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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 31.12.1900
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- 1900-12-31
- Erscheinungsdatum
- 31.12.1900
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- Deutsch
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10372 Nichtamtlicher Teil. HS 302, 31. Dezember 1900. Nichtamtlicher Teil Bücher! Aphoristische Bemerkungen von Hermann Heiberg. (Vgl. Nr. 298 d. Bl.) Vor einigen Tagen haben wir in Hermann Heibergs Rückblick auf die zwanzig Jahre seines schriftstellerischen Wirkens (nach voraufgegangener langer buchhändlerischer Berufsarbeit) die Leser dieses Blattes mit den Reizen und Schrecknissen des Schriftstellerberufs bekannt gemacht, wie sie dem offenen Auge eines erfahrenen und bei aller künst lerischen Begeisterung doch hinlänglich nüchtern urteilenden Mannes sich darstellen, der als langjähriger früherer Ge schäftsmann auch über die materielle Seite der schrift stellerischen Kunstübung ein sicheres Urteil hat. Im Nach folgenden sei mit gefällig erteilter Erlaubnis jenem ersten Artikel eine Auswahl aphoristischer Bemerkungen Heibergs über »Bücher« angereiht, die das »Salon-Feuilleton« vom 13. November 1900 veröffentlicht hat. Viele sLeser werden auch in diesen knappen Bemerkungen das sachgemäße, vor urteilsfreie Urteil und die Beobachtungsgabe ihres früheren Berufsgenossen ohne Zweifel gern würdigen. Vüchrr! Aphoristische Bemerkungen von Hermann Heiberg (Schleswig).*) (Nachdruck verboten.) Wohl eins der schwersten Handwerke, mit denen sich ein Mensch befassen kann, ist das Bücherschreiben, insofern näm lich, als es, so lange Menschen Schreibefinger besaßen und ihre Gedanken in Zeichen umwandelten, keinem gelungen ist, ein Buch darzubieten, das männiglich gefallen hat. Ja, wenn Bücher nicht unter den Einwirkungen de? Magens gelesen würden, sondern unter dem Gesichtspunkt, sagen wir, dem Willen, sich der Auffassung des Autors an- zubequemen. Aber da jeder Mensch eine Schöpfung für sich ist, so tritt er auch jeweils mit seiner spezifischen Anschau ung den geschilderten Personen und Verhältnissen gegenüber. Und ein einziger kleiner Umstand ist imstande, ein mittelmäßiges Werk zu einem beachteten zu machen, während gleichzeitig andere Bücher, die einige nicht zur Zunft gehörende »Genies« geschrieben haben, erscheinen, sich ohne Geläut in ihrem unauffälligen Gewände präsentieren und wieder völlig unbeachtet verschwinden. Ohne angesehene und einflußreiche Paten geht's nicht! Tüchtige Verleger, sachliche oder wohlwollende Kritiker und ein gewisses Glück müssen zum Erfolg Zusammenwirken. Viel mehr, als man denkt, hängt bei einem Buch von einem wohlklingenden, die feineren Sinne reizenden Namen, mehr noch von einem guten Titel ab. Ein Schriftsteller, der Gundomar Fettauge heißt, hat von vornherein verspielt, und wer der gebildeten Welt einen Roman etwa unter dem Titel »Jauche« darböte, wäre fürs Irrenhaus reif. Wir sind allmählich in eine Zeit geraten, in der sich jeder dritte Mann und jede zweite Frau auf's Schreiben ver legt, und nur eines ist rätselhaft: woher die Verleger kommen und woher sie die Lust nehmen, Geld einzubüßen. Geradezu ungeheure Summen werden auf dieser Rou lette "des litterarischen Erfolges verloren, und nur zwei reiben sich die Hände: die Papierfabrikanten und die Buchdrucker. *) AuS dem -Salon-Feuilleton-, Wöchentliche Corrcspondenz für Zeitungen. Herausgeber vr. Jos. Cttlinger. Verlag von F. Fontane L Co., Berlin IV. Die meisten