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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.02.1913
- Strukturtyp
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- 1913-02-24
- Erscheinungsdatum
- 24.02.1913
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Redaktioneller Teil. 44, 24. Februar 1913. Werke in großen Auflagen einzubühen, durch deren Vernichtung seine bürgerliche Existenz aufs schwerste erschüttert werden kann. Das gleiche gilt für den Schriftsteller, und treten hier zu den rein finanziellen Verlusten noch solche unersetzbarer ideeller Natur. Es braucht nur von gegnerischer Seite irgendein gefügiger Wie derverkäufer zum Bezug, zum Ausstellen und Verkaufen irgend eines Werkes veranlaßt zu werden, sich dann von einem Mithelfer anzeigen und — gegen entsprechende Entschädigung — ohne Wider spruch verurteilen zu lassen, um dadurch auch unter Umständen eine teilweise oder gänzliche Vernichtung eines Werkes zu erreichen. Verleger und Schriftsteller sind gegenüber solchen Machinatio nen gesetzlich hilflos und rechtlos, und zwar von »Rechts wegen«. Und auch für das Gericht entsteht die bedenkliche Tatsache, daß es unbewußt einseitig bestimmten Strömungen zum Siege verhilft. Das kann doch der Gesetzgeber nicht gewollt haben. Als Beweise führe ich zwei Fälle an, die mich tief in Mit leidenschaft gezogen haben: Die in meinem Verlage erschienenen Werke »Kultur und Nackt heit« und »Nackt« wurden im Mai bzw. im September 1911 im Anschluß an das Verfahren gegen mich selbst durch Beschluß der Kgl. Strafkammer Stuttgart als unzüchtig beschlagnahmt, und es wurde ein objektives Verfahren mit dem Ziel der Vernichtung der Bücher eingeleitet. Nach Anhörung einer Reihe teils von mir, teils von der Kgl. Staatsanwaltschaft Stuttgart vorgeschlagener sachverständiger Arzte und Künstler, die sämtlich die Unzüchtigkeit der beiden Bücher ver neinten, sowie nach reiflicher und genügender, mit Zeit- und Geld verlust verbundener Vorbereitung durch zwei Rechtsanwälte wur den beide Bücher im objektiven Verfahren in der Hauptverhandlung vom 24. April 1912 vor der Stuttgarter Strafkammer trotz der Einwendungen der Kgl. Statsanwaltschaft freigegeben mit Aus nahme des Kapitels »Eitelkeit und Schamgefühl« in »Kultur und Nacktheit«, das nebst Platten vernichtet werden sollte. Gegen dieses fast völlig zu meinen Gunsten lautende freispre chende Urteil das subjektive Verfahren gegen mich wegen Vergehens gegen 8 184 St.-G.-B. war schon früher mangels jeglicher Anhaltspunkte eingestellt worden - legte die Kgl. Staatsanwaltschaft Revision ein, desgleichen auch ich wegen des beanstandeten Kapitels. In Anlehnung an eine frühere bezüglich des Buches »Nackt« im März ergangene günstige Reichsgerichtsentscheidung — durch die das Urteil gegen den vom Kgl. Landgericht in Landshut mit 19 Mk. bestraften Buchhändler Kühn aus Konstanz aufgehoben und dann durch Zurückweisung eine völlige Freisprechung vor dem Schwur gericht in München erzielt wurde — hatte ich begründete Aussicht, daß auch diesmal der höchste deutsche Gerichtshof die Revision der Staatsanwaltschaft verwerfen und beide Bücher im Sinne des Stutt garter Urteils freigeben werde. Das wäre ohne Zweifel auch so gekommen, wenn das Gesetz nicht eine beträchtliche Lücke aufweisen würde. Es wurden nämlich zwei Buchhändler, und zwar in Wiesbaden und in Berlin, wegen des Verkaufs beider Schriften angeklagt und zu einer kleinen Geldstrafe verurteilt. Als Nebenstrafe jedoch — die eigentlich diese beiden Buchhändler Leitz und Meyer hätte treffen sollen, jedoch den Verleger und Ver fasser traf erkannte das Kgl. Landgericht in Wiesbaden am 3. April 1912 auf Einziehung und Vernichtung des Buches »Kultur und Nacktheit« und auf Unbrauchbarmachung der Platten, während das Kgl. Landgericht I zu Berlin am 6. Juli 1912 auf Unbrauch barmachung einer halben Seite im Buche »Nackt« erkannte, den übrigen Inhalt aber nicht beanstandete. Von beiden Verfahren er fuhr ich erst, als die Urteile bereits rechtskräftig geworden waren, weil die Buchhändler als Nicht-Interessenten gegen die Urteile keinen Widerspruch erhoben. Um nun die Meinung des Reichs gerichts über diese kaum glaubliche Tatsache zu hören, erreichte ich durch zwei an Se. Majestät den Kaiser eingereichte Gnadengesuche einen Aufschub der Vollstreckung der Urteile bis nach der Ent scheidung über das Stuttgarter Urteil. Bei der Neichsgerichtsverhandlung am 13. Januar dieses Jahres hob der höchste Gerichtshof das Stuttgarter Urteil auf und stellte das dortige — nun einundreiviertel Jahr dauernde — Verfahren gegen beide Bücher als unzulässig ein, weil bereits zwei rechtskräftige Ur teile Vorlagen, an denen nichts zu ändern sei. Während also im März 1912 das Reichsgericht ein Urteil gegen den Buchhändler Kühn