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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.04.1877
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1877-04-25
- Erscheinungsdatum
- 25.04.1877
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- Deutsch
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Hk 94, 25. April. Nichtamtlicher Theil. 1531 geltend macht, wird aus diesem Wege am besten Vorschub geleistet. Die Thatsachc, daß ein Blatt wie die „Rundschau", ohne jedwede Concession an den Geschmack der Masse, einen solchen äußerlichen Erfolg errungen, wie er thatsächlich constalirt ist, diese Thalsache ist der beste Beleg für obige Behauptung. Denn man erwäge die „eclatante Flauheit" aus dem „literarischen Markte", was das Absatzgebiet literarischer Production betrifft. Hat doch die Statistik berechnet, daß der literarische Durchjchnittsconsum pro Kops in Deutschland — um nur ein Beispiel herauszugrcisen — von dem durchschnittlichen Branntweinconsum um das Dreifache beinahe überflügelt wird. Dabei die Ueberjchwcmmung des literarischen Marktes mit periodischen Erscheinungen, sachwissenschastlichcn und belletristischen. Deutschland allein producirt gegenwärtig mehr als dreitausend, von dem Weltblatt „Gartenlaube" bis zum kleinsten Winkelblättchen, das in verborgenem Dunkel ein kümmerliches Scheindasein aus der Hand in den Mund fristet. Jeder neuen Er scheinung steht ein schwerer Kampf ums Dasein bevor, und wenn sic trotzdem, wie die „Rundschau", zu allgemeiner Anerkennung sich durchkämpft, wenn sie die Normal-Absatzziffer so weitaus über flügelt hat, — nun so liegt der Grund hierzu einzig in ihr selbst, weil sic ein Nummer-Eins-Blatt ist, dem ich dies stolze Prädicat gern und freudig zuerkcnne. Aber gleichviel! Will eine zweite Revue gleich ihr Tüchtiges und Schönes leisten — Glück zu! denn noch ist Raum genug da. Die typische Form dieser Monatsschriften ist durch die „Uovuo des ckaux Ilonclos" endgültig festgestellt. Sic sollen grundsätzlich die schöne Literatur mit der wisscnschastlichen combiniren. Diesen Grund satz hat auch „Nord und Süd" sich zu eigen gemacht. Eingangs eine Novelle, als weiterer Inhalt eine Reihe wissenschaftlicher Essays, die über die verschiedenen Gebiete des Wissens sich verbreiten. Im Gegensatz zur „Rundschau" hat das neue Unternehmen alle Tages- sragcn grundsätzlich von seinem Programme ausgeschlossen. Und mit Recht. Denn in unserer schnelllebigen Zeit müssen wir sie in die Tagcsblätter und in die wöchentlich erscheinenden Organe verweisen. Was heute im Mittelpunkt des Interesses steht — morgen ist es veraltet und vergessen. I-s roi ost mort, vivo Io rvi! Daß im Gegensatz zu ihrer sranzösischen Schwester die deutschen Revue» den Roman ausschließcn, ist nur zu billigen. Einmal ans einen, rein äußerlichen Grunde, weil das Publicum das stereotype „Fortsetzung solgt" nicht liebt und ungern de» Gang der Erzählung fortwährend unterbrochen sieht. Noch mehr aber. Die Richtung unserer Zeit neigt wieder der Novelle zu. Freilich, der Sprachgebrauch macht zwischen Roman und Novelle nur einen quantitativen Unterschied, unterscheidet lediglich nach dem größeren oder geringeren Umsange der Erzählung; aber ein geübtes Auge wird unschwer den Punkt erkennen, wo dieser quantitative Unterschied ins Qualitative um schlägt. Die Grenzen der Dichtungsformen sind ja keine stabilen, sie sind in stetem Flusse, und es wäre eine dankbare aber mühsame Aufgabe, all die Einflüsse und geheimen Beziehungen auszudecken, die aus die Wandlungen und Veränderungen der Formen von maß gebendem Einfluß sind. Der Roman, dem eine nothwendigc Tendenz zu Grunde liegen muß, verlangt dadurch einen breiteren Rahmen, eine größere Zahl von Personen, verlangt eine Gesellschaft von lo caler und zeitlicher Färbung; während die Novelle mit dem Reiz leichter, flüchtiger Zeichnung, mit der Freiheit loser Form uns nur ein flüchtiges, rasch vorllberziehendes Bild geben will und aller