Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.10.1911
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1911-10-17
- Erscheinungsdatum
- 17.10.1911
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19111017
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-191110172
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19111017
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1911
- Monat1911-10
- Tag1911-10-17
- Monat1911-10
- Jahr1911
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
^ 242, 17. Oktober 1S11. Nichtamtlicher Teil. «öp-ndlatt >. d. Doch», BuchhandU. 12 2 k 1 Schulmeister (nicht etwa allen Pädagogen) in Verbindung mit gelehrten Spezialisten, und nicht von den schöpferischen Menschen, den Künstlern. Sein Enistehungsboden ist die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, der Rationalismus. Hier wurden zum ersten Male die nationalen Schranken durch den Gedanken des Weltbürgertums überbriickt, die oberste Richterin und Führerin ist die ratio, sind die Forderungen der Vernunft. Von Leibniz an entbrannte seit Anfang des 18. Jahr hunderts bei den deutschen Gelehrten der Streit, ob Fraktur oder Antiqua. Kant war z. B. für Fraktur, Alexander v. Humboldt für Antiqua, Goethe zuerst für Fraktur, nach seiner italienischen Reise für Antiqua und in seinem Alter wieder für Fraktur. Jakob Grimm war ein heftiger Gegner der Fraktur, besonders der großen Buchstaben, der sogenannten Versalien, und bekanntlich schrieben seit seinem Auftreten eine große Anzahl Germanisten und auch manche andere gute Menschen — es sei nur der Dichter Stefan George genannt — alle Hauptworte mit kleinen Buchstaben, wie es die lateinische Sprache längst tut. Machen wir uns einmal kurz klar, was man der Fraktur oorzuwerfen hat. Vom praktischen Gesichtspunkt, sagt man, sei sie ein Ballast und hindere den Verkehr mit andern Völkern. Ästhetisch sei sie in ihren Versalien, den großen Buchstaben, ausgeartet, und stehe an Schönheit und Lesbar keit hinter der Antiqua zurück. In der Regel kämpfen die Anhänger beider Schriften mit Gesühlsmomenten, mit soge nannten wissenschaftlichen Untersuchungen über den Einfluß der Schrift auf das Sehvermögen der Augen und schließlich mit Geschmacksansichten. Die Frage, welche von beiden Schriften auf die Augen gesundheitlich besser einwirkt, scheint zugunsten der Fraktur gelöst zu sein. Durch die Untersuchung von Professor Kirchmann ist wissenschaftlich festgestellt, daß das Auge beim Lesen nicht den einzelnen Buchstaben, sondern das ganze Wortbild saßt. Das ist aber in der Fraktur durch die nach oben und unten ausladenden Buchstaben charakte ristischer als in der Antiqua. Ferner steht auch die schnellere Lesbarkeit für die Fraktur außer Zweifel. Ja, man kann sagen, daß sie sich der Sprache insoweit angepaßt hat, daß sie die langen Worte, die im Deutschen viel umfangreicher als etwa die entsprechenden französischen oder englischen Formen sind, für das Auge zusammendrängt. Wir sehen heute entwicklungsgeschichtlicher als Jakob Grimm, darum steht die Frakturfrage, die seinerzeit noch eine Geschmacksfcage sein konnte, für uns heute wesentlich anders. Machen wir uns ihre Entwicklung klar. Die römische Kultur und ihre Erben verwandten in ihrer Schreibschrift die Antiqua ln großen Buchstaben, zu Karls des Großen Zeiten enrstanden aus den Majuskeln die so genannten Minuskeln, die kleinen Buchstaben, sie wurden nach und nach eckiger, gotischer, und bis ins 15. Jahrhundert waren sozusagen alle Völker, auch die romanischen, auf das Frakturprinzip eingestellt. Durch den Humanismus, d. h. durch die neue Formensprache der italienischen Renaissance ver anlaßt, druckten die Venezianer Aldus Mauritius und Jenson zuerst in Antiqua. Deutschland nahm zwar in seiner Bau kunst, Malerei und Skulptur die Anregungen der italienischen Renaissance bis zu einem gewissen Grade auf, aber nicht in seiner Schrift, denn in Nürnberg schus man zur Zeit Dürers aus der Schwabacher die deutsche Fraktur, und das erste