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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.06.1912
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1912-06-04
- Erscheinungsdatum
- 04.06.1912
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- Deutsch
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8314 ÄvriEatt f. tz. DV4«. SuchhanLiL Nichtamtlicher Teil. 127, 4. Juni 1912 Kiste war natürlich längst da, wurde aber aus unbekannten Gründen nicht ausgeliefert, nicht einmal mit Hilfe des in Ruß land so beliebten Rubels, der aber trotzdem mit einigen Ver tröstungen gern angenommen wurde. Als ich endlich an einem Freitag nachmittag die Nachricht erhielt, die Kiste sei jetzt da, und ich freudig erregt auf demZollamt eintras, wurde mirmitgeteilt, daß die Bureaus um 4 Uhr geschlossen würden, und da es jetzt zur Verzollung zu spät und morgen ein russischer Feiertag und übermorgen Sonntag sei, so sei vor Montag an eine Liefe rung gar nicht zu denken. Dabei war ich nicht zum erstenmal in Rußland, ich hatte Verbindungen und Leute zur Hand, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen, konnte mich auch mit der Sprache einigermaßen durchschlagen, wie wäre es wohl jemandem gegangen, der ganz fremd dorthin gekommen wäre! Wie alles, so kam auch der ersehnte Montag, und mit ihm der Verzollungsakt. Broschierte oder in Leinwand gebundene Bücher sind sogar in Rußland zollfrei, in Halbfranz oder in Leder gebundene dagegen nicht, und es war erstaunlich, was die Leute nicht alles für Halbfranz und Leder angesehen haben!*) Da sich bei gebundenen Werken der Einband nicht gut vom Buche trennen läßt und das Gewicht des elfteren nich« qut festgestellt werden kann, so wurde eben das Buch auch mit gewogen und dementsprechend verzollt. Ebenso einzelne Gravüren, Jllustrationsproben usw. — es wurde nichts ver gessen. Zuletzt kam noch die ehrwürdige Kiste selbst daran, die, da sie mit Stoff überzogen und zum Zuschließen eingerichtet war, nicht als Kiste, sondern als Koffer galt und somit mit 25 Rubel 7 Kopeken, also reichlich 50 ^(, d. h. weit mehr, als sie neu gekostet hatte, verzollt wurde! Wäre es eine einfache Kiste aus rohem Tannenholz gewesen, so hätte sie gar nichts gekostet. Jni ganzen betrug der Eingangszoll 63 Rubel 52 Ko peken, rund 140 ! Da nun die Kiste samt Inhalt mit mir wieder Rußland verlassen sollte, so reichte ich bei der zuständigen Behörde so fort ein Gesuch um Exportbewilligung und Rückerstattung der Zollgebühren ein. Dieses Gesuch wurde nach mancherlei Schwierigkeilen und unter Abzug von verschiedenen Stempel- und andern Gebühren auch bewilligt, aber — und das ist das Unglaublichste an der ganzen Geschichte — weil die Kiste in Petersburg verzollt worden war und Warschau die letzte Stadt war, die ich auf meiner Reise berührte, so mutzte die Kiste im Gewicht von gut 130 KZ von Warschau nach Peters burg reisen, um dort rückverzollt zu werden und dann fast auf dem gleichen Wege wieder von Petersburg, nahe an Warschau vorbei, nach Paris zurückzugehen. Auf meine Bemerkung, daß es doch für alle Teile wesentlich einfacher sei, wenn man mir in Petersburg eine Bescheinigung mitgeben würde, kraft deren ich die Rückverzollung in Warschau bewirken könnte, erwiderte der Beamte mit überlegenem Lächeln, so etwas könne man in Rußland nicht machen. Und es war auch tatsächlich so, es gab keine andere Möglichkeit, und die schwere Kiste mußte für nichts und wieder nichts den teuem Hin- und Herweg machen. So unglaublich diese Geschichte auch klingen mag, so hat sie doch den Vorzug, in allen ihren Teilen wahr zu sein. Nun ging's auf die Zensur. Von außen ein riesiges, un schönes Gebäude, während man sich im Innern fast in ein Leipziger Kommissionsgeschäft versetzt glauben würde, nur mit dem Unterschied, daß hier nicht die gleiche fieberhafte Tätigkeit herrscht wie dort. Ich war zurzeit der einzige »Kunde«, und das zahlreiche Packpersonal stand ziemlich ge langweilt an den Wänden herum. In den einzelnen Sälen des Zensurgebäudes haben die Sortimenter, ganz wie in Leipzig, ihre Fächer, in die nach erfolgter Prüfung die für sie bestimm