297, 22. Dezember 1900. Künftig erscheinende Bücher. 10143 vie 6ren;botei, sind im letzten Herbst in ihr sechzigstes Lebensjahr getreten. Was ihnen diese Dauer verliehen und die volle Frische ihrer ersten Zeit bewahrt hat, das ist, daß alle ihre Herausgeber, die in diesem langen Zeitraum einander gefolgt sind, von der Ueberzeugung beseelt waren, ihre Zeitschrift fülle einen Platz aus, der ausgefüllt werden müsse. Die Zeiten haben sich geändert und die Menschen in ihnen. Aber alle diese Männer haben mit Ernst und Strenge ihre Ideale in den grünen Heften verfochten. Sie hatten verschiedene Ideale, oder vielmehr das Ideal, dem sie alle vor allem nachstrebten, schien verschiedene Wege zu seiner Verwirklichung zu fordern: immer war es aber die Einheit, die Größe und die Gesundheit unseres Vaterlandes; dazu gehört aber vor allem auch die Erhaltung eines idealen Sinnes in unserem Volke, und dafür haben sie alle ihre Kraft eingesetzt. So ist es geblieben bis auf den heutigen Tag, und wir, die wir die Grenzboten jetzt machen, wissen, daß wir so ehrlich wie unsere Vorgänger für das, was wir als wahr erkannt haben, kämpfen und unsere Kraft einsetzen, und nicht schlechter als sie — ja besser als sie, darf ich sagen, so viel besser, als die Erkenntnis für das gewachsen ist, was not thut. Ich muß dies im Interesse meiner Mitarbeiter einmal aussprechen der unverschämten Taktik derer gegenüber, die uns damit einen Klotz vor die Füße zu werfen suchen, daß sie uns die alten Grenzbotenherausgeber als bessere Männer vorrücken: „Seit Gustav Freytag die Redaktion der ehemals unter seinem Banner so hochbedeutenden und berühmten Zeit schrift niedergelegt hat" — das ist nun gerade dreißig Jahre her! — „sind die Grenzboten nur noch der Schatten von dem, was sie waren", das und ähnliches sagt man uns. Sieht man nicht, wie dumm die Finte ist? Was wissen denn solche Leute von »Gustav Freytag und dem, was er in die Grenzboten geschrieben hat? Hat einer von ihnen die Grenzboten aus den Tagen Freytags studiert oder nur in der Hand gehabt? Ich glaube es nicht; es ist weniger Verlogenheit, was aus solchen Taktlosigkeiten spricht, als Dummheit und Ignoranz. Gott Lob, daß wir aus der Unklarheit seiner Tage herausgewachsen sind. Wir haben festere Ziele vor Augen; in einem aber, worin wir im Gegensatz zu den Jüngsten und Modernen stehen, diesem Gigerltum der Decadence, wissen wir uns ganz eins mit Gustav Freytag und mehr noch als mit ihm mit denen, die an seiner Seite standen, das ist der Idealismus, der sie und uns von den Modernen trennt, wie sich Wasser und Oel scheiden. Es ist zum Lachen, wenn man sich uns gegenüber auf Gustav Freytag beruft. Die Grenzboten stehen mindestens auf derselben Höhe wie zu seiner Zeit, und unsere Hefte werden die Stätte bleiben, wo sich die vereinigen/ die mit Ernst der Wahrheit zu dienen suchen, und denen Pflicht und Gewissen den Weg vorzeichnen. Unter all den Wochenschriften von ähnlicher Art, die hervor getreten sind, sind die Grenzboten die einzigen, die sich durch zwei Menschenalter auf der Höhe erhalten haben. Freytags „Im neuen Reich", das er gründete, als der Verleger der Grenzboten es für gut fand, sich von ihm zu trennen, hat kein Jahrzehnt gelebt. Das zu erwähnen, hüten sich die ehrlichen Leute, denen nur ein Aergernis sind. Und seitdem haben die Grenzboten wieder mehr als zwanzig Jahre segensreiche Arbeit geleistet. Freilich kann man auch bei ihnen sagen: Andere Zeiten, anderer Sinn. Ganz gewiß! Wäre es anders, verstünden wir es nicht, die Aufgaben der Zeit hcrauszufühlen und jederzeit schlagfertig für das einzutreten, was der Augenblick verlangt, dann könnte man uns mit Recht die Arbeit der Männer Vorhalten, die früher in diesen Heften gesprochen haben. Dann wären die Grenzboten aber wohl auch längst nicht mehr vorhanden, während sie doch mit gesunden Gliedern auf den Plan stehen und mehr Abonnenten haben als jemals zu Freytags Zeit. Haß und Ver leumdung fechten uns wenig an: wir haben die Besten für uns, als Mitarbeiter und als Leser. Der Sinn der Grenz boten wird aber immer und in allem Wandel sein und bleiben: Kampf gegen den Unsinn. Ich bitte die Kollegen, die Freunde der Grenzboten sind, die Jahreswende zu benutzen, einen Vorstoß für die grünen Hefte zu machen, die so gut wie ohue Konkurrenz sind. Leipzig. I. Hrunow