Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.06.1913
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- 1913-06-06
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- 06.06.1913
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zu liegen, breiteren Massen das Wesen eines Romans durch den Film zugänglich zu machen. Ganz abgesehen davon, daß der Inhalt eines Kunstwerks sozusagen in seine Form hiueingeboreu wird, ist doch mindestens ohne sein unmittelbarstes Ausdrucks mittel, das Wort, der innere Gehalt eines Romans nicht zur Wirkung zu bringen. Jede menschliche Entwicklung wird mimisch übersteigert oder durch die Betonung der äußeren Handlung ab gestumpft. Das Bildhafte wandelt sich zum plumpsten Realismus oder zur Sentimentalität, irgendwelche sittliche Ideen, die aus der Rundung des Ganzen sprechen könnten, haben bei dem V-Zugtempo weder Zeit zu wirken, noch finden sie einen bereiten Boden, da kein anderer Sinn als das aufgeregte Auge überstürzte Eindrücke vermittelt, die so dünn sind, daß sie sich nur in Form einer allgemeinen Leere und Gereiztheit mitnehmen lassen. So würde der Dichter mit der größten Wahrscheinlichkeit vergewal tigt oder mißverstanden sein, darum lasse er seinen Roman dem Buchhändler und dem Kino die Burleske, die wirkliche Panto mime, eine bescheiden ergänzende Stellung für Lehrzwcckc — oder, was noch besser ist, er helfe neue Wege finden, die ungezogene Naturkraft des nun einmal vorhandenen Ungetüms zu reinerem Dienst heranzubilden. Helene Voigt-Diederichs. Ich habe keine gute Meinung von dem Kino. Darum inter viewte ich mein Dienstmädchen, genannt Dienstspritze. Die Dienstspritze sagte: »Ich begeistere mir sehr for das Kinema. Denn in dem Kinema versteh ich alles, sogar den Text, was bei die Büchers nicht immer der Fall ist. Und dann die Illusion, ljuo vaäis ist mich die schönste Illusion, die mich mein Lebtag vorgekommen ist. Daher werd ich das Buch nicht kaufen, um keine Enttäuschung davon zu kriegen. Ich Hab schon von dem Manne, der (juo vackw geschrieben hat, verschiedenes gesehen, z. B. die Gespenster. Es kamen aber keine Gespenster drin vor, was ein Kinema sich nicht entgehen lassen sollte. So es denn kommt, daß man sich wegen dem Kinema mehr mit die schöne Literatur beschäftigt und schließlich gebildet wird. Überhaupt werde ich Romane nur mehr im Kinema genießen, das geht flotter, denn für die Büchers hat ein moderner Mensch keine Zeit und kein Geld.« So denkt meine Dienstspritze. Ich habe Bekannte und Ver- wandte, die auch so denken, nur würden sie das mir und mich nicht verwechseln, denn sie sind furchtbar gebildet. Das ist der Unterschied, Herrschaften. Was soll i ch da noch denken? Das Publikum hat immer recht. So lange es die Kinos füllt, werden verfilmt werden: Dramen und Reklamen, Romane und Säuglingsfürsorge, Affiche für Schuhwichse und Lebertran, Liebesbriefe und Mordprozesse. Wir werden abonnieren auf die Weltfilmzeitung, die uns all abendlich die neuesten Nachrichten am nächtlichen Horizont von Berlin aus herübcrblitzt. Man braucht sich nur ins Fenster zu legen und den Wcltspektakel am Himmel zu sehen. Wir werden nicht mehr lesen, wir werden sehen. Das neue Zeitalter ohne Worte! Triumph! Wir haben Lieder ohne Worte, Tele graphie ohne Draht — o es ist beschämend, erst morgen Lektüre ohne Worte, Gefühle ohne Worte, Morde ohne Worte zu erhalten. Eine wortlose Epoche! Das Zeitalter ohne Lärm! Das goldene Anti-Lärm-Filmalter. Das Gehirn der Menschen wird anders funktionieren. Man denkt nicht mehr hinter der Stirne, son dern vor der Stirne. Ein anderer Tod zieht in die Welt, der Kinotod. Man wird sich nicht mehr photographieren, sondern filmieren lassen. Anbei mein Photosilm: Wie ich unter die Räu ber fiel. — Ich im Seebad usw. In jedem Hause, wo heute ein Phonograph kreischt, wird nun ein Hausfilm arbeiten... Herr schaften, ich sehe kein Ende mehr. Ich sehe eine Verbrüderung von Röntgenstrahlen und Filmalen, um unsere geheimsten Ge danken aus uns herauszuholen, um der Menschheit in ihre in dezentesten Eingeweide hineinzusilmen. Und dann sehe ich ein Gähnen. Das entsetzlich verdrossene, leere, mordende