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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.05.1876
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- 1876-05-03
- Erscheinungsdatum
- 03.05.1876
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- Deutsch
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101, 3. Mai. Nichtamtlicher Theil 1583 Lücke ausfüllt, sondern weil sie ein wenn auch knappes, so doch meisterhaft getroffenes und scharfes Bild von der politisch-rechtlichen Entwicklung Deutschlands gibt. Denn wenn der Verfasser im Vor worte sagte (S. VI): „Ich bin daher eifrig bestrebt gewesen, mich aus der auf das genaueste von mir durchforschten Masse des gesetz lichen Stoffes zu wahrhaft geschichtlicher Auffassung desselben emporzuarbeiten, Höhen geschichtlicher Aussichtspunkte zu ersteigen, um den Weg zu überblicken, welchen der sich entwickelnde Rcchts- gedanke bereits durchlaufen hat, zu periodisiren, zu gruppiren und überall die Gesetze über die Presse aus den Zeitverhältnisien heraus und im Zusammenhänge mit den Bewegungen der Presse selbst dar zustellen", — so können wir nur hinzufügen, daß dieses Streben von dem schönsten Erfolge gekrönt worden ist. Es ist kein heiteres Bild, das sich da vor uns ausrollt, aber ein interessantes, bedeutungsvolles Bild, das wir nicht müde werden sollten anzuschauen um der Erweiterung unserer politischen Erkenntniß willen. Es sei mir gestattet, eine kleine Federzeichnung davon zu entwerfen. Auf Deutschland, wo bereits 1450 sich Spuren einer Censur zeigten, und im Jahre 1486 Erzbischof Berthold von Mainz die erste förmliche Censurcommission einrichtete, hatten es die Päpste mit ihren Preßbullcn ganz besonders abgesehen, und die weltliche Macht bemühte sich, das Geschäft der Geistlichkeit mit ungeschwächtcn Mitteln sortzusetzen oder in Compagnieschaft mit ihr zu betreiben. Der Speierischc Reichsabschicd (1529) führte die Censur allgemein ein, der Augsburgische (1530) gab genauere Ausführungsbestim mungen, und die Reichspolizeiordnung (1548) verschärfte sie. So verschworen sich Kaiser und Papst gegen die neue Kunst-, hinter dem weltlichen Büttel stand die Inquisition mit dem Bannstrahl. Allein Kaiser und Papst konnten wohl das Wort, aber nicht den Geist in Fesseln schlagen, und keine Censur vermochte der Reformation mit ihrem literarischen Drange, den Schriften Hutten's und Luther's, Sebastian Brandt's und Hans Sachsens den Weg in die Herzen des Volkes zu versperren. Je mehr aber die Druckereien und das Bildungsbedürfniß wuchsen, desto größer wurde die Angst der Machthaber vor dem Preßungeheuer: ein Reichsgesetz jagte das andere, eines schärfer als das andere, und jedes erfüllt von neuen Klagen über die mangelhafte Befolgung der bisherigen Verordnungen und über die grausigen Folgen der Druckfreiheit. Die Buchdruckereien wurden auf Fürstensitze, ansehnliche Reichs- und Universitätsstädte be schränkt, die Buchdrucker einer Prüfung ihrer Zuverlässigkeit und dem Eideszwange unterworfen, ein kaiserlicher Fiscal zur Ver folgung der Preßüberschreitungen, Büchervisitationen, und endlich in Frankfurt am Main die mit den Befugnissen einer Obercensur- behörde ausgestottete Büchercommission cingeführt; — lauter ohn mächtige Versuchenden immer mächtiger sich heranwälzenden Strom der religiösen und politischen Aufklärung abzudämmen. Es thaten sich hierin namentlich hervor: der Reichsabschied von 1570, die Reichspolizeiordnnng von 1577, das kaiserliche Decret von 1715 und das kaiserliche Patent von 1746. Aber allmählich nahm die Presse eine noch viel gefährlichere Gestalt an: ihr Haupt wuchs wie das Haupt der Hydra, hundert fach, tausendfach, jedes neue eine Macht für sich; jedes einzelne ein denkender Gegner; — es entstand der Journalismus! Der Jour nalismus entstand, und sofort beherrschte er die Literatur. „Was ist eine Schrift?" ruft Louis Blanc aus. „Ein Wort, welches dauert. Die Bücher lassen cs zehn Jahre, zwanzig Jahre, ein Jahrhundert, zehn Jahrhunderte dauern: sic genügen in den Epochen, wo die Menschheit langsam denkt und