Ten denz sich entschlagen darf, die, wenn sie gleichwohl einmal austaucht, höchstens zu einem Stimmungsbilde sich krystallisircn darf, das sich dem Leser als subjective Wahrheit aufdrängt. Das Programm der neuen Monatsschrift weist die Namen unserer besten Novellcndichter aus. Die Eingangs-Novelle von Wilhelm Jenscn ist eine neue cr- sreulichc Gabe des seinsinnigen Erzählers, der seine ersten Ersolge in dieser Dichtungsform errang und erst später dem breiten Rah men des Romans sich zuwandtc. Die Redaction von „Nord und Süd" liegt in den Händen Paul Lindau's, der in der „Gegenwart" bereits eine der vorzüg lichste» deutschen Wochenschriften geschaffen und es verstanden hat, sie im Lause der Zeit dauernd aus gleicher Höhe zu erhalten. Noch schwankt sein Charakterbild im heftigen Hin und Wider der Parteien. Als Kritiker, mit dem scharfen Wort der „goldenen Rücksichtslosigkeit" aus seinem Schild, — sprang er mit einem Male ans den literarischen Kampsplatz; aus dem glatten Boden der Bühne hat er Erfolg auf Erfolg zu verzeichnen; als gründlicher Kenner Moliöre's war er Eingeweihten längst bekannt, und erst jüngst hat er sich in dem Lebensbilde Alfred de Mussct's als ein Meister bio graphischer Darstellung bewährt. Mit ihm ist ei» frischer Zug in unsere Tagcsliteratar gekommen. Ein Schüler von Jules Janin, gleich diesem ein geschworener Feind aller sogenannten „Würde des Styls", führte er, unbekümmert um das Achselzucken all der zart besaiteten Naturen, die bei dieser Ungenirtheit der Form eine Gänsehaut überlics, jene lustige und flotte Natürlichkeit bei uns ein, die in der Hauptstadt Oesterreichs in Spitzer längst ihren elastischen Vertreter gesunden hatte. Ich sage Natürlichkeit — denn diese Gabe ist angeboren, wie die Gabe des Witzes. Nichts wirkt pein licher, als ancmpsundcner Humor, als künstlich arrangirtcr Esprit. Lindau hat als seinen redactionellcn Grundsatz wiederholt das be kannte Wort citirt, jedes Genre sei gut, nur das langweilige nicht; oder, um es in Goethe'schen Worten zu sagen: Lose, faßliche Geberden Können mich verführen; Lieber will ich schlechter werden, Als mich ennnyiren! Das erste Heft von „Nord und Süd" liegt vor uns. Boden- stedt leitet cs mit einem Poetischen Prolog ein. Die Novelle Jenscn's erwähnte ich bereits. Riehl in München vermehrt die Gallerie seiner musikalischen Charakterköpse um zwei liebenswürdige Portraits. Doch wozu den Inhalt wie eine Speisekarte hier auszählen? Die Perle des Heftes sind eine Reihe Gcibcl'schcr Distichen, deren Schönheit und Grazie sie dem Beste» seiner Muse anreiht. Und nun zum Schluß noch Eins. Mit besonderer Freude begrüße ich die äußere Ausstattung des jungen Unternehmens. Unser Blick ist wieder dafür geschärft. Mit dem Ausschwung, den das Knnstgcwcrbc seit den Erfahrungen in Philadelphia und in München genommen, ist auch für die tech nische Seite der Büchcrproduction neues Vcrständniß erwacht. Ans der Fülle kostbarer mittelalterlicher Motive ist das beste und schönste aufs neue in Umlaus gesetzt. In allen Kreisen der Bücherfreunde bricht mehr und mehr der geläuterte Geschmack sich Bahn. Es ist uns nicht mehr gleichgültig, in welcher Ausstattung ein Buch sich uns präsentirt; die Form der Typen, Druck und Papier sind jetzt Frage» von Belang. Die stereotype Phrase am Schluß der meisten Kritiken: Druck und Papier seien vorzüglich — oder, um mit einem höflichen Compliment zu schließen: entsprächen dem Ruf der be währten Berlagsfirma — diese Phrasen sind jetzt bedeutungslos geworden. „Nord und Süd" macht äußerlich einen sehr erfreulichen Eindruck. Schönes Tonpapier, gefällige Typen (zu den Poetischen Beiträgen sind die geschmackvollen Schwabacher Leitern verwendet), endlich stylvollc Kopfleisten und Jnitialic» — alles das gibt dem vorliegenden Heft ein geschmackvolles und gefälliges Acußerc, das das junge Unternehmen nur in weiten Kreisen cmpschlen kann. Waldemar Kawerau.
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