darin gedruckte Werk ist die Meßkrmst Dürers. Es ist wohl zu beachten, die deutsche Schrift ist kein Verfallprodukt, sondern ein Ausdruck des Lebensgefühls des Dürerschen Kreises, sie entstand aus dem Höhepunkt der deutschen Kunst. Seitdem besitzt Deutschland eine zweifache Ausdrucks- Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 78. Jahrgang. form für sein geistiges Leben, seine Gedankenwelt. Und das wollen wir uns klar machen, noch nie haben beide Formen miteinander gekämpft, im Gegenteil, im 17. Jahrhundert laufen sie friedlich nebeneinander in den Büchern einher. Der Streit, ob Fraktur oder Antiqua, ist nie ein Streit des schöpferischen Lebens gewesen, sondern des Intellekts. Die Frage, ob Antiqua oder Fraktur, spitzt sich daher so zu: Soll der Intellekt, der nur ein Teil des Lebens ist, den schöpferischen Lebensgang vergewaltigen oder stehen die Gesetze des künstlerischen Lebens über dem fanatischen Nützlichkeitsbedürfnis kurzsichtiger Ra tionalisten oder des von vielen so heiß ersehnten Normalmenschen? Ohne Zweifel führt der Entwicklungsgang unserer Kultur nicht zu einer Vereinfachung und Versimpelung des Lebens, sondern zu einem größeren Reichtum seiner Formen. Die Aufgabe aber, dis schöpferische Menschen sich stellen, ist: den Reichtum des Lebens dadurch zu mehren, daß sie ihr Empfinden in neuen Formen auszusprechen suchen. Zuerst hieß es in der modernen Kunstbewegung: »um jeden Preis eine neue Form-, jetzt heißt es mehr:»Weiterentwickelung der Tradition». Nun, schließlich mögen beide Linien nebeneinandergehen. Es ist auffallend, daß die -Schulmeister», die von der Zweck losigkeit der deutschen Schrift und von einer dadurch ent stehenden Überbürdung der Schüler reden, noch nie ernsthaft für die Verwirklichung des Gedankens sich eingesetzt haben, griechische Klassiker in Antiqua zu drucken. Welche Verein fachung wäre das für die Schüler I Ebenso ist es auffallend, daß die gewiß praktischen Römer nicht auf den Gedanken kamen, ihr Weltreich durch Ausrottung der griechischen Schrift zu vereiuheitlichen. Man stelle sich nur die literarischen Quellen der griechischen Kultur in Antiqua der Nachwelt übermittelt vor, jedes künstlerische Gewissen wird sich empören. Ist das aber nicht das Gleiche wie die Zumutung, wir sollen die literarischen Dokumente unseres phantasievollen Volkes in einer Schrift drucken, die der klare Ausdruck des rein logisch rational veranlagten Menschen ist? Machen wir uns klar: die Schulmeister, Spezialisten und Nützlichkeitsmenschen schwärmen für eine Sprache, für Esperanto, und für eine Schrift, die Antiqua. Besieht über haupt die Aussicht, daß die im Land der Zukunft liegenden Vereinigten Staaten von Europa sich in dieser Weise ver einheitlichen? Nie! Die Einheit liegt auf ganz anderem Ge biete. Die Schrist ist ebenso wie die Sprache eine Form innerer Lebensvorgänge in einem Volk. Nie wird es der europäischen Kultur gelingen, den Slawen z. B. ihre eigene Ausdrucksform in Gestalt der russischen Schrift zu nehmen. Und wenn die deutsche Schrift nicht erfunden wäre, so müßte sie jetzt erfunden werden als Ausdruck unseres Wesens, unserer -phan- tasischen» mehr innerlichen Veranlagung gegenüber der logischen Klarheit der lateinischen Rasse. Stehen wir also auf dem Standpunkt, daß unsere Kultur, unser geistiges Leben immer reicher werden muß, daß die Schöpfung neuer Werte allerwegs wichtiger ist als die Intellektualisierung und Vernützlichung des menschlichen Lebens, so müssen wir logischerweise nicht nur für die Anwendung beider Schriften, sondern auch für ihre künstlerische Fortbildung eintceten. Organische, d. h. künstlerische Gesetze lassen sich nicht durch Majoritätsbeschlüsse schaffen. Entweder die Fraktur ist tot und stirbt ab, dann wollen wir sie mit Respekt be graben, hat sie aber Lebensfähigkeit, so wird sie sich künstlerisch weiter entwickeln und dann der Ausdruck modernen deutschen Wesens sein. Vielleicht fällt ihr sogar isvl
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder