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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.07.1911
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1911-07-20
- Erscheinungsdatum
- 20.07.1911
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- Deutsch
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- Saxonica
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Nichtamtlicher Teil. Mrl-nblatt s. d. Dtschn, «uWaild-I. 8483 harmlos. Diesen Damen und sich selbst wollte Springer Pen In; machen. Als der Chef eines Tages gegen st>3 Uhr zu Tisch gegangen und festgestellt mar. daß er nicht noch einmal, was er gern tat, zurückkehren werde, um nach dem Rechten zu sehen, beredete Springer den älteren Kollegen, auf eins halbe Bockleiter, die er vor das dem Hose zugewandte Fenster stellte zwei Lineale zu nageln, die die ausgestreckten Arme eines Mannes bedeuten sollten. Dann zog er der Leiter mit diesen Armen einen alten Frack des Chefs an, schnitt aus Kartonpapier ein Vorhemdchen und riesige Vatermörder und stellte auf die Leiter einen veritablen Tolenkops, der sich wer weiß wie lange im Geschäft Herumtrieb und jedem neuen Lehrling als der Schädel Alexander v. Humboldts gewiesen wurde. Sah schon der Kopf mit den Vatermördern grausig-grotesk aus, so wurde der Eindruck noch wesentlich verstärkt, als Springer auf den Schädel einen uralten fuchsigen Zylinder des Chefs drückte und ihm überdies noch eine Zigarrenspitze in den knochigen Mund steckte. So sah nun das Monstrum durch das Fenster in den Hof hinaus, wo bereits der Portier des Hauses mit seiner Frau und anderen mit offenem Munde dem Schauspiel zusahen. Jetzt wurden die Damen angerufen, sie möchten in den Hof gehen, es sei dort etwas ganz Ab sonderliches zu sehen. Und sie kamen in der Tat. Als sie das Ungeheuer sahen und sich vor Lachen bogen, ritt unsern Springer der Böse, insofern als er sich plötzlich entschloß, das Geschöpf seiner Laune gegen die Damen eine Verbeugung machen zu lassen, und zu diesem Behuf die Leiter heftig neigte. Ein Schrei des Schreckens und zugleich das tollste Gelächter erscholl, denn der Totenkopf flog durch eine Fenster scheibe in den Hof und zerschellte dort in kleine Stücke, der alte Cylinder aber, das scheußlichste Möbel aller Zeiten, blieb in den Trümmern des Fensters stecken, gleichsam als wollte er die Rache des Himmels auf die Freveltat herab beschwören. Jetzt hieß es aufräumen. Wer aber sollte es glauben — nach einer geschlagenen Glockenstunde tritt, um 5 bis 6 Viertelstunden zu früh, ganz unerwartet der Chef ins Geschäft, um doch noch nach irgend einer Sache zu sehen. Rot wie ein Zinshahn, vor Zorn bebend, sieht der Herr die Nachmittagsarbeit seiner Zöglinge. Da lag draußen der Kopf in Scherben, der alte Hur hing, grausig und ergötzlich anzusehen, im Fenster, und die Leiter streckte noch immer ihre Linealarme aus. Kaum ein Wort entschlüpft dem Munde und nur eine Drohung wird laut, zum Alteren: Schreiben Sie an Ihre Mutter, daß Sie morgen kommen! und für Springer em Kosewort, das nicht ganz als salonfähig gilt. Dann verließ er von neuem das Geschäft, ohne sich noch zu äußern. Die beiden Gehilfen kamen bald darauf von der Mittagspause zurück und machten ernste, sehr ernste Gesichter. Mit der ersten Dämmerung kam auch der Chef wieder, der das Fenster bereits wieder gemacht, Cylinder und Frack harmlos am Nagel hängen und alles in allem in bester Ordnung sah. Jetzt zogen aber wie in Dörchläuchting gleich sieben Gewitter heran, es grollte und tobte und schien mit einem großen Krach alles verschlingen zu wollen. Unsere Entlassung war unabänderlicher Entschluß des Zornmütigen. Nun aber wurde gearbeitet, was das Zeug hielt, um nicht neuen An laß zur Klage zu geben. Da tritt ganz unerwartet ein ganz, ganz kleiner Herr ins Geschäft (ein Engel geht unsichtbar vor ihm her), Otto Hertz (Ottchen von seinem Bruder Wilhelm genannt), ein Mann in hoher amtlicher Stellung, ein Kind von Seele und Gemüt. Er grüßt wie immer liebenswürdig und erhält von den Angestellten achtungs vollen, vom Bruder gepreßten Gruß. Was ist denn los, Wilhelm?, fragt er und erfährt nun unsere Schand tat aus dem Munde des Bruders. Die Szene wird zum Tribunal, sagt Schiller, aber der Kammergerichtsrat Otto Hertz sagte anders. Er lachte, daß ihm die Tränen über die Backen liefen, und versicherte einmal über das andere, das sei ein ganz kapitaler Witz. Ob die beiden nicht brav seien, fragte er dann. Ja, hieß es darauf, aber der ältere bleibe unverständig und der andere sei ein vorlauter Knabe. Nun erklärte Onkel Ottchen, der im ungefähren diese Antwort erwartet hatte, da er uns gut genug kannte, dann sei alles gut; so etwas, so nett es immerhin sei, dürfe freilich nicht zum zweitenmal Vorkommen und im übrigen sei er gekommen, weil der Samstag-Abend gar so schön sei, Bruder und Angestellte zu einem kalten Imbiß in irgend einem Gartenlokal des Tiergartens einznladen. Das wurde denn auch dankbar begrüßt, aber die beiden Sünder sollten ausgeschlossen werden. Der treffliche Festgeber indes ließ sich nicht beirren und meinte, sie hätten nach allem Schrecken zumeist ein Anrecht auf einen heitern Abend, und schließlich ging man dann friedlich zu Biere. Tags darauf aber wurde Generalpardon verkündet, und beide Lehrlinge haben es ihrem Chef gedankt und ihm feine Güte durch ernste Tätigkeit späterhin reichlich vergolten. Die dicke Tante B. wurde indes fortan deutlich vernachlässigt und fiel bei Hertz später voll ständig in Ungnade, als im Geschäft ein frecher Einbruch, freilich ziemlich erfolglos, stattfand und sie von der viel- stündigen Arbeit der Verbrecher nichts gehört haben wollte. Vielleicht war sie in jener Nacht gar nicht zu Hause, sondern auf einem Honoratiorenball oder sonstwo gewesen. Wer kann's wissen? Fünfzig Jahre sind verflossen seit jener Zeit, da sich das, was hier zu schildern versucht wurde, abgespielt hat. Beide, Wilhelm Hertz und Ferdinand Springer, schlummern längst der Ewigkeit entgegen: jener starb hochbetagt, nach dem er noch unsagbares Leid erfahren, da er eine Reihe reichbegabter, hoffnungsvoller Söhne vor sich ins Grab sinken sah, dieser in reifem Mannesaller, und auch er nicht, ohne seine junge Frau begraben zu haben. Beide haben sich mit christlicher Ergebung in ihr hartes Schicksal gefügt und im Glauben und in rastloser Tätigkeit Trost und Stärke gefunden. Ihre Namen sind oft und viel und mit lautem Preis genannt worden, der Schreiber dieser Zeilen aber ist andre Wege gegangen und hat insbesondere seit vier Lustren dem Wahlfpruch gelebt: Lens virit, gui bsns latent, hat aber auch im Eingang des Aufsatzes dargetan, warum er noch einmal aus seiner Verborgenheit heraustrat. Ob es ihm gelungen ist, die Summe der geistigen und materiellen Tätigkeit dieser beiden hervorragenden Vertreter unseres Standes richtig zu ziehen, das zu beurteilen muß er freilich anderen überlasten. Er liebt die gute alte Zeit, die wenigstens für ihn gut war, und wem etwa seine Schilderung der beiden zu farbensatt oder zu pastös Vorkommen möchte, der wolle bedenken, daß dem Alten die Jugendjahre mit ihrer Lust und ihrem Leid in hellerem Lichte strahlen. Und schließlich kommt keiner ganz aus seiner Haut heraus: ec wird immer zeichnen, wie er gerade mit seinen Augen die Welt sah. Mag man über diese Lehrjahre und unsern Lehrherrn wie immer denken, ob er uns zu viel oder zu wenig lernen ließ und zum Guten anhielt — das wird immer Sache der Ausfassung sein. Nicht nur eins haben wir von ihm davon getragen, sondern dreierlei: Denken, Reden und Schreiben, mit einem Wort gesagt: Arbeiten. Was aber zu viel sein oder fehlen mag, für uns beide Lehrlinge nahmen und nehmen sich nach einem halben Jahrhundert die Flegeljahre — denn solche waren es trotz allem — beneidenswert lieb und schön aus. Die Hauptsache, hat Moriz von Schwind einmal gesagt, ist das Ganze, das uns die Einzelheiten vergessen läßt. Das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 78. Jahrgang. 1096
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