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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.01.1912
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- 1912-01-23
- Erscheinungsdatum
- 23.01.1912
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9L0 MrpMatt s. b. Dtschn. vuchh-md-l. Nichtamtlicher Teil. 18, 28. Januar 1912. musikalischer Schund durchaus nicht klargestellt worden war, trotzdem man also den Bazillus dieses Leidens nicht erkannt hatte, suchte man nach Mitteln, ihn zu bekämpfen. Vorerst sollte auf dem Wege des Unterrichts der Musikschüler in den Stand gesetzt werden, den eignen Geschmack zu läutern, um später in seinen Kreisen dann ausklärend und bessernd zu wirken. Angenommen, daß Einigkeit über gut und schlecht bei allen Lehrenden erzielt werden kann, so haben die Herren Pädagogen dabet ganz vergessen, daß ja nur ein Bruchteil aller Kinder Musikunterricht erhält. Kann da wirklich ein Menschlein mit sogenanntem guten Ge schmack Tausende von musikalischen Wilden bildend beeinflussen? Aber wenn auch der Musikunterricht in allen Schulen obligatorisch eingeführt würde, so würde der Erfolg im Sinne der Reformer genau so wie jetzt ausbleiben. Alle Deutschen können schon seit vielen Jahrzehnten lesen und schreiben, ohne daß deswegen die breiteren Massen für die vornehmere Literatur empfänglich gemacht werden konnten. Ein weiterer Vorschlag, der den ersten ergänzen sollte, war die Beschaffung einer neuen llnterrichtsliteratur, um den Musikschüler den Unterschied von gut und schlecht rascher er kennen zu lassen. Daran, daß man Derartiges und zwar vom Besten in Hülle und Fülle zur Hand hat, an dem selbst die verbissensten Neuerer nicht zu deuteln wagen (Bach, Berens, Berttni, Cramer, Czerny, Diabelli, Herz, Knorr, Köhler, Kullack, Loeschhorn, Moscheles, Riemann, Schmitt usw.), dachte man nicht, auch nicht an die gewaltige Überproduktion auf allen Gebieten, bei der namentlich die Herren Modernen oft recht schlecht abgeschnitten haben. Ein dritter Weg, der erst kürzlich in Vorschlag gebracht wurde, aber bei aller Anerkennung für das ernste Bestreben der Pädagogen mit dem besten Willen nicht beschritten werden kann, ist nachstehender: Der pädagogische Verband hat eine Kommission aus ehrenhaften, unparteiischen Musik sachverständigen gebildet, bei der alle eingehenden Kompo sitionen — es erscheinen zurzeit einige Tausende in jedem Monat — geprüft werden und — soweit diese die Zensur bestanden haben — mit einem Stempel -Von der Prüfungs kommission ausgewählt« versehen werden sollen, worauf diese dann in einem Spezialkatalog Aufnahme finden sollen. Ganz abgesehen davon, daß sich kein honetter Kom ponist oder ernster Verleger in solcher Weise bevormunden lassen kann, steht dem die nicht von der Hand zu weisende Unstimmigkeit — um keinen schärferen Ausdruck zu wählen — entgegen. Wir haben in jeder Kunst bestimmte Rich tungen und Strömungen, während diese Kommission nur eine allein davon vertritt und daher unbedingt einseitig urteilen muß oder keine friedliche, fruchtbare Arbeit leisten kann, wenn darin Richtungen aller Schattierungen vertreten sind. Ist es dem Verband wirklich ganz unbe kannt, in welcher Weise unsere Großen in der Kunst und besonders in der Musik sich gegenseitig beurteilt und ein geschätzt haben? Weißer tatsächlich nicht, mit welch unglaub lich feindseligen Bemerkungen sie gegeneinander zu Felde gezogen sind? Genuß mag nicht jeder Ausspruch verbürgt sein, viele aber find es und können als bare Münze gelten. So hat Jos. Haydn, als er die ersten Werke L. van Bee thovens Hörle, die Äußerung getan: aus diesem wird nie etwas Ordentliches werden. Beethoven hat dann wieder über die Opern von W. A. Mozart geurteilt: solche Werke könne er nicht komponieren, dagegen habe er einen Widerwillen. H. Berlioz nannte die Opern G. Rossinis einen melodischen Zynismus, während dieser behauptete, bei den Opern von C. M. v. Weber Leibschmerzen zu bekommen. B. Romberg bezeichnte die Quartette Beethovens als barockes