als der einzige, den trauernden Hinterbliebenen von Angesicht bekannte »Antiquar« die ganze Bibliothek des Verstorbenen für den Preis erhält, den er selbst anbietet, und daß er seinen Rauh dann für ein Vielfaches an einen Großantiquar weiter verkauft. Beim Maknlaturhändler kauft er seine Ware pfundweise, meist auf gut Glück. Finden sich in dem Ballen beispiels weise vergilbte Nummern des »Punch«, der »Times» oder gar Hefte der grün broschierten Erstlingsausgaben Dickens scher Romane, so darf er sich Glück wünschen; moderne Zeit schriften dagegen, Schulbücher re. beachtet er nicht weiter, sondern steckt sie in den großen Makulatursack, der ihm nur noch den geringen Marktpreis pro Centner einbringt. Was der Pfandleiher an Büchern abzugeben hat, sind meistens Familienbibeln, illustrierte Klasstkerausgaben u. a. m. — natürlich alles in schönem Einband, denn sonst hätte er nichts daraus geliehen; für unsern Antiquar aber bedeuten diese Schätze nichts gegen Erstausgaben von Dickens oder Thackeray, weil er diese jederzeit im vornehmen Weste» gegen klingende Sovereigns umsetzen kann, jene aber oft monate lang auf seinem Handkarren nutzlos herumzufahren die trübe Aussicht hat. Das ergiebigste Feld sür den Straßenantiquar aber bieten die gelegentlichen Ramschauktionen der eigentlichen Buchhändler, die mit Naturnotwendigkeit eintreten müssen, um der stetigen Flut der Neuerscheinungen Platz zu schaffen. Hier blüht des Straßenantiquars Weizen. Er weiß im voraus, daß er manches in den Kauf nehmen muß, was er höchstens als Makulatur wieder losschlagen kann; aber ebenso gewiß ist er, unter den Ramschpaketen Bücher zu finden, die sür ihn Perlen bedeuten. Natürlich ist er erfahren genug, diese Entdeckungen mit keiner Miene zu verraten, sondern er wird sein Gebot wie üblich sprungweise steigern, bis er die Schätze sein eigen nennt, deren wahrer Wert bisweilen das Zwanzigsache des Einkaufspreises darstellt. Was er sür seine Ware bezahlt, ist naturgemäß nie genau zu ermitteln — er selber sagt es auch dem treusten Kunden nicht —; man ist deshalb auf Schätzungen an gewiesen. Bei den Ramschauktionen läuft er am leichtesten Gefahr, auch wenn er für einen großen Packen Ware nur ein Geringes bezahlt; aber selbst hier werden ihn gelegent liche Glllcksfälle für Ausfälle entschädigen. Kauft er aber aus »erster Hand- — sei es von einem Studenten, den bittere Not zur Trennung von geliebten Büchern zwingt, sei es von einer armen Frau, die des Kindes Schulbuch ver kauft, um den unbarmherzigen Hunger zu stillen, sei es endlich von dem Schulknaben selbst, der vielleicht eine Weih nachtsgabe losschlägt, um andern Passionen frönen zu können — so zahlt er bestimmt nur einen geringen Bruch teil von dem, was er selbst daraus zu lösen sicher ist; er ist eben Geschäftsmann. Wer seine Kunden sind? Alle Gesellschaftsklassen, vom Geistlichen bis zum Handmerkerlehrling: Sammler, Buch händler, Aerzte, Anwälte, Kommis, Damen aller Klassen und Arbeiter. Die erstgenannte» sind häufige Besucher, während die übrigen nur gelegentlich, bei eintretendem Be-
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