Verleger werden mit ganz langen Gesichtern in die Särge gelegt: eine Folge der vielen Ostermessen-Ent- täuschungen mit ihrem reichen Segen an »Krebsen«. * * -fl Die schreibende Frau war früher der einzelnen Rotbuche unter zahlreichen grünen Parkbäumen vergleichbar George Sand und die Verfasserin von Thomas Thyrnau bewunderte man. Von der Gräfin Jda Hahn-Hahn sprach die halbe Welt. Heute schreiben mehr Frauen, als sich die Schulweis heit sämtlicher Horatios träumen läßt. »Lauter Frauenzimmerromane, und, Gott sei's geklagt, fast alle können etwas!« äußerte einmal der Redakteur einer illustrierten Zeitschrift, als ich ihn in seiner Arbeitsstube be suchte, und wies auf einen Stapel neuer Bachereingänge. Wir lesen von der Heuschreckenplage in südlichen Ländern. Die jetzige Ueberflutung des Büchermarktes ist eine geistige Heuschreckenplage. Jedes neue Buch, das erscheint, besitzt neben seinem sichtbaren Exterieur noch einen unsichtbaren Rachen, mit dem es das vorher erschienene verschlingt. Können sich Bücher überhaupt noch ausleben? Herrliche Bücher sind in den letzten 25 Jahren ge schrieben worden. Wer weiß von ihnen, wer spricht von ihnen? Jahrelang arbeitet ein kluger Mensch an einem schönwisscu- schaftlichen Werk. Jedes Wort ist zehnmal erwogen, der Wohllaut abgemessen, alles Unwesentliche — so wertvoll es an sich sein mag — um der kunstgerechten Zwecke willen ausgemerzt. Er zittert in froher Erwartung, das erste Exemplar vor Augen zu sehen, und wie gleichgiltig geht die Welt zur Tagesordnung über, läuft, rennt, pflegt das eigene Ich, ißt, trinkt und legt sich schlafen. Das Buch eines unbekannten Autors bedeutet nichts, und wenn er ein Calderon, ein Dante, ein Nibelungendichter wäre. Erst gilt es für den Debütanten, die Ellbogen ge brauchen, um in der sich stauenden Riesenmasse einen Platz zu erobern. Aber die Riesenmasse erdrückt ihn, wie in dem Menschengedränge ein Kind erstickt wird. Ein treffliches Buch wird meist so gut verkannt wie ein edler Mensch. Man bringt für beide keinen Glauben mit oder will ihn später nicht bekennen. Wie viele Bücher werden überhaupt im Verhältnis zur Produktion gekauft! Menschen, die sich Bücher kaufen, Bücher, die weder »Klassiker« noch »Prachtwerke« zum Auflegen auf den Salontisch sind, werden von der Durchschnittsmasse noch heute unter die Zahl der Sonderlinge gerechnet. Und wie viele von den älteren Werken, die sich in den Bibliotheken Privater befinden, werden überhaupt angesehen! — Allenfalls die vergoldeten Rückentitel! — Staubtücher und Wedel sind in dieser Beziehung die aufmerksamsten Beachter jener Reihen, die sich »Klassiker« nennen. Gute Bücher! Das unerschöpflichste aller Bücher ist die Natur; man liest sie niemals aus, und lehrreicher als hundert tausend Bände aller Geistesgrößen ist das Buch des Lebens. Der berühmte Thomas a Kempis hat einige tausend Auflagen erlebt; die Bibel, die über fünfzehntausend Ausgaben zählt, ist schon in vielen Milliarden gedruckt worden. Aber sonst? Eines der weisesten Bücher, das je ein Mensch erdacht hat, schrieb der spanische Schriftsteller Balthasar Grazian. Es heißt: »Handorakel der Weltklugheit«. Wer kennt es! Und doch ist eine Uebersetzung von keinem Ge- ringsren als Arthur Schopenhauer bei Brockhaus in Leipzig erschienen. Und doch: welch ein Schatz ist ein' gutes Buch! Es kommt in der Wirkung fast der Natur gleich, zu der sich der empfängliche Mensch in seiner Gemütsbedrückuug als zu der großen, nie versagenden Trösterin flüchtet.
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