aus Konstanz bezüglich des Buches »Nackt« aufgehoben hatte, wodurch Kiihn in der Folge freigesprochen und das Buch völlig frei wurde, war ihm diesmal (trotzdem der Herr Reichs anwalt die Revision der Staatsanwaltschaft in allen Punkten ab- lehntc) die Möglichkeit verlegt, auch das Berliner — und Wiesbadener — Urteil aufzuheben und auf völlige Freigabe der Bücher zu er kennen Der Herr Präsident betonte bei der Urteilsverkündung aus drücklich: »Diese Entscheidung beruht nicht auf einer Spitzfindigkeit, son dern es ist nach der Lage der Gesetzgebung nicht darüber hinwegzu-- kommen, wenn auch zugegeben werden muß, daß es eine mißliche Sache ist, auf Unbrauchbarmachung von Büchern zu erkennen, ohne daß der Verfasser und Verleger gehört werden, und ebenso mißlich, wenn in bezug auf ein Buch von verschiedenen Gerichten verschiedene Entscheidungen getroffen werden. Zu bemerken ist noch, daß bereits aus Buchhändlerkreisen eine sehr lebhafte Agitation eingesetzt hat behufs Abänderung der Gesetzgebung, wonach in bezug auf solche Bücher nur einheitlich erkannt werden kann.« Demnach ist es möglich, daß von einer Seite, die mit der Ten denz eines Buches nicht einverstanden ist, gleichzeitig oder nachein ander die Einleitung mehrerer Verfahren gegen ein und dasselbe Buch herbeigeführt wird, von denen der Verfasser und Verleger keine Kenntnis haben. Dadurch kann erreicht werden, daß das ganze Buch der Vernichtung anheimfällt, wenn auch nur eines der Urteile vielleicht im Gegensatz zu allen anderen rechtskräftig auf Vernich tung des Buches erkennt. Das sind aber ganz haltlose gesetzliche Zustände, die schnellstens zu beseitigen sind. Ein gleicher Fall betraf den Roman »Die Verführten« von Hans Hyan, Berlin. Auch dort schloß sich das Gericht — trotz der Einwendungen des Staatsanwalts — dem Urteil der Sachverstän digen an und kam zu einer glänzenden Freisprechung der beiden Angeklagten: des Autors und seines Verlegers. Und doch war der Roman nicht frei geworden, da Monate vor jener freisprechenden Entscheidung der Strafkammer bei einem Sor timentsbuchhändler in der Friedrichsstadt neben zahlreichen tatsächlich pornographischen Werken auch dieses Werk beschlagnahmt und in der Verhandlung zur Vernichtung verurteilt wurde. Der Roman war dem Schicksale der andern unzüchigen Werke verfallen, ohne daß man dem Verfasser und Verleger Gelegenheit zu ihrer Verteidigung ge geben hatte. Offenbar hatte auch das Gericht diesen Roman nur flüchtig geprüft und ihn mit dem konfiszierten Schund in einen Topf geworfen. Auch hier kümmerte sich die erste Instanz nicht um das freisprechende Urteil der zweiten. Es blieb bei der Beschlagnahme! Hier ist eine große Lücke im Gesetz, die es ermöglicht, daß man Verleger, die aktuelle, die heutigen Zustände geißelnde und bessern wollende Schriften herausgcben, planmäßig finanziell vernichten kann, und zwar »von Rechts wegen«. Hierauf möchte ich die Herren Volksvertreter im Interesse der Sicherheit der deutschen Verleger und Schriftsteller dringend aufmerksam machen, und ich bitte des halb: der hohe Reichstag möge die Reichsregierung ersuchen, sofort einen Gesetzentwurf mit rückwirkender Kraft vorzulegen, der folgen den Forderungen Rechnung trägt: 1. Bei Anklagen gegen Bücherverkäufer, Kolporteure und Buch händler wegen Verfehlung gegen 8 184 St.-G.-B. sind, soweit es sich dabei — außer um Geldstrafen um Verfahren gegen Bücher selbst handelt, die betreffenden Verleger und Schriftsteller beizu ziehen, um ihnen die Möglichkeit ausreichender, gesetzlich gewähr leisteter Verteidigung zu geben. 2. Uber jedes durch den Buchhandel (oder mit Ausschaltung desselben) zum Vertriebe gelangende Werk kann nur eine einmalige gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden, ganz gleich, ob diese freisprechend endigt oder zur ganzen oder teilweisen Vernichtung führt.*) Jede weitere Anklage, sei es in welchem Ort und bei welchem Gericht, ist als unzulässig zurückzuweisen und ein — in Unkenntnis des früheren Verfahrens etwa begonnenes neues Verfahren sofort einzustellen. Ich bitte die Herren Volksvertreter, diese außerordentlich wich tige Eingabe als dringende noch in dieser Session zur Erledigung zu bringen. Mit ganz vorzüglicher Hochachtung Stuttgart, im Januar 1913. Richard Ungewitter, Schriftsteller und Verleger. *) Dieser Passus kann wohl nur dahin verstanden werden, daß über ein und dasselbe Buch nur e i n Strafverfahren anhängig gemacht werden darf, nicht aber, daß das Urteil der ersten Instanz unanfechtbar sein soll, es sei denn, daß der Interpellant die Erledigung der aus 8 184 des St.-G.-B. erhobenen Anklagen einem für diesen Zweck zu bildenden Sondergericht bzw. einer bestimmten Strafkammer über wiesen sehen möchte. Red.
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