245, 20. Oktober 4SI! Fertige Bücher. MrsenriM j, d. Dtlchir «Achhandei. 12507 Ein intereffantes Llrteil von Hermann Bahr über die Politische Bibliothek Es scheint mir hohe Zeit, uns endlich von einer Literatur abzuwenden, die gar keine Lebens spuren mehr enthält und nur noch ein bloßes Formenspiel zum Ergötzen blasierter Müßiggänger ist. Eine Literatur, die alles von sich abwehrt, was die Zeit wirklich interessiert, verdient ihren Namen so wenig, als irgendein aus dem Muff einer ganzen oder halben Mondaine hervor schielender Luxuspinscher den ehrlichen Namen eines Lundes verdient. Es ist ein durchaus unerträglicher und uns vor allen anderen Nationen beschämender Zustand, daß sich die deut schen „Intellektuellen" sür politische Fragen, die Fragen also, die über unsere ganze geistige Zu kunft entscheiden, zu gut dünken. In allen großen Zeiten der Nation sind unsere Denker und Dichter stets in allen politischen Diskussionen gestanden: Kant, Fichte, Schilling, Schleiermacher und Legel so gut wie Goethe, Schiller und die ganze Romantik, von den Grimms. Uhland, dem jungen Deutschland und gar Richard Wagner zu schweigen. Will der Dichter wieder werden, was er in allen großen Zeiten der Nationen war: der Vertrauensmann des ganzen Volkes, so muß er ihm auch in den politischen Nöten ein Anwalt sein. Viele Zeichen geben mir auch den Mut vorauszusagen, daß unsere Literatur unmittelbar vor einer Wendung zum Politischen steht. Alle Lebensfragen unserer geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Existenz zu ignorieren, wird nicht länger für vornehm und gebildet gelten. Ich fühle voraus, daß die neue Generation sich mit Abscheu, ja bald vielleicht mit einer Ungerechtigkeit, die solche Reaktionen zu begleiten pflegt, von der letzten Mode des Blindekuh - Artistentums abkehren wird. In solchem Augenblick kommt Ihr Llnternehmen gerade recht. Sie haben schon durch die vortreffliche Sammlung Ihrer „Erzieher zu deutscher Bildung' ebenso wie durch Ihre so klug ausgewählten Schriften zur religiösen Kultur eine stille, sozusagen unterirdische, doch längst überall in unserem Geistesleben vernehmliche Wirkung gezeitigt. Ganz folgerichtig schließt sich nun Ihr neues Unternehmen an, das Sie nicht besser cinleiten konnten, als mitLloyd Georges „Besseren Zeiten", diesem prachtvollen Beispiel für den Mut die Selbstentsagung und den Ernst, womit der englische Liberalismus sich an die Forderung des Tages macht, umso, vielleicht noch auf hundert Jahre hinaus, dem englischen Bürgertum die politische Macht zu bewahren, und mit Wells alle unsere Probleme durchwühlendem Buch über Amerika. Der Anfang ist wun- derbar. Vielleicht lassen Sie gelegentlich einen Band vonAnatole France, oder auch einmal einen von Masaryk folgen, vielleicht schreibt Ihnen Romain Rolland, wie er sich ein neues wirkliches Frankreich, vielleicht schreibt Ihnen Bissolati, wie er sich das emporstrebende neue Italien denkt. Denn es gibt heute einen europäischen Geheimbund von Männern, die einer den andern nicht kennen, einer vom andern nichts wissen, jeder den Namen einer andern Partei führen, aber dies eine miteinander gemein haben, daß sie bereit sind, endlich mit den Wirk- lichkeiten ihrer Nation Ernst zu machen. Vereinigen Sie sie, so könnte das eine Bibliothek von europäischer Bedeutung sein. Eugen Diederichs Verlag in Jena 1625*