nicht das Bcdürfniß schnell zu sprechen empfindet. Aber wenn das Gehirn der Mensch heit kocht, wenn das Herz eines Jeden mit Heftigkeit schlägt, wenn auf allen Lippen die erregten Leidenschaften sich in brennende Worte übersetzen, wenn in einer schnelllebigen Welt das Heute das Gestern verschlingt, um selbst wieder vom Morgen verschlungen zu werden, dann ist die Aera der Bücher geschlossen: die Aera der Journale öffnet sich!" Buch und Journal verhalten sich zu einander wie Vor bereitung zu Improvisation. Das Buch ist die Methode, das Jour nal ist die Eingebung. Das Buch erscheint auf einmal, seine Wir kung ist stark, aber nicht stetig; das Journal kommt heute, morgen, alle Tage, es drängt sich auf, es bohrt und bohrt mit dünner Nadel, aber unaufhaltsam, nie rastend, es ist „die Kraft des stets wieder kehrenden Tropfens, der den Stein aushöhlt". Die Presse in dieser neuen Gestalt wurde nun bald zu einet gewaltigen Macht. Sie redet nicht mehr allein zu den Gebildeten und Wissenden, sondern unmittelbar zur Masse; sie redet auch nicht in der Sprache der Gelehrten, sondern des Volkes; sie redet endlich nicht bloß von gelehrten Dingen, sondern von allem, was in die Welt der Erscheinungen tritt; und indem sie auf jedem ihrer Blät ter ein Samenkorn der Bildung in die Geister trägt, wird sie deren verdienstvollste Priestcrin. Ein schreckenvolles Gespenst in den Augen einer mit den Mitteln der Unfreiheit wirthschaftenden Re gierung, ist sie einer freiheitlichen Staatslenkung die treueste Bun- desgcnossin. Man wird es nach den bisher verfolgten preßgesetzlichen Lei stungen der Regierungen nicht wunderlich finden, daß dieselben der Tagespresse keine sonderliche Sympathie entgegenbrachten. Es kam vielmehr so, daß die Censur auf sie allein losgelassen wurde. Nach den Gewittern der französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege schien zwar ein freiheitlicher Luftzug durch die deutschen Lande zu gehen. Die Censurfessel wurde ein wenig gelockert, und eine mildere Praxis versöhnte mit dem gesetzlichen Druck. Auch die an Verheißungen so reiche Bundesacte gab sich den Anschein, als wollte sie diesen Frieden nicht stören, indem sie im Artikel 18. lit. ck. bestimmte: „Die Bundesversammlung wird sich bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit beschäftigen." Aber es zeigte sich bald, daß der Ausdruck „Preßfreiheit" nur ironisch gebraucht war. Am 20. Sep tember 1819 erging als eine Frucht der Karlsbader Conferenzen der Bnndesbeschluß, welchen man die reinste Offenbarung des Polizeigeistes genannt hat: „daß diejenigen Schriften, welche in der Form täglicher Blätter oder hcstweise erscheinen, sowie solche, welche nicht über zwanzig Bogen im Druck stark sind, in keinem Bundes staat ohne Vorwissen und vorgängige Genehmigung der Landes behörde zum Druck befördert werden dürfen." Die hierdurch neu begründete Censur, ursprünglich nur provisorisch auf fünf Jahre cingeführt, wurde 1824 aus unbestimmte Zeit hin festgesetzt und hat bis zum Jahre 1848 der deutschen Presse auf den Hacken ge sessen. „Mit den Karlsbader Beschlüssen", sagt Berner, „trat die Abwendung der deutschen Nation vom Bunde ein. Das deutsche Martyrium beginnt, und Turnvater Jahn ist einer der Ersten, welche als Demagogen ans die Festung geschleppt werden." Jeder, der die Feder führte, galt jetzt für anrüchig und ver dächtig, und die Politik wurde zu einer undiscutirbaren Angelegen heit. Auf jedes freisinnige Wort stürzten sich die Schweißhunde der Censur, jedem selbständigen Gedanken wurde der Prozeß ge macht. Wie es unter solchen Umständen mit der Tagespresse bestellt war, läßt sich begreifen. Sic durste ja nur cxistircn, wenn und so weit sic harmlos war; je nichtssagender, je farbloser sic war, desto besser für sie. So legte sie sich denn nothgedrungen zumeist auf Miscellcn, Anekdoten, Reisebeschreibungen und schönwissenschaftliche Dinge, namentlich aber auf das Theater. Das war die schöne Zeit, wo das europäische Gleichgewicht bedroht schien durch die Heiserkeit 212*
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