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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.06.1925
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- 1925-06-30
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- 30.06.1925
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10456Börsenblatt f. d. Dtschs. vuchbaubel. Redaktioneller Teil. 15V, 30. Juni 1925. ländische Anschauung einer Literatur auch auf das morgenlän- dischc Schrifttum ausdehnte, so fand man doch recht eigentlich nur das alte chinesische Schrifttum aus ähnlichen Vorgängen und Vor stellungen hcrvorgewachsen wie denen, die im hellenistischen Zeit räume unserer Zeitrechnung die antike klassische Literatur wer den ließen. Das kann hier nur angedeutct, nicht ausgcführt wer den, und ein Beispiel mag genügen. Entgegen manchen gemein verständlichen Ansichten über die indischen Literaturen ist das, was wir von ihnen in Europa und auch in Indien wissen, noch immer sehr unvollständig. Wir kennen von manchen hier be rühmt gebliebenen literarischen Schöpfungen nur die Titel, wir wissen nicht, ob und wie die Werke, denen sie zugehören, noch er halten sind; wir wissen nicht, ob wir von anderen berühmten Werken, die wir zu kennen glauben, die richtigen Texte zu den richtigen Titeln haben, ob manche ältere Textfassungen mit den uns bekannten neueren noch zusammenstimmen, inwieweit die moder nen philologischen Rekonstruktionen der alten Texte überhaupt richtig sind. Denn auch die uns geläufige Meinung, ein voll ständiges Werk sei vollständig vorhanden, deckt sich nicht stets mit der eines originalen Textes. Neuere Überwucherungen und Ver mehrungen eines alten Werkes können dessen Gehalt und Gestal tung durchaus verändert haben, und was wir dann finden wollen, ist der alte, reine, nicht der neue, vollständige Text. Erst das Alexandrincrtum, oft mißverständlich vielleicht, jedenfalls noch öfter mißverstanden, hat dem Gedanken einer kritisch-literar historischen Literatursetzung diejenige Richtung gegeben, die die herrschende wurde, die ihre großen Vorzüge und die Fehler ihrer Vorzüge hatte. Eine gemeinverständliche Ansicht glaubt, uns seien im »fin steren- Mittelalter die Schätze des antiken Schrifttums verloren und verschleudert worden. Das ist nur bedingt richtig. Als die Alexandriner daran gingen, die besten Ausgaben der besten Werke herzustellen, schieden sie aus den angesammelten Schriftmassen sehr viel aus. Und die starken Trennungsstriche, die sic zogen, erstreckten sich nicht lediglich auf eine Absonderung und Abwer tung der einzelnen Werke voneinander. Sie schufen auch für die als literarische Höchstleistungen anerkannten Werke deren klassische Buchform, indem sie durch Aussondern und Zusammenfügen Wort für Wort, Satz für Satz zu der endgültigen Fassung etwa einer Ilias, auch einer Odyssee zu gelangen suchten. In der Antike be reits wurden diese klassischen Bücher zum Kanon der griechisch- römischen Bildung, und unter diesein Gesichtspunkte geurteilt, ist verhältnismäßig sehr viel von der antiken klassischen Literatur, an die sich etwa die gebildeten Römer der Kaiserzeit hielten, bis in unsere Tage erhalten worden. Aber der Abfall, die Werke und Werkteile minderen Ranges, wie inan sie einschätzte, ist auch nicht ganz und gar verloren, wenn auch meist nur in Bruchstücken vorhanden. Seiner nahmen sich die nach Kuriositäten begierigen Buchsreunde und die nach Novitäten lüsternen Buchhändler an. Jene, indem sie als Leser und Liebhaber auch das Seltenere, das Ungewöhnliche sammelten, die als unbeträchtlicher verschrieenen Nebenwerke gelegentlich den Hauptwerken vorzogen, dies«, indem sie auch für solche Buchware sorgten. Als das gelehrte, das kritisch- philologische Sammeln und Sichten begann, vermißte man schon vieles. Was die gelehrten Herren beim besten Willen nicht liefern konnten, lieferten die Buchhändler mit einigem guten Willen, es ansehnlich und vollständig herstellend, wenn es auch nicht immer echt und nicht immer gut war. Sie kamen so den Bedürfnissen des Marktes entgegen, auf dem man sich nicht immer um den be haupteten klassischen Kanon kümmerte. Und diese viel weitere Er fassung der Literatur durch den Buchhandel hat sich bis in die Gegenivart ununterbrochen fortgesetzt, bis zur literarischen Massen produktion des papierenen Zeitalters. Da entspricht dem äußeren Reichtum nicht der innere; indessen, bei sich ändernden Betrach tungsweisen können die in den Bibliotheken aufgespeicherten Bücher auch noch sich erneuernde Wirkungen haben, Produktivität im Goetheschcn Sinne entwickeln. Der Bedeutung der literarischen Produktivität hat Goethe tief und weit nachgedacht, aus ihr heraus Forderung und Namen einer Weltliteratur gefunden. Wenn