264, 13. November 1913. Fertige Bücher. Otto Nippel Vcrlaa. Haien i.W. u. Leipzig Das erste Urteil über: Weiße Erde Roman vo» Fritz Philipp! Brosch. M.4.-,geb. M.5.- 2 Probeexemplare bar mit 45°/° Rabatt Die Wiesbadener/ denen es verwehrt wurde, des Verfassers bürger liches Schauspiel in fünf Akten zu sehen, finden in der Lektüre dieses Baucrnromans IN fünf Akten vollen Ersatz. Das Buch ist durch und durch dramatisch. Die drei Einheiten sind trefflich gewahrt; von der ersten Szene ab, die uns in medias res einführt, über den Höhepunkt hinweg, der im II. Kapitel liegt, durch die gewaltigen Ereignisse der folgenden Abschnitte hindurch bis zum friedlich und hoffnungsreich ausklingenden Schluffe — überall merkt man den lebendigen dramatischen Schwung und Zug. Die Ereignisse gehen in dem stillen westerwälder Erdbäckerdorf Sonnwalt vor sich. Die weiße Erde ist der weiße Ton, der unter Tag und Rasen liegt. Ihn zu graben ist das Herrenrecht der Hafner; den Töpferton mit den Händen zu kneten und zu formen — dies Privilegium ist ihnen von alters her gegeben für ewige Zeiten. Die Erinnerung geht zurück bis zu heidnischen Zeiten, in das Mittelalter zum Kriege der Bauern wider die Ritter. Der Kampf hat sich erneuert; die R'tter der Industrie wollen der Bauern uralten Besitz bestreiten und entreißen. Die gewaltige Macht des Geldes, die Errungenschaften der Technik beginnen ihre Wirksamkeit; die Eisenbahn dringt in das Tal, und Arbeitermaffen wollen die Erbeingeseffenen um Arbeit und Erwerb bringen. Die Staatsgewalt und Gemeindeverwaltung mischen sich in den Streit. Die Macht der Elemente, die gewaltigen Kräfte einer elementaren Natur sollen durch das Dynamit verstärkt werden, althergebrachte Sitten und Gewohnheiten sollen durchbrochen werden durch Neues. Die neue Zeit bricht an - all die vorige Zeit, so heißt es am Schluffe, möchte man die Vorgeschichte des Menschen nennen. Dies ist der Hintergrund zu dem gewaltigen Spiele, dessen Zuschauer wir sind. Denn alles ist anschaulich, alles lebt vor uns, es entwickeln sich die Charaktere, mau sieht den äußeren Menschen wie den inneren vor sich; kleine Äußerlich keiten, Absonderlichkeiten in Kleidung und Gang, in Sprache und in Mienen, erfüllen Auge und Ohr mit Inhalt; weitschweifige Schilderungen, psychologische Zergliederungen, umfangreiche Reflexionen und breite Debatten fehlen durchaus; knapp und gedrungen, aber treffend und packend ist, was geredet wird; kurz, überall das Für und Wider des Dramatikers. ...Ernst und Fleiß muß der Leser zu dem Buche mitbringen, und während des Lesens muß er Ernst und Andacht - möchte ich sagen, bewahren, dann wird ihm der Roman das zuteil werden lassen, was die Tragödie bewirken soll, „Erschütterung und Erleichterung". 1SSL-