^ 124, 31. Mai 1911. Fertige Bücher. Börsenblatt f d. Dtschn. Buchhandel. 6613 G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung in Berlin Die ersten drei Urteile über Grote'sche Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller Band 102: Die Post, Berlin. Federer ist ein Schweizer, und in seinem Buche erscheint denn auch die deutsche Schweiz so klar aus den Augen der Gestalten, daß es eine Freude zu nennen ist. Federer braucht kaum das, was man gewöhnlich „Handlung" nennt; seine Geschichten schließen an äußerliche Kleinheiten ein starkes inneres Erleben, und ein Reiz der Erzählkunst gesellt sich dazu, wie wir ihn nur bei den edelsten und licht wie die lenzliche Alm auf den schweizerischen Bergen; offen und treu wie ein richtiges redliches Dorfkindergemüt, so erzählt Federer Geschichten aus seiner Jugend. Ich kenne nicht allzu viele Bücher, die ich so freudig jedermann empfehlen möchte, wie die Lachweiler Geschichten von Heinrich Federer. PH. Staufs. Vaterland, Luzern. Ich bin kein Prophet. Aber den Büchern Federers kann man den Erfolg vorausbescheinigen. Sie blenden nicht, sie reißen vom Himmel nicht die höchsten Sterne, aber sie werden graziöser und geistreicher sein als die meisten Schweizerbücher; und wenn sie auch nicht die härtesten Nüsse knacken, so haben sie doch goldene Kerne. Ich bin abgefeimter Hinauflober und verhehle mir nicht, daß eine so außerordentliche Begabung wie Federer einen Hochsprung wagen dürfte. Ein Dichter soll sich nur einen Leser denken, vor dem er bestehen will: sein strengstes Selbst. Vor diesem strengsten Selbst dürfen nun alle diese Novellen bestehen. Es ist kein Satz, kein Bild darin, das irgendwo geborgt ist. Man staunt, wie freigebig er seine funkelnden Gleichnisse hinwirft. Sie bleiben uns im Gedächtnis haften, wie eine liebe Melodie. Heute gibt es in der Schweiz keinen, der uns an eine so reiche Tafel laden könnte. Er tut es aber fürstlich. Er schenkt und spendet mit so bescheidener, natürlicher Geber laune, ganz nach Art jener, die „Talente" verschenken können, da sie selber ein Schatzmeister von Talenten sind. So wünsche ich den „Lachweilern" frohe Wegfahrt. Sie sind wie C. F. Mehers Novellen keine zaghaften Versuche. Im Schwabenalter stellt man sich gleich mit Meisterwerken vor. Es ist das süße Vorrecht der Jungen, uns immer auf das „nächste" Werk zu trösten. Noch einmal! Diese Kleinwelt der Lachweiler hat eine Meisterfeder geschrieben. „Das ist ein Kerl! Geben Sie acht!" wird man sagen. „Muß man das lesen?" seufzt der andere. Der erste: ,,Müssen? Donnerwetter! Das ist kein Müssen. Das ist ein Dürfen. Machen Sie sich auf einen Festtag der Seele gefaßt!" Ed. Korrodi. Der Bund, Bern. Federer ist vor allem gestaltungsreicher Erzähler, der auch in eine schlicht ersonnene Handlung Spannung zu bringen versteht und ebensosehr stofflich wie darstellend den Leser zu fesseln weiß. Der Tragik weicht er aus. so gut es geht; das Antlitz seiner Muse ist ein heiteres, frohmütiges. Und die Geschichten müssen zu einem glücklichen Ende gedeihen. Dem Lebensernst wird gleichwohl nicht aus dem Wege gegangen. Denn die Menschen dieser'Novellen, die kleinen wie die großen, stehen trotz der Jdyllik, die ihren Kranz um sie schlingt, in der Wirklichkeit, in deren oft harte Bedingungen sie sich schicken müssen. Aber man fühlt, wie es dem Erzähler selbst wohl wird, wenn die Prüfung überstanden und nach dem Sturm oder Stürmchen der sichere Hafen erreicht ist. Dann greift er wie der Organist, der den Gottesdienst mit voll erbrausendem Werk schließt, in die Manuale und Pedale und zieht alle Register zum freudigen harmonischen Kehraus. Und nun nichts mehr als eine Korrektur der Überschrift dieses Feuilletons; „ein neuer schweize rischer Erzähler" ist zu wenig gesagt. Ein neuer Meistererzähler muß es heißen. I. V. Widmann. G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung in Berlin 8SS