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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 13.08.1924
- Strukturtyp
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- 1924-08-13
- Erscheinungsdatum
- 13.08.1924
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- Deutsch
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^ 189, 13. August 1924. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 10507 abgclcnktc Gedanken sichren, und daß der größere Teil alles irdischen Leiden nur ans das mangelhafte Gcdankcntraining zuriilkznsiihren ist. Dabei die Sorge um das Wohlbefinden des Lesers im Vordergrund, den Sinn der Übung kaum erkennen lassend. Ich könnte mir verstellen, daß — um ein spezielles Beispiel zu geben — die Verleger lcbcnsrcsormcrischer Schriften die Aufmerksam keit auf den Wert der Gesundheit und auf die alte Weis heit. daß Vorbeugung die beste Medizin gegen Krankheit und Miß erfolg ist, so raffiniert und systematisch lenkten, daß der Reichstag mit Petitionen überschüttet, wahre Papicrschlachtcn zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde cntsacht würden und damit eine Volksbewegung entstände, an der das Buch einen nicht geringen Nutzen hätte. stch könnte endlich mir vorstcllcn, daß mit einer derartigen zielbe wussten, zweckmäßige», den Ergebnissen neuzeitlicher Reklame-Psychologie Rechnung trageudenWcrbcarbcit,die unaufhörlich i» der unverfänglichsten Ausmachung für das Buch wirbt und nochmals wirbt, mit dem Unsinn der Phrase, daß das Buch ein Luxusartikel sei, ausgcränmt werden kann. Allerdings müßte vorerst ein gutes Teil von Unetgcnniitzigkeit mit ins Geschäft gesteckt werben. Fl—ack. Äöes UM Liebe. Goethes Briefe aus der ersten Hälfte seines Lebens. Mit lebensgeschichtlichen Ver bindungen von Ernst Hartung. Um ein Mertel ver mehrte Neuauflage 1924: 2l0. Tausend. 423 S. Text und 7 S. Register. Mit einem Bildnis in Mezzotinto. Holzfreies Papier. Mit Fadenheftung in Leinenrllcken geb. M. 4.50. Dom tätigen Leben. Goethes Briese aus der zweiten Hälfte seines Lebens. Mit lebensgeschichtlichen Verbindungen von Ernst Hartung. Um ein Viertel ver mehrte Neuauflage 1924: 130. Tausend. 503 S. Text und 8 S. Register. Mit einem Bildnis in Mezzotinto. Holzfreies Papier. Mit Fadenheftung in Leinenrücken geb. Mk. 4.50. . (Beide Bücher: Verlag Wilhelm Langewiesche-Brandt, Ebenhausen bei München.) Nach unserer Gepflogenheit haben diese beiden Bücher, da sie von einem Buchhändler (wenn auch unter Pseudonym) gearbeitet worden sind, ein Anrecht darauf, hier besprochen zu werden. Wir lassen uns durch die soeben erschienene vermehrte Neuauflage hierzu anregen und drucken als Besprechung ab, was Professor 1)r. I. Hos - miller in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 3. August darüber schreibt, besonders auch, weil eine längere scheinbare Abschweifung in seinen Ausführungen für jeden Buchhändler anregend und be herzigenswert sein dürfte: Der Briefschreiber Goethe. Allesum Liebe — Vom tätigen Leben. Weit über eine Viertclmillion Bände! Das ist doch wohl einer der größten Erfolge eines deutschen Verlags, wenn sich's weder um einen Modernen handelt noch um einen Filmtext, nicht einmal um eine neue Weltanschauung, sondern um etwas — ach so Altmodisches! ach so Unaktuelles —: um eine Sammlung von Briefen Goethes. Wirklich und wahrhaftig sind die zwei Bände, in denen der Verleger Wilhelm Langewicsche die schönsten dieser Briefe vereinigt, eingeleitet und lcbensgeschichtlich verbunden hat, bisher in einer Gesamtauflage von 340 000 gedruckt worden. Wo haben wir sie nicht überall angetroffen, diese beiden Bände! War es nicht jedesmal ein wärmendes Leuchten, das von ihnen ausging? Hatten mir nicht gänzlich Unbekannten gegen über sogleich das Gefühl, zur nämlichen Gemeinde zu gehören, ein ander geistig vorgestellt zu sein? Was kümmerte uns der verregnete Tag in der Schutzhülle: da stand »Alles um Liebe« auf dem Bllcher- bodr, da stand »Vom tätigen Leben« — wir stopften uns eine Pfeife, legten die Beine auf die Bank, jeder in seinem Winkel, und lasen, lasen, lasen diese Briefe, die heute noch so von Leben sprühen wie da mals, als sie geschrieben wurden. Wilhelm Langewicsche hat gewiß eine Reihe prachtvoller Bücher verlegt, bei denen einem die Wahl ordentlich weh tut: Da sind die vier geschichtlich-politischen Grundwerte: Der König, Die Befreiung, Der Kanzler, Moltke: da sind die vier Auswahlbände: Luther, Eichen dorff, Die Droste, Hoffmann. Da sind die beiden Bände der Ernte: das edelste Gut unserer Dichtung von der Frühzcit bis heute. Da sind die Briefe der zwei urwüchsigsten deutschen Frauen: Liselottens von der Pfalz und der Frau Rat Goethe, da sind noch ein Dutzend andere Bände, jeder gleich lesens-, gleich