ten Bücher gelegt werden, die dann abgeholt werden müssen. Verbotene Bücher dürfen die Zensur gar nicht verlassen, ') Vgl. hierzu Bbl. 1S12. Nr. 12. sondern müssen gleich an Ort und Stelle wieder an die betressenden Verleger remittier! werden. Allerdings gibt es auch Ausnahmen: Wenn jemand ein verbotenes Werk zu Stu dien- oder andern Zwecken braucht, so ist dafür ein besonderes Gesuch einzureichen, und der Besteller erhält dafür eine Art Bücherpatz, auf dem er sich verpflichten mutz, das Werk nur für sich selbst zu benutzen und es nicht in den Handel zu brin gen. Die Zensurbehörde scheint also ein richtiges Bestellbuch zu führen, wie jedes Sortiment; nach Eintreffen des Werkes wird der Besteller benachrichtigt und kann es gegen Vor weisung seines Bücherpasjes abholen. Auf der Zensur war man schon bedeutend zuvorkommen der als auf dem Zollamt. Es herrschte dort eine feierliche Stille und Leere, und die beiden Herren, mit denen ich zu tun hatte, rauchten friedlich, trotz des an den Wänden hängenden Verbotes, das aber offenbar nur für das Publikum Gültig keit hatte. Nachdem die ganze Kiste wieder ausgepackt und alle Bücher einzeln durchgesehen waren, meinte der betreffende Beamte in fließendem Französisch, zwei unter ihnen seien zwar verboten, aber das mache nichts, ich dürfe sie mitnehmen. Ich antwortete darauf, daß es mir lieber sei, wenn die beiden Bücher gleich konfisziert würden, da mir wenig daran gelegen sei, mit den Gesetzen in Konflikt zu kommen. »Nein, nein«, sagte der Beamte, »ich kenne Herrn L. (meinen Geschäfts freund) sehr gut, und es ist mir ein Vergnügen, ihm gefällig sein zu können; nehmen Sie die beiden Bücher (er sagte mir nicht einmal, um welche es sich eigentlich handelte) nur ruhig mit.« Ich ließ mich auch nicht weiter nötigen, erzählte aber meinem Geschäftsfreund von dieser eigentümlichen Unterhal tung, worauf dieser mit verständnisvollem Lächeln meinte: »Dann ist seine Frau verreist oder krank.« Und auf meinen fragenden Blick fuhr er fort: »Der Mann ist nämlich unglück lich verheiratet; wenn seine Frau da ist, so schikaniert er einen bis aufs Blut, und es gibt kein Auskommen mit ihm, ist sic aber verreist, so ist er die Liebenswürdigkeit in Person.« Die ausländischen Verleger dürsten also gut tun, ihre Sendungen nach Rußland womöglich immer dann zur Absendung zu bringen, wenn die Frau des betreffenden Zensors krank oder leidend ist. Ich kann mir denken, daß bei der Lektüre dieser Zeilen sein schwarzer Pinsel kräftig über das Papier fahren wird, denn auch das Börsenblatt muß die Zensur passieren, aber deswegen denke ich doch gern an den freundlichen Herrn zurück, da ich mich persönlich über nichts zu beklagen habe. Ebenso interessant sind die Zustände auf der Post und der Bahn: Wie zahllose andere Reisende auch, mutzte ich meine Korrespondenzen postlagernd adressieren lassen, konnte aber bei den riesigen Entfernungen in Petersburg nicht täglich hin gehen. So auch am Tag meiner Abreise. Um nun meine Briefe noch nachträglich zu erhalten, schrieb ich vom Bahnhof aus eine Karte an die Postdirektion mit der Bitte, mir meine Korrespondenzen postlagernd Moskau nachzuschicken. Am ersten Tage war auch wirklich eine offenbar aus Versehen um adressierte Karte da, am zweiten dagegen ein großes amtliches Schreiben in russischer Sprache und mit zwei Unterschriften, worin die Postdirektion mir mitteilte, daß sie nicht in der Lage sei, mir meine Briefe nachzusenden, sondern daß diese an dem ursprünglich angegebenen Bestimmungsorte abgeholt werden müßten. Was blieb mir anderes übrig, als einem Bekannten in Petersburg meine Karte zu schicken mit der Bitte, sich auf der Post für mich auszugeben, sich die für mich bestimmten Briefsachen aushändigen zu lassen und diese umadressiert wieder in den Briefkasten zu stecken! Und dies alles, ohne daß der heilige Bureaukratius das geringste daran auszusetzen fand. Fast noch origineller sind die Verhältnisse auf der Bahn. In Rußland reist man ja zunächst außerordentlich billig und auch leidlich bequem, besonders da die russischen Wagen zum
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