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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.01.1912
- Strukturtyp
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- Band
- 1912-01-23
- Erscheinungsdatum
- 23.01.1912
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- Deutsch
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^ 18, 23, Januar 1912. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 951 Dis Operette, die geschmähteste und doch so gern gepflegte Kunstrichtung, mag ja einer Veredlung bedürftig sein, trotzdem auch jetzt schon dem Reiz ihrer Melodien und ihres Schwunges auch bessere Leute erliegen. Darum ist es aber noch lange kein Schund, und zwar aus dem Grunde, weil die Musik keinen Schund Hervorbringen kann. Dazu ist sie viel zu wenig ausdrucksfähig. Sie kann wohl im feurigen, marsch mäßigen Rhythmus, im Takt beleben, ja begeistern, aber dasselbe Musikstück wird — entsprechend ver langsamt — gerade die gegenteilige Wirkung Hervorbringen. Man zwinge dasselbe Stück in einen?/«-Takt, so regt es sicherlich die Tanzlust an. Also nicht die Musik ist es, die begeistert oder eine andere Stimmung erzeugt, sondern der Rhythmus und das Tempo — die Musik hat damit absolut nichts zu tun. Mit der Wirbeltrommel, die keine Musik hervorbringt, kann man Stimmungen Hervorrufen und sie banalste Melodie durch Änderung des Rhythmus veredeln, wie umgekehrt verschandeln. Leopold I. von Anhalt-Dessau, der alte Dessauer, hat nach der alten Marschmelodie, deren zotiger Text wohl ziemlich bekannt ist (So leben wir, so leben wir usw.), in der Kirche den geistlichen Text des Gesangbuches singen lassen und. um mit Theodor Körner zu reden — seine reuige, aber besoffene Armee hat sich daran mit ihrem alten Dessauer erbaut. Ähnlich, freilich nicht so drastisch, verfährt man in einigen Städten Nordamerikas, wo man der Melodie manches weltlichen Liebesliedes geistlichen Text im Gottesdienst unterlegt. Die Musik kann mehr oder weniger wertvoll sein, aber soweit es sich nicht um stümperhaften Dilettantenkram handelt, ist sie eben Sache des Geschmackes. Es gibt viele Menschen, dis die Klassiker und darüber hinaus bis Wagner und Brahms hochschätzen, aber einer Salome und dergleichen keinen Geschmack mehr abgewinnen können. Die Musik an sich ist gar nicht fähig, zum Schund herabzustnken, das vermag allein der ihr absichtlich oder unabsichtlich beigegebene oder hinzugesügte Text. Würde jemand etwa wagen, das herrliche und zugleich weihevolle Trio des Trauermarsches von Fr. Chopin (aus der Sonate ox. 3S) für Schund zu erklären? Wenn aber der musikalische Janhagel dazu grölt: »In der Wüste der Sahara ging der Cohn mit seiner Sarah«, dann ist es doch wohl nur durch den Text geschändet. Genau so geht es mit dem Choral »Mein erst Gefühl sei Preis und Dank«, dessen letzte Worte in preuß'sch Courant umgewandelt werden. Die prächtige Ouvertüre »Jphigene in Aulis« von Chr. W. Gluck ist von einem Unberufenen »vn paroäis ovwigns» für 2 Singstimmen verunziert, und dem prächtigenjMarsch aus der »Stummen von Portici- von D. Auber hat man den blödsinnigen Text unter legt »Kommen sie rein, kommen sie rein in die gute Stube«. Wie mancher schöne Tanz und Marsch ist durch törichte Textunterlage verdudelt worden, ohne der scheußlichen Zoten zu gedenken, die hier und da bekannt sind! So z. B. Jos. Gungl, Erinnerung an Peterhof: »Ach nur ein einziges Mal möcht' ich noch tanzen», Carl Millöcker, Carlotta-Walzer: »Mutter, der Mann mit dem Koks ist da», Joh. Strauß Vater, Annen-Polka »Den Heinrich liebt' ich einst mit Glut», »Jos. Gunzel, Kriegers Lust, Marsch: »Keiner war wohl je so frech wie der Bürgermeister Tschech-, F. v. SuppS, Fatinitza-Marsch: »Du bist verrückt, mein Kind», Regimentskolonne, Marsch: »Mach' mir keine Wippchen vor«, Jos. Lanner, Abendsterne, Walzer: »Hast du nicht meinen Anjust gesehn» usw. Wenn aber vielleicht gar die Wächter des guten Geschmacks den Tanz überhaupt als eine musikalische Ver irrung bezeichnen, so müßten Beethoven, Chopin, Liszt, Schubert und viele andere Meister mit in den Bann getan werden. Wirst man ein, daß deren Tänze keine sür vulgäre Drehungen bestimmten Musikstücke seien, so sage ich: Spielt sie nur in den richtigen Rhythmen, dann geht es ganz famos. Mit welchem Recht also will eine kleine Minorität, und sei sie noch so überzeugt von der Richtigkeit ihrer Kunst bestrebungen, eine gewaltige Mehrzahl zu ihrer Ansicht zwingen, deren Betätigung doch nur den Zweck haben könnte, Millionen die Freude an der von ihr gepflegten, ein fachen Kunstform zu rauben? Weiß denn diese jetzt sich an der Spitze dünkende Minorität, wie lange es noch dauern wird, bis auch sie abgetan ist? Die kleine Gemeinde der Hypermodernen rümpft schon heute die Nase über die ver alteten Richard Wagner, Jos. Brahms und ihre Gefolg- schaft. Hat sie denn ganz vergessen, daß Hiller, Lachner, Raff. Rubinstein und viele andere Führer einer erst jüngst ver gangenen Periode dem Nachwuchs kaum noch dem Namen nach bekannt sind? Über guten und schlechten Geschmack wird sich immer streiten lassen: während des einen Leibspeise Kartoffel salat mit Leinöl ist, liebt der andere Vogelnester und Wildbraten L ls. baut-xoüt. Von der Musik behaupten Männer, die in anderen Künsten hochgeschätzt sind, daß sie ein mit unangenehmen Geräuschen verbundenes llnterhaltungsmtttel sei. Unsere Modernen haben in den letzten Jahren sür die einfachste Kunstform, das Lied, das geradezu eine einfache Klavierbegleitung fordert, das Orchester als Beigabe herausgestellt. Warum haben alle unsere großen Liederkomponisten, wie Franz, Brahms, Lassen, Schubert, Schumann, Hugo Wolf, selbst Loewe und Rich. Wagner darauf verzichtet? Vermutlich weil sie es für geschmacklos hielten und der Meinung waren, mit einfacheren Mitteln hierbei mehr zu erreichen. Ausgeschlossen ist es, daß es selbst der mächtigsten Partei gelingen kann, alle unsere deutschen Komponisten ausnahmslos zu einer Richtung, wie das jetzt angestrebt wird, zu vereinen. Sollte aber doch der Fall möglich sein, so müßte man das Grablted unserer deutschen Komponisten anstimmen. Schon jetzt macht sich das Fremdländische in unserm Konzertsaal, Theater und Sortiment breit, wie jeder weiß, der nur einiger maßen seine Augen offen hält. Dann aber würde uns das Ausland überschwemmen und der deutsche Komponist den Schaden davon tragen. Lasten wir also jedem seinen Geschmack und der großen Menge ihr Lied, ihre einfachen Weisen. Die Musik kennt keinen Schund, weil sie keinen hat. Ernst Challier sen.-Gießen. Leipziger Briefe. i. Nicht lange dursten wir uns der friedlichen Stille des Weihnachtsfestcs erfreuen, wenn auch diesmal eine schier nicht enden wollende Reihe von Feiertagen in reichem Maße Gelegenheit zur Ruhe und Erholung und zur Geselligkeit im Familien- und Freundeskreise darbot. Die Wahlen zum Reichstage und der damit verbundene unvermeidliche Trubel setzten unmittelbar danach ein und beherrschten fast aus schließlich das öffentliche Interesse. Inzwischen zeigte das Leben im Buchhandel wieder ein ruhigeres Bild und glich dem Spiegel der See, wenn sie keinen nennenswerten Wellenschlag entwickelt. Wie man in der Fachpresse Nachlesen kann, hat man sich in dieser von wichtigen buchhändlerischen Dingen natürlich weniger erregten Zeit mit der müßigen Frage beschäftigt, was die Leipziger Engrosmefsen dem Buchhandel im allgemeinen und dem Leipziger Buchhandel im besonderen sein könnten, und man ist zu dem merkwürdigen Resultat gelangt, daß sie für beide zurzeit nichts weiter bedeuten, als eine Reihe verpaßter Gelegenheiten. iss»
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