2SK, 14. November 1912. Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 14381 ^ Gerhärt Hauptmann: Atlantis Friedrich von Kanimacher, ein junger Arzt aus guter Familie, wohlhabend, reich begabt, muß eines Tages plötzlich die Grundlagen seiner gesamten wohlgeordneten europäischen Existenz erschüttert sehen, er erlebt eine peinliche wissenschaftliche Blamage, sein häuslicher Zustand bricht infolge einer schweren Gemütserkrankung seiner Frau zusammen, und diese Lebenskrisis wird dadurch akut, daß sein Blut, wie durch ein Gift, durch die Liebe zu einer jungen Tänzerin in heillosen Aufruhr ge bracht wird, einem zarten, anmutigen, aber skurril und grauenhaft verdorbenen Geschöpf. Als die Tänzerin ein Engagement in Amerika annimmt, folgt Kammacher ihr auf das Schiff unter dem Vorgeben, einen in Amerika praktizierenden Jugendfreund besuchen zu wollen Die Ueberfahrt, von Anfang an stürmisch, wird von Stunde zu Stunde zu einer immer schauerlicheren Pein und Prüfung und endlich zu einer entsetzensvollen Katastrophe: das Riesenschifs stößt mit einem Wrack zusammen und ist verloren. Aus dem Schiffbruch werden mit wenigen anderen auch Kammacher und die Tänzerin gerettet und erreichen Amerika. Aber die Katastrophe beginnt ihre stärkste Wirkung in Friedrich erst nach der Rettung auszuüben, sie wächst sich zu einem erst schleichenden, dann rasenden kosmischen Fieber in ihm aus, worin die Schande seiner Liebesknechtschaft, die überhebliche Schwäche seiner europäischen Zweifelsucht, die verfrühte Hoffnungslosigkeit eines geschlagenen Mannes restlos verbrennen, und der Genesene kehrt mit einer neuen Kraft und einem neuen Glück nach Europa zurück. — Wäre dieses der Inhalt von Hauptmanns neuem Buch, „Atlantis", so wäre das Buch unbeschadet des Hauptmannschen Reichtums an Sinnfälligkeit und an Zügen der Charakteristik, ein Roman wie andere Romane auch. Aber es ist nicht der Inhalt, sondern eigentlich nur der Rahmen zu dem eigentlichen Hauptmannschen Gemälde, das i» seiner Fülle und Dichtigkeit von einer großen Intensität ist. Die Hand des Dichters führt den Leser durch das ganze Schiff, von der Kommandobrücke bis zum Kesselraum, von der Luxuskabine