Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.06.1925
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Unbildung und inneren Wertlosigkeit wenigstens aus allen Gebieten des Geisteslebens zu halten geneigt sind. Ganz besonders die ver ächtliche, gerade in akademischen Kreisen weitverbreitete Meinung von der Minderwertigkeit amerikanischen Geisteslebens gründet sich mehr aus die Eitelkeit des Wissenschaftlers als auf eine wahre Sachkenntnis. Der vorliegende Aufsatz soll, gleich vielen anderen, die von dem ehrlichen Bestreben, dem deutschen Volke ein Verständnis und eine gerechte Beurteilung des Landes jenseits des Ozeans zu ermöglichen, getragen sind, einiges Wissenswerte über das literarische Leben Neuyorks berichten. Das ist freilich nur eine sehr kleine Ader in dem vielfältig verzweigten Organismus'eines modernen Volkskörpers; und außerdem ist zu beachten, daß Neuyork nicht — wie Paris etwa in Frankreich — auch Amerika darstellt. Doch gerade aus typischen Einzel heiten ergänzt und vertieft der Prozeß des Verstehens unbewußt unser Begreifen von Menschen und Nationen. Da wir nun aber in das fremde Seelenleben immer unter einem durch die eigene Geistcsart bedingten Gesichtswinkel sehen und den andern nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch das Mittel unserer persönlichen Erlebcns- art verstehen können, wird sich der Deutsche den deutlichsten Begriff von der literarischen Einstellung des Amerikaners zu bilden imstande sein, wenn er weiß, welche deutschen Bücher in Neuyork eine Nolle spielen, und wenn er so die Interessen- und Geschmackskreisc findet, in denen er dem amerikanischen Leser begegnet. Das Buch an und für sich hat — um diese Bemerkung noch voraus zuschicken — in Amerika eine wesentlich geringere Bedeutung als im Abendlaude, und die Zahl der amerikanischen jährlichen Bücherproduk- tion bleibt auch daher weit hinter der deutschen zurück, weil sowohl die Zeit fehlt, Nomauc in der Länge des Schacsferschen »Hclianth« oder des Thomas Mannschcn »Zaubcrberg« zu lesen, als auch die Seele des Amerikaners der Andacht und Nachdenklichkeit, die jedes größere Dichtwerk von dem Leser fordert, im allgemeinen entbehrt. Er greift nur zu der kurzen Erzählung, der sogenannten »skort stor^«, wie sic jedes Magazin bringt, und wie wir sie, seit Ullstein und Scherl ihre neuen, nach amerikanischem Muster gemachten Zeitschriften hcrausbringcn, ja anch in Deutschland bereits zur Genüge kennen ge lernt haben. In Neuyork ersetzt diese Art Zeitschrift, deren eine (Saturcka^ Lvening Lost) die bemerkenswerte wöchentliche Auflage von 2 125 000 Exemplaren erreicht, fast die gesamte abendländische Unter- haltnngsliteratur. Die Bücher aber, die hier am besten verkauft wer den, gehören einer anderen Kategorie an als die in Deutschland meist gelesenen. So ist, um nur ein Beispiel aus vielen hcrauszugreifen, augenblicklich eins der beliebtesten Bücher »Mio lUsntal ^gilit^ Look«, ein erst vor einiger Zeit erschienenes Sammelwerk von Kreuz worträtseln (!), Spielen, Scherzfragen, Witzen usw. Daneben haben Biographien und Neisebeschreibungcn die größten Erfolge. In dieser Geschmacksrichtung offenbart sich eine dem echten Ameri kaner ganz eigentümlich kindlich-naive Anspruchslosigkeit und spiele rische Heiterkeit, die zu der dunklen Problematik des Abendländers noch kein Verhältnis gefunden hat, die aber dem ganzen äußeren Leben Amerikas das — so viele lockende — sonnige Bild verleiht. Hier kann die Dichtung unseres jüngsten Sturmes und Dranges