er gelegentlich zu Riemer äußerte (Riemer, Mitteilungen über Goethe. Leipzig, Insel-Verlag, 1921 — die Stelle ist in dieser jetzt allein maßgebenden Ausgabe eines noch lange nicht genug gelesenen Buches zum ersten Male gedruckt worden); »Doppelte Ansicht der literarischen Produktionen, moralisch und ästhetisch, nach ihren Wirkungen und nach ihrem Kunstwerk. Gewicht hat das schlechteste Werk so gut als das beste, der Weither, der Siegwart, der Messias, Geßners Mythen, der schlechteste Roman wie der beste; aber sie sind nicht alle Kunstwerke-, so umschreibt er auch hier seine Anschauung der »Weltliteratur- als die eines internatio nalen sozialen Phänomens vorhandener und vorzubcreitender literarischer Wirkungen. Die Anerkennung einer geistigen Litera- turmacht und alles dessen, was ihr dient, im Bereich der Kultur und ihrer Zivilisationen spricht sich in dem Goetheschcn Welt literaturworte aus, dessen großer Sinn sich nur in langen Para phrasen einigermaßen erschöpfen ließe, der mit dem Begriff einer Literatur in kritisch-literarhistorischer Formung nicht überein stimmt, der die von dieser gezogenen Trennungslinien wieder auslöscht. In der Anschauung, die Goethe von der Weltliteratur hatte, wird auch die Psychologie des Bucherfolges deutlich, denn sie unterscheidet die unmittelbaren von einem Werk ausgehenden Wirkungen von dessen bleibenden Wirkungen, von seiner an dauernden Produktivität, sie erklärt, weshalb auch Bücher einen engeren, kürzeren äußeren Erfolg haben können und mit ihren inneren Erfolgserncucrungen wachsen, weshalb es Bücher gibt, die nicht wertlos sind, weil sie nur für eine kurze Zeitspanne wichtig wurden und dann allein einer retrospektiven Betrachtung gelten, in ihrer eigenen Buchform nicht mehr weiterleben. Bei der Be schäftigung mit der Weltliteraturdcutung Goethes zeigt cs sich, daß sie auch dem Buchhandel die nützlichsten Lehren geben kann. Ebenso der Erfolg des »Weither- wie der Erfolg der »Weber- — und man müßte hier Titel an Titel reihen — beruhte zu nächst nicht auf ihren literarischen, sondern auf ihren sozialen Elementen. Als Fassungen von Zeitstimmungen setzten sie sich durch, sie sprachen etwas aus, was allgemein als unbestimmte Empfindung gefühlt wurde. Das war freilich nur durch eine künstlerische Fassung möglich, aber deren Erkenntnis, die des literarischen Wertes, begann doch erst lange nach dem äußeren ersten Erfolge, begann erst, nachdem die unmittelbare soziale Wirkung abnahm, als neben der moralischen literarischen Pro duktivität dieser Werke ihre ästhetische (und jetzt auch ethische) immer mehr sich steigerte. Es wird dem Buchhandel, sowohl dem Verlage wie dem Sortimentsbuchhandel, immer von neuem zum Vorwurf gemacht, er kümmere sich allzuwenig um die »gute- Literatur, er erkenne und fördere nicht die lebensstarken Kräfte des Schrifttums, sondern lasse sie verkümmern. Doch nicht allein die Schriftsteller machen eine Literatur aus. Mehr verdankt sie den Lesern, die jene unpersönlich schaffenden Kräfte des Schrift tums sind, die man als etwas Unbestimmtes in den Erzeugnissen der Volksliteratur wiedercrkennen will, aus der sich dann die Individualitäten hervorheben, die aneignendcn Talente, das frei gestaltende Genie, deren Werke später in die hohe Literatur ein- gehcn. Auch das größte literarische Kunstwerk, das nicht oder noch nicht mit einem Zeitton zusammcnklingt, kann nicht zu einem Buchersolge werden (wobei durchaus nicht lediglich an eine Asthe- tenexklusivität gedacht z» werden braucht), kein Buchhändler ver möchte cs sogleich, ein solches Werk durchzusetzen, wosern er über haupt Gelegenheit hat, cs zu finden und seinem vollen Werte nach zu würdigen; kein Kritiker kann ihm mit literarhistorischer Anerkennung die freie Bahn schaffen, es muß langsam zu seiner literarischen Produktivität ausreisen. Andrerseits erklären sich so diele Tageserfolge, deren literarische Spuren sich schnell ver flüchtigen, aus irgendeiner sozialen Einstimmung, aus der sich ihr unmittelbarer Erfolg hcrleitet. Absichtlich werden dafür keine Beispiele der letztverslossenen Büchermoden angeführt, es kommt ja auch nur darauf an, darauf hinzuweisen, daß die Frage des Buchhändlers; was interessiert das Publikum, welche Bücher verkaufe ich (eine Frage, auf die auch der Jdealvcrlcger nicht ver zichten kann), eine Frage ist, deren Beantwortung auf die Be urteilung der literarischen Produktivität eines Buchwertes in ihren von Goethe angedcutcten vielfachen Auswirkungen zurückführt. Man könnte durch Diagramme als durch exaktere Konstruk tionen der von Goethe gern verwendeten klärenden Schemata und Tabellen sich den Lauf einer derartigen literarischen Produk-
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