Gähnen. Worte! schreit die ausgepumpte Mensch heit, Worte!... Und sie ziehen aus und suchen den Dichter der Worte, der in die Berge floh. Der wird kommen und wieder denken lehren — hinter der Stirne. Und was übrig blieb von der Kinderkrankheit der Großen? — Vielleicht da und dort der verlachte Rufname: Filmine. Nanny Lambrecht. Es ist ja nicht ganz unmöglich, daß ein paar Zuschauer »vom Kino aus den Weg zum Buche finden«. Aber dieses Häus lein dürfte verschwinden vor der überzahl jener, die auf diese Art das Buch in kondensierter Form genießen möchten. (Bei schlechtgeschriebenen Moderomanen wäre das nicht einmal so un vernünftig.) Ein Anreiz zur Lektüre des Buches könnte sich bei der Mehrzahl nur dann ergeben, wenn die »Verfilmung« sich damit begnügte, durch Andeutungen die Neugier zu Wecken — und ein solcher Film würde von keiner Firma erworben werden. Bodo Wildberg. Ich kann nicht glauben, daß ein Künstler, der es mit der Kunst ehrlich meint, mit gutem Gewissen sür die »Filmliteratur« eintretcn kann, und vermag mich, so oft dies dennoch seitens eines Mannes von gutem künstlerischen Namen geschieht, nicht der Empfindung zu verschließen, daß da bloß der kunstfremde Geschäftsgeist plädiert. Hat einmal ein Bühnenmann oder Autor L gesagt und für das Filmgeschäft gearbeitet, so sagt er aller dings schon deshalb ü und verficht sogenannte Filmkunst, weil er sich nicht gut desavouieren kann. Es ist meine Überzeugung, daß der Film stets bleiben wird, was er heute ist: der Feind der Kunst, der Förderer der Denkfaulheit, der Spekulant auf alle primitiv-rohen und groben Instinkte. Augenblicklich sind ihm Shakespeare, Goethe, Schiller, Ibsen unterlegen. Weist man darauf hin, daß auch diese Größen verfilmt werden, daß selbst Dantes »Interna« ein Kinokassenstück wurde, so kann man dieses Scheingegenargument nur achselzuckend damit beantworten, daß schon aus den wunderbarsten Gedankendichtungen mit Ausschluß alles Gedanklichen und künstlerisch Wertvollen die miserabelsten und zugkräftigsten Boulevardstllcke herausgezimmert wurden. Ob je ein Wandel zum Besseren eintritt, weiß ich nicht; doch will mir scheinen, daß er bald kommen müsse, soll nicht die ganze emste, künstlerische Bühncnprvduktion verloren gehen. — Daß das Kino publikum zum Kaufe eines verfilmten Romans angeregt werde,, halte ich unbedingt für eine törichte Illusion. Fr. W. v. Oe stören. Es unterliegt für mich gar keinem Zweifel, daß die Kine- matisierung eines Buches, sei es nun poetischen oder beschreiben den Inhalts, dem Absatz des Werkes, vor allem aber dem B e - kanntwerden nur förderlich sein kann, vorausgesetzt, daß eine autorisierte »Filmierung« vorliegt und Titel und Autorname genannt werden. Daraus ergibt sich auch für den Verleger der Vorteil von selbst, denn nichts kann ihm willkommener sein, als möglichst viel Reklame für seine Verlagsprodukte. Wollte der Verleger diesen voraussichtlichen Erfolg bestreiten, so müßte er auch den Standpunkt vertreten, daß kein von ihm verlegtes Drama vor dem Erscheinen eine Bllhnenauffllhrung erleben dürfe. Hier aber tritt schon das Gegenteil ein: der Verleger macht in der Regel den buchhändlerischen Erfolg eines solchen Werkes von der Bühnenwirkung abhängig und kann den Tag der Aufführung meist kaum erwarten, um seine geschäftlichen Mani pulationen danach einzurichten. Wie die Dramatisierung eines Romans seiner Verbreitung niemals geschadet, Wohl aber ge nützt hat (unzählige Beispiele sprechen dafür), so ist das gleiche auch von der Kinematisierung zu erwarten. Mit wohlweisem Be dacht hat der Gesetzgeber bei Schaffung der Bestimmungen über das Urheberrecht dem Autor das Recht einer Gestaltung aus Er zählung zum Drama und umgekehrt gelassen, weil hier zwei ganz verschiedene Kunstformen vorliegen, und sicher hätte er dieses Recht auch ohne weiteres auf die Kinematisierung ausge dehnt, wenn zu jener Zeit diese Frage schon spruchreif gewesen wäre. Ich schließe mein Resümee dahin: daß der Verleger nicht das mindeste Recht, weder in materieller noch ideeller Hinsicht habe, von einem Autor die Verpflichtung zum Unterlassen der
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