mit ihren dunkeln Leidenschaften und ihrem Kult des Dämonischen, keine Stätte finden. Wohl ist auch hier der Expressionismus nicht unbekannt, aber Wurzeln vermag die neue abendländische Kunst, die ihren Gehalt aus metaphysischen, religiösen Tiefen schöpft, hier nicht zu fassen. Und wenn gerade in diesen Tagen ein großer hiesiger Verlag eine Ausgabe von Baudelaire, dem Vater der Dekadenz, herausbringt, so ist er sich dessen genau bewußt, im ganzen Jahre nicht mehr als 500 Exemplare an wenige, literarisch besonders inter essierte Leute zu verkaufen. Neuyork scheint von dem Geist des neuen Zeitalters, den wir in Berlin bis in die Ncklameplakate hinein spüren können, gar nicht berührt zu sein. Auf mich hat die große Stadt der Neuen Welt«, selbst in dem betäubenden Lichtrausch am Times Square, den Eindruck einer abgelausenen Epoche gemacht. Die furchtbaren Geschehnisse der letzten zehn Jahre sind an der amerikanischen Seele, nach europäischen Begriffen, fast spurlos vorübergegangen. Es wird aus alledem verständlich, daß Bücher im Stile eines Leonhard Frank, ebenso wie Gedichte eines Werfel hier ohne die geringste Wirkung bleiben. Der Geschmack ist durchaus zurückgeblie ben, womit jedoch kein Werturteil ausgesprochen sein soll. Man er götzt sich an Märchen: neben den vielen illustrierten Ausgaben der Wundcrgcschichten aus dein Orient sind die Grimmschen Haus- und Kinöcrmärchen, die Haufssche »Karawane« und das Wirtshaus im Spessart, Nübczahl, die Schildbürger und der Till Eulenspiegel gern gelesene Bücher. In den Schulen steht auf dem Programm des Deutsch-Unterrichts neben den Volkmann-Leanöerschen Kleinen Geschichten und Bliithgcns »Petcrlc von Nürnberg« der bei uns fast ganz vergessene Schmidsche »Heinrich von Eichenfels«. Gerade öle Auf nahme der letztgenannten Erzählung in das Schulprogramm scheint mir für den eigentümlich amerikanischen Geschmack bezeichnend. Die Märchen eines Musäus und Tieck, sowie die aus reinster Poesie schöp fenden und auf den Deutschen so tief wirkenden Erzählungen der Eichendorff und Brentano finden hierzulande keinen Widerhall. Dagegen berührt es wunderbar heimatlich, weun man erfährt, daß der in seinem erinnerungsschweren Empfinden so durch und durch deutsche Theodor Storm sich hier der größten Beliebtheit erfreut. Er ist in Amerika der bekannteste und am meisten gelesene Dichter Deutsch lands aus dem 19. Jahrhundert. Seine Novelle Jmmcnsee ist in zahl losen Ausgaben und Übersetzungen zu kaufen und gehört zu der obli gatorischen Lektüre jedes deutsche Sprache und Literatur Studierenden. Ebenso gilt hier sein Pole Poppenspälcr als Meistcrnovcllc. Merk würdig erscheint es daneben, daß die an dramatischem Ausbau und an Tiefe der Empfindung unübertroffene Erzählung Aqnis submersus so gut wie unbekannt ist. Die Kenntnis der deutschen dramatischen Literatur beschränkt sich im allgemeinen auf das Notwendigste, was in die Schullektüre ausgenommen wird: Schillers Wilhelm Teil und Maria Stuart, Goethes Egmont, Lessings Miuna von Barnhelm, Kleists Prinz von Homburg und — Otto Ernsts Flachsmann als Er zieher. Wir fügen noch ohne Kommentar hinzu: Mcyer-Foerster, Alt- Heidelberg. An deutschen Nomanen wird viel gelesen, was sich im Stile Sudermanns hält, dessen Frau Sorge und Katzcnstcg in der Reihe der gern gekauften deutschen Bücher an erster Stelle zu nennen sind. Auch Meyers Amulett, Gustav Freytags Verlorene Handschrift, HeyseS Blinde, ja sogar der Schesfelsche Ekkehard spielen im literarischen Leben Neuyorks eine Nolle. Es ist aber zu beobachten, daß der ameri kanische Geschmack im ganzen die Bücher bevorzugt, die irgendwie historisch oder auch geographisch eingestellt sind: Memoiren und Neise- geschichten, während er sich den rein poetischen Werken gegenüber ab lehnend verhält. Augenblicklich wird hier Kellcrmann übersetzt, und zwar gerade der nach unserem Geschmack hinter Jngeborg, dem Meer, vor allem dem Toren an dichterischen Qualitäten weit nachstehende 9. November, der aber eben seinen Stoff aus der Geschichte und Kultur der jüngsten Vergangenheit schöpft und damit das Interesse des ameri kanischen Lesers wecken wird. So lächerlich es vielleicht klingen mag, und so leicht der Ameri kaner sich durch diese Bemerkung verletzt fühlen könnte, wir vermögen den literarischen Geschmack Neuyorks nicht besser zu charakterisieren, als wenn wir sagen: es ist der Geschmack eines Kindes vor der Pubertätszeit. Die Lyrik findet daher keinen fruchtbaren Boden, sobald sie sich aus der Sphäre des Volkstümlichen und Kinderhaften unserer Schnurren und Kinderreime erhebt. Humor und eine klare unver- worrcne Märchenphantasic, eine einfache Fabel ohne psychologische Problematik und quälende Scelenanalyse ohne metaphysische Tiefe, — das verlangt der amerikanische Leser von seinen Büchern. Dabei fehlt in der hier gelesenen Literatur vor allem das im Abendland die Dichtung so stark beherrschende erotische Element, gar nicht zu sprechen von der durch den Krieg nnd die Revolutionen heraufbcschworcncn Lust an der moralischen Zweideutigkeit. Wir bringen zur Verdeut lichung dieses Satzes noch ein Kuriosum, das besonders die deutschen Schulresormer der modernen Richtung in Aufregung bringen dürste: die hier beliebte Heincsche Harzrcisc wird auch in den oberen germa nistischen Kursen der Universität gelesen. Die dort benutzte Ausgabe, die mit einer Fülle wissenschaftlicher Anmerkungen überhäuft ist, ver schweigt aber sämtliche »anstößigen« Partien! Wie weit sich eine derartige »Bearbeitung« einer Dichtung noch mit der Wissenschaft vereinigen läßt, bleibe dahingestellt, allen denen aber, die aus dieser Mitteilung auf die Oberflächlichkeit der ameri kanischen Universitäten zu schließen geneigt sein sollten, sei nachdrück- lichst gesagt, daß an der hiesigen Eolnmbia-Universität germanistische Seminararbeiten von den Studenten geschrieben werden, die sich mit den entsprechenden englischen Aussätzen an der Berliner Universität durchaus messen dürfen. Die Universitätsbibliothek von Columbia ist zudem mit den neuesten großen germanistischen Werken versehen, und das in Deutschland so viel Anhänger zählende Strichsche Buch Klassik und Romantik hat anch hier bereits Schule gemacht. Freilich, die allerneucste wissenschaftliche Literatur, wie das erst im ersten Band erschienene Werk Korffs über den Geist der Goethezeit, ist noch unbekannt. Uber die wissenschaftliche Einstellung der amerikanischen Germanisten dürste die Mitteilung aufschlußreich sein, daß die Kum- mcrsche Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts das augenblicklich am meisten benutzte Werk geworden ist, ein Buch, das in Deutschland (wahrscheinlich weil der Verfasser außerhalb des offiziellen ttni- versitätslebcns steht) viel abfällige Kritiken erfahren bat, im Grunde aber durch seine außerordentlich praktische Anlage dem Studenten einen umfassenden und zugleich detaillierten Überblick verschafft. Bürlcuvta« s. Vcn DeutlLcn DuLbarrdel. SS. yayr-a»». 1929
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