Zeug, und G. F. Händel war der Ansicht, daß sein Koch ein besserer Musiker sei als CH. W. Gluck, der große Neuschöpfer der ernsten Oper. Franz Liszt urteilte über die Werke Johs. Brahms' mit den Worten: Das ist eine Musik für diejenigen, die am liebsten gar keine Musik haben; von L. Cherubim meinte er, es ginge ihm wie dem Erzherzog Karl, er mache die besten Pläne, verlöre aber stets die Schlacht; auch für das Ehepaar Robert und Clara Schumann hatte er spöttelnde Bemerkungen. Der greise Meister Felix Dräsecke warnt vor dem Weiterschreiten der Modernen und rät zur Umkehr. Felix Mottl, der erst kürzlich aus dem Leben schied und den wohl niemand als musikalischen Reaktionär zu verdächtigen wagt, hat 1904 in Salzburg beim Mozartfest wörtlich ausgesührt: Heutzutage ist in der Musik so viel Modernes, Unwahres, Häßliches und Scheußliches, was sich fälschlich fortschrittlich nennt. Siegfried Wagner hat sich in den schärfsten Ausdrücken gegen Richard Strauß ge wandt, die außerhalb aller parlamentarischen Gepflogenheit liegen und die nicht etwa dessen marktschreierische Reklame allein treffen sollten, sondern in erster Linie seine Künstler- schast. Dafür deckt diesen Kritiker ein ungenannter musikalischer Mitarbeiter in einer Fachzeitschrift nicht ungewandt zu, indem er den jungen Siegfried daran erinnert, wie wenig er bisher als Architekt (S. Wagner hatte vor her das Baufach studiert) und als Komponist geleistet habe. Auch der von vielen in den Himmel gehobene Max Reger befriedigt durchaus nicht dis ernstere Kritik seiner Richtung, und erst vor kurzem ist ihm wiederholt sein Phrasentum vorgeworfen worden, mit dem man leicht Hunderte von Werken verfassen könne, ohne sür weitere Fortsetzungen jemals in Verlegenheit zu kommen. Die gegenseitige künstle rische Abneigung zwischen Reger und Richard Strauß ist ja auch wohl ein offenes Geheimnis, wobei der elftere mit seiner ungemein natürlichen, zugleich aber auch sehr drastischen Redeweise am interessantesten ist. Wenn hervorragende Künstler über mindestens ebenso bedeutende Kollegen so ab fällig, mißgünstig und wohl auch unbesonnen urteilen, so können die Vertrauensmänner der Prüfungskommission, die doch unbedingt selbst Komponisten sein müssen, ohne ihre Ehrenhaftigkeit anzweifeln zu wollen, nicht verlangen, daß man ihnen vollständige Objektivität zutrauen soll. Wenn nun die Entdecker des musikalischen Schundes für diesen Begriff das Eigenschaftswort »seicht« gewählt hätten, dann würde eine Verständigung leichter sein, man könnte dann wenigstens darüber streiten. Seichte Musik gibt es sogar in großer Anzahl; hervorragend begabte Komponisten, die, wie ich mich ausdrücken will, Besseres schaffen könnten, find dabei besonders tätig. Aber diese Musik, die das Ohr des Un befangenen ebenso reizt (es sind auch die besten Menschen darunter) wie die kontrapunktistischen Kunststücke den Ver feinerten, find ein dringendes Bedürfnis für die große Mehr zahl, die nach Musik lechzt. Diese Mehrzahl will in erster Linie Melodie haben. Das ist ein berechtigtes Verlangen, dem die kleine Gruppe der Verfeinerten nicht entsprechen will, vielleicht auch nicht mehr entsprechen kann. Die Musik ist die einzige Kunst, die wirklich volkstümlich ist und allgemein vom Volke gepflegt wird, das noch heute aus dem Boden des Volksliedes steht, dessen ältestes erst aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts stammt. Die vor dieser Zeit liegenden sogenannten altdeutschen Volks- und Landsknecht lieder sind weder von diesem noch von jenen volkstümlich gesungen worden. Abt, Curschmann, Gumbert, Heise, Kücken, Reißiger und manche andere Komponisten der Mitte des 19. Jahrhunderts haben den Volksliederton dann weiter ge pflegt, und manche ihrer Weisen sind in den Volks liederschatz und Volksmund übergegangen. Einen Teil dieser Lieder erkennt ja wohl auch der Moderne an; ob aus innigster Überzeugung oder weil die Anregung dazu aus hohen Kreisen kam, soll hier unerörtert bleiben.
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