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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.09.1907
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1907-09-21
- Erscheinungsdatum
- 21.09.1907
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
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9434 Börsenblatt s. t>. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 221, 21. September 1907. Eine billige Ausgabe überstürzt die andre, jeder Verleger glaubt jetzt eine Herausgeber! zu müssen; so ist der schon billige Preis für eine illustrierte und gut ausgestattete Aus gabe von 1 Frc. auf 95 Cts. und für andre auf 65, ja auf 50 bis 30 Cts. heruutergegangen. Daß die Verleger bei diesen Publikationen noch ihre Rechnung finden, ist zu bezweifeln; daß wir es für die Dauer nicht mehr mit »Literatur« zu tun haben werden, ist selbstverständlich. Be fremden muß in Paris zurzeit die Überhandnahme an perio discher Hintertreppenliteratur im Stile des Buffalo Bill. Wird sich der »Nabln« vielleicht entschließen, um den Übelständen abzuhelsen, selbst gute Bücher zu vertreiben und Verleger zu werden; will er etwa gar, wie die Times in London, eine Leihbibliothek eröffnen, — oder gelüstet es ihn nur nach Verlegerinseraten? Der »Nabin« hat die Verleger bisher aber kaum angegriffen. Nun, der »Nativ« wird ja zweifellos mit seiner Unter suchung fortfahren, und wir werden auf sie zurückkommen, wenn sie irgend ein bemerkenswertes Resultat erzielen sollte. Die Wege der »Lsotion ooininsroials« des »Nativ« sind oft unberechenbar. Bruno Conrad. Der Leser. Eine Studie von Ä. v. Beaulieu (Hannover).*) Lieber Leser, stelle dir die Lesermasse als eine Pyramide vor, deren Basis der Lesepöbel bildet und deren Spitze selbstverständ lich du und deinesgleichen. Die andern Leute bringen wir dazwischen unter. Wir bauen natürlich von unten nach oben. Die Basis ist breit und solide und umfaßt die große Masse derer, die da geistig arm sind, der Einfachen, Naiven. Wir wissen, was dem natürlichen Menschen die Literatur ist. Sie ist ihm Lessing und Schiller, Gedenktafeln an Häusern, ein gelegentlich pathetisch vorgetragenes Zitat. Etwas, das in vielen uniformen Bänden in der Tiefe des Bücherschranks ruht, aber womit viel sich zu beschäftigen man der Heranwachsenden Jugend überläßt. Etwas, das man gelegentlich mit Achtung erwähnt, aber das doch einen unangenehmen Beigeschmack hat von Jahres zahlen und Versfüßen. Neben diesem umheimlichcn Schulbegriff taucht eine freund liche Biston auf: Tausende von etwas schmierigen Bänden mit einem mehr oder weniger weißen Schilde am Rücken und den Spuren fleißiger Finger auf den Seiten. Die Leihbibliothek! Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein! Hier ist das Buch ein lebender Faktor, Vergnügen, Unterhaltung, etwas, das man wirklich liest. Was ist dem Lesepöbel, der großen Masse der Ungebildeten und Gebildeten ein Buch? Ein Zeitvertreib. Auch wohl eine Sensation, ein Sinnen kitzel, eine Ablenkung von unangenehmen Wirklichkeiten, eine Überleitung zum Verdauungsschläfchen. Etwas, das nach des Tages Last und Hitze ein Stündchen zerstreut, eine lange Eiscn- bahnfahrt verkürzen hilft. Etwas, das, je nachdem, anregt und beruhigt; dem Manne annähernd von der Wirkung — wenn auch längst nicht so unentbehrlich — wie der qualmende Stengel in seinem Munde, dem Fräulein etwas Ähnliches wie ein Kuchen beim Konditor. Man genießt es, es schmeckt gut, und im nächsten Augenblick ist es vergessen — wenn man sich nicht den Magen damit verdorben hat. Unter den Basisleuten finden sich nämlich die unersättlichsten Leser. Man kann ganz ernste Männer sich mit liebenswürdigem Freimut zu der Schwäche bekennen hören, daß sie sich an einem -Schmöker- geradezu festlesen können. Sie lächeln dazu ein wenig verlegen, denn sie wißen ja recht gut, daß es alles Unsinn ist, was die Romanschreiber zusammenschmieren, aber weiß Gott! es ist doch manchmal so spannend! *) Mit gütig erteilter Erlaubnis aus der -Beilage zur Allgemeinen Zeitung- 1907, Nr. 166 abgedruckt. Red. d. Bbl. Der höchste Wert, den die Basis der Leserpyramide kennt, ist nämlich das »Spannende«. Und das Spannende, so reizvoll es ist, kann so peinigend werden, daß man erst rasch im Schluß nach sieht, wie es sich löst. Manchmal wird die Mitte dann noch nach- gclesen, aber nicht immer. ES gibt auch Damen, die so gefühl voll sind, daß sie kein Buch lesen, das traurig endet. -Das Leben ist schon traurig genug-, sagen sie. Auf diese Sensitiven nehmen manche Familienblätter denn auch freundlichst Rücksicht. Die Familtenblätter besorgen ja, neben der Leihbibliothek, den Hauptverschleiß der geistigen Nahrung. Was der Leser untern Grads an Büchern kaust, ist kaum der Rede wert. Höchstens paradiert, den Klassikern vorgebaut, eine Reihe roter Engelhörner- oder Tauchnitz-Bände, die nach und nach auf Reisen erworben worden sind. Sind erwachsene Töchter im Hause, so findet sich natürlich etliche Geschenkliteratur dazu. So gar Gedichtbände können auf dem Geschenkwege in ein im übrigen ganz ordentliches Haus kommen. Dem deutschen Vater und Bruder schwebt es unbestimmt vor, daß Gedichte etwas für junge Mädchen sind und daß ein Goldschnittbändchen sich auf dem Geburtstagstisch nett ausnimmt. Welches, sagt ihm der freundliche Buchhändler; er selbst vergreift sich natürlich nicht daran, so wenig wie an der Bonbonniere, die er mildernd dazulegt. Wenden wir uns einem höheren Abschnitt zu. Die meisten würden ihn wohl in zwei übereinanderliegende Hälften teilen. Ich teile ihn in zwei nebeneinanderliegende, so sehr mich auch die eine Hälfte dafür verachten wird. . . Auf der einen Seite dieses großen, aber sich doch schon recht zuspitzendcn Abschnitts wohnen die, die -den gesunden Sinn des gebildeten deutschen Publikums- repräsentieren. Dieser Leser liest nicht wähl- und quallos alles herein. Er weiß, daß es gute und schlechte Bücher gibt und daß man seine geistige Nahrung mit der selben hygienischen Rücksicht auswählen soll wie die materielle. Cr macht Ansprüche. Dieser Leser ist hauptsächlich nach zwei Richtungen hin an spruchsvoll: in bezug auf Sittlichkeit und Wahrscheinlichkeit. Mit -unsittlich- und -unwahrscheinlich- ist ein Buch für ihn gerichtet. Dadurch scheidet natürlich ein starker Prozentsatz der modernen Belletristik von vornherein aus. Also hier ist Auswahl nach Prin zipien. Ein großer Fortschritt gegen die Kritiklosigkeit des Lesepöbels der sich durch die Leihbibliothek durchlieft, wie eine Kuh eine Wiese abgrast, gleichgültig, ob es nur Gras ist oder auch schönsarbige Blumen. Von Familienblättern liest man nur die vornehmeren, die sich an ein gutes Publikum wenden und empfindet das Zer hacken in unzählige Fortsetzungen als eine Beeinträchtigung des Werkes. Man fordert ein getreues Lokalkolorit, konsequente Durchführung der Charaktere und logische Entwicklung der Hand lung. Lauter schöne und solide Dinge. Man will nicht nur unter halten, sondern auch erhoben werden, will sich bilden. Kultur- und Erziehungsromane werden von diesem Leser geschätzt und sogar gekauft. Er findet, daß eine sittliche Macht von guten Büchern ausgeht und überwacht sorgfältig die Lektüre der Jugend. Kurz, er besitzt Idealismus. Dazwischen liest er zur Erholung ganz gern mal ein Skandälchcn, natürlich, um sich darüber zu entrüsten. Die Tendenz eines Buchs ist diesem Leser sehr wichtig. Nach persönlichem Geschmack und Veranlagung wird diese oder jene bevorzugt. Fortschrittliche, aufgeklärte Leute lieben andre Bücher als konservative von der alten Schule. Wer für neue Ethik schwärmt, niag keine Bücher, die auf einem überwundenen Sittlichkeitsstandpunkt stehen. Gleichviel, das Sittliche spielt eine große Rolle. Dieser Leser kann sich in eine heiße Debatte stürzen über -Hilligenlei-, sei es, daß er es für eine Offenbarung hält oder es ablehnt. Für -Jörn Uhl« hat er geschwärmt, und zwar ganz ehrlich. In diesem Abschnitt findet sich auch der Leser — oder eher wohl noch die Leserin, die gesteht, keine Sachen lesen zu mögen, die in den untern Volkskreisen spielen. Sie könnte sich da nicht hineinversetzen. Wenn dieses Geständnis auch nicht literarisch ist, so hat es doch den Charme der Echtheit. Wenn sie ganz offen sein wollen, stehen die meisten Leute doch auf dem Standpunkte, dem im Weither das entzückende Bekenntnis geliehen wird: -Der Autor ist mir der liebste, in dem ich meine Welt wiedeiftnde, bei dem es zugeht, wie um mich, und dessen Geschichte mir doch so interessant und herzlich wird, als mein eigen häuslich Leben-,
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