bcsitzenswert, aber da ist »Alles um Liebe« und »Vom tätigen Leben«, und das ist doch die Krone und bleibt die Krone. Ich gestehe, wenn mir jemand zugemutet hätte, aus Goethes Briefen eine Auswahl in zwei Bänden zu treffen, ich wäre erschrocken. Nicht weniger als 36 Bünde füllen sie in der Weimarer Ausgabe, und selbst die Auswahl Eduards von der Hellen bei Cotta umfaßt noch sechs. Und doch mußte diese Aufgabe gelöst werden, wenn anders die Deutschen Goethe als Bricfschreiber endlich kennen lernen sollten. Es war genau wie bei der Droste. Daß die Droste die herrlichste Dichterin aller Zeiten und Völker ist, wie wenige wußten das! Seit Langcwiesches Droste-Band wissen es Hunderttausende. Und daß Goethe unser größter Briefschreiber ist, wer hat das den Leuten erst beige bracht, wenn nicht abermals Langewicsche? Unser größter, nicht unser glänzendster. Es ist merkwürdig, wie alle Lobesworte, die irgend etwas Einzelnes hervorheben, Goethe gegen über ins Blaue treffen. So wenig er, unser größter Aphoristiker, je mals in seinen Aphorismen das ist, was man »geistreich« nennt (— geistreich ist Lichtcnberg, Nietzsche ist geistreich —), ebensowenig ist er in seinen Briefen glänzend, so etwa wie Bismarck gelegentlich geruht, einen glänzenden Brief zu schreiben, oder wie Schiller ein glänzender Briefschreiber war (Beweis sein berühmter Werbebries an Goethe) oder wie Fontane auch in seinen Briefen ein entzückender Plauderer war, oder gar wie Alexander von Villers ein Nichts-als Briefschreiber von solchem Esprit, daß man bis zu Doudan und zur Ssvignä gehen muß, um ein Seitenstllck zu finden. Das ganz Große ist jenseits des Glänzenden, des Geistreichen (ungefähr wie man Mo zart gegenüber sofort stockt, wenn man etwas in dieser Richtung sagen will: man hat die Empfindung, vorbeizuloben). Dies, nebenbei, ist cs auch, was einen in den Gesprächen Eckermanns mit Goethe immer wieder etwas mißtrauisch macht: bei Eckermann erscheint der alte Herr häufig glänzend, wie wenn der Famulus Wagner zu Faust gesagt hätte: »bitte, recht bedeutend!« Bei Niemer, beim Kanzler Müller nie; und dennoch, wirkt nicht vieles, was beim Kanzler nur in indirekter Rede steht, direkter, goethischer als die berühmtesten Stellen bei Eckcrmann? Goethe hat nie einen schönen Brief geschrieben, um einen schönen Brief zu schreiben. Darum sind seine Briefe so wundervoll. Er ist nicht einen Augenblick lang kokett, er schreibt nie vor dem Spiegel, nie guckt ihm die Nachwelt über die Achsel. Kein Gefühl wird forciert, kein Ausdruck ausgepreßt, alles steht natürlich da, wie ge boren und gewachsen. Wie gesund ist es, solche Briefe zu lesen, wie stärkend und stählend! Denn all unser Lesen, worauf läuft es schließ lich hinaus? Daß wir rechtzeitig an die richtigen Bücher kommen und Geld und Zeit nicht verläppern. Philologisch mag sie noch so anfechtbar sein, die Inschrift auf der alten Berliner Bibliothek ^utrimevtum Spiritus, aber sachlich trifft sie den Nagel auf den Kopf: Bücher sind Nahrung. Alles, was man über das Lesen klugreden und geistreicheln mag, ist pures Geschwätz, ohne diese Grundwahrheit: Bücher sind keine Narkotika, Bücher sind keine Stimulantien, Bücher sind Nahrung, und wer glaubt, von Stimulantien und Narkotika leben zu können, wird an ihnen sterben. Daß ein Mensch nicht mit Eierkognak, Malossol und Schlagrahm auf die Dauer bestehen kann, weiß jeder. Aber Tausende füttern sich mit nichts als Konditorliteratur, Likörliteratur, Gourmetliteratur, und laufen geistig mit einem scheußlichen Magen katarrh herum, weil sie's nicht glauben, daß auch im Geistigen An fang und Ende aller Weisheit die ganz einfachen, ganz unverfälschten Tinge sind: Milch, Brot, Honig, Früchte. Spüren sie je, daß nicht alles in Ordnung sei, so gibt es- keinen Weltanschauungsquacksalber, dessen Wunderpillen sie nicht schlucken, und keinen Seelenscharlatan, von dem sie sich nicht gesund beten lassen. Das landläufige Gerede von moderner Differenziertheit und Kompliziertheit ist Quatsch: so wenig sich die menschlichen Verdauungsorgane im Physischen geändert haben, so wenig im Geistigen, und wenn jeder dritte Zeitgenosse an seelischen Blinddarmreizungen laboriert, so ist er selber daran schuld. Mit diesem schönen Exkurs haben wir uns von diesen schönen Goethebllchern nicht etwa entfernt, sondern sind ihnen um einen großen Schritt näher gekommen: »Alles um Liebe« und »Vom tätigen Leben« ist nicht so zu verstehen wie Liszts Heiliger Franziskus auf den Wogen schreitend, wo der Pianist mit der einen Hand den Franziskus macht und mit der anderen die Wogen, sondern, wenn wir schon einen Ver gleich aus der Musik heranziehen wollen, eher wie der Schluß des 136b*
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