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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.10.1907
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1907-10-08
- Erscheinungsdatum
- 08.10.1907
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- Deutsch
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! stans LuWg Rosegger. Mehrfach ist in jüngster Zeit der Sohn des großen steirischen Dichters Peter Rosegger mit kleinen Skizzen an die Öffentlichkeit getreten: fein pointierte Dialoge mit schneidiger Gesellschaftssatire. Ließen sie den Leser auch noch im unklaren, wohin Rosegger nun steuern würde, so zeigten sie noch deutlich eine feinsinnige Künstlernatur, von der noch etwas Besonderes erwartet werden durfte. Und soeben kommt der Erstlingsroman von Hans Ludwig Rosegger heraus, ein »Tagebuch- mit dem wenig an heimelnden Titel: »Die Verbrecherkolonie-. Vor mir liegen die Aushängebogen, und fast komme ich in Versuchung, nach all den vielen Randbemerkungen, die ich machen mußte, in längeren Ausführungen zu zeigen, ein wie feines Kunstwerk dem jungen Dichter mit dem ersten Buch gelungen ist. Doch ich will nicht verhindern, daß man damit sich dann begnügt und das Buch nicht liest. Es mag aber gesagt sein: Hans Ludwig Rosegger ist ein Könner und einer vom Schlage seines Vaters. Aller dings wandelt er in ganz anderen Bahnen, so viele verwandte Züge auch zwischen Vater und Sohn sich finden ließen. „Die Welt ist reich an Niedertracht und sie ist reich an Größe und Schönheit. Nur darauf kommt es an, was wir Poeten liegen lassen oder aufhebenl" So sagt Peter Rosegger einmal. Das trifft auch für Hans Ludwig Rosegger zu. Die Menschen, die er uns in seinem Roman vorführt, sind keine schemenhaften Backfischgestalten. Sie leben und weben in ihren Hauptgestalten so, daß man des Dichters ganz vergißt und nur in seiner Welt sich befindet, die er mit so sicherem Griffel uns zeichnet. Otto Georg von Godfreed vor allem, der geistvolle Held dieses Romans, der in seinem Tagebuch seine Ge danken hinausschleudert, um sie zu töten, der nach einer Vergangenheit mit der Häßlichkeit der Übersättigung noch immer das heiße Sehnen nach Glück, nach Verstehen seine Brust zerwühlen spürt, wird uns mit seiner psychologischen Treue in all seinem anscheinend so extravaganten und dem Leser doch jetzt so selbstverständlichen Handeln vorgeführt, daß man mit Recht sagen kann, wir erleben diesen Godfreed mit, der von sich in einer Stunde der Resignation sagt: „Die Kultur hat uns elend gemacht, sie hat uns verfeinert, kunstvoll kleinlich organisiert, daß uns kein Genuß genußvoll genug, keine Süßigkeit süß genug erscheint." Nachdem ihn die Frau nach freier Vereinbarung verlassen hatte, von der Otto Georg von Godfreed glaubte, daß sie den Inhalt seines Lebens ausfüllen würde, da zog er sich zurück auf sein Gut, seine „Verbrecherkolonie", um — immer weiter zu begehren, immer wieder zu hoffen. Er fühlte sich als einer, der von der Gesellschaft ausgestoßen ist, und er umgibt sich deshalb nur mit einem Personal, das rein äußerlich sein Schicksal teilt, mit Menschen, die der Verein für das Wohl entlassener Sträflinge ihm sendet. Daher für sein Gut die Bezeichnung „Verbrecherkolonie" im Volksmunde und in seinen eigenen Gedanken. Ihm bleibt es auch eine solche, nachdem sein Weib ihm zurückgekehrt ist nach einem Leben voller schwerer Jrrtümer. Die Erzählung schließt, nachdem Godfreed den Kampf seines Lebens ausgekämpft hat, nachdem das Lebensrad ins breite Geleise des lärmenden Alltags sprang und im Alltag weiter läuft. So wenig glücklich man die Tagebuchform für eine Schilderung so bewegter Menschenschicksale halten könnte, für diesen Roman wäre kaum eine andere denkbar; die künstlerische Ausgestaltung des ganzen Romans wird auch denjenigen erfreuen, der zu dem Inhalt selbst das rechte Verhältnis nicht gewinnen kann. Bietet er doch eine feine Kritik, ohne Aufdringlichkeit und ohne Absichtlichkeit, der Überkultur, des Genußmenschen, des Menschen ohne Willen zur Überwindung. An seinen treffenden Zügen aus dem Gemütsleben der Kinder, der Kranken, der Sehnenden, der brutalen Kraftvollen ist das Buch überreich. Der Dichter hat tiefe Blicke in das Gesellschaftsleben der Gegenwart getan, er weiß, wo es krankt; aber er moralisiert nicht. Er gibt dem Leser Gelegenheit, mit ihm einen tiefen Einblick in eigenartige Seelen zu tun, die nicht allzu selten uns umgeben und die wir doch nicht verstehen, weil sie allzusehr anders sind als wir selbst. Wie sagt doch Frau Erna, die so prächtig vom Dichter entworfene Frau des Arztes Oe. Ranger: „Im Kleinen, nicht im Großen liegt unser Glück." Otto Georg von Godfreed ist äußerlich eine Herrennatur mit all ihren Fehlern und Schattenseiten, im Innern fühlt er sich unfrei und doch hat er von den Sklavennaturen ringsum den klaren, freien Blick voraus, der jede Schwäche sieht und den kleinsten Fehler merkt, auch bei sich selbst. Und keineswegs bietet Rosegger nun eine qualvolle Selbstsezierung, die in dem Gefühle sich glücklich wähnt, sich selbst Wunden zu reißen. Sein Held ist im Grunde genommen einer jener Wahrheitssucher und jener ehrlichen Naturen, die unsere Zeit mehr und mehr Hervorrust, die nicht ängstlich Halt machen, wenn vor ihnen die Rätselwelt des Menschendaseins, des eigenen Nichtcrkennens sich auftut. Und für solche Naturen wird das Tagebuch des Otto Georg von Godfreed eine besonders erfreuliche Gabe und ein feiner Genuß sein. Nach dieser ersten Probe seines Könnens darf man gespannt darauf sein, was der scharsblickende, feinsinnige Künstler Hans Ludwig Rosegger uns ferner geben wird. Franziskus Hähnel, Wescrzeitung, Bremen, vom 4. Oktober 1907. Ich werde auch die ferneren Kritiken an dieser Stelle veröffentlichen, aber schon nach den bisherigen wird daß „Die Verbrecherkolonie" jeder Sortimenter zngeben müssen, MMchMMres IY07/8 wird. Ich bitte also, das Buch auf Lager zu halten, es wird baldigst große Nachfrage einsetzen. Vorläufig kann ich jedoch nur bar liefern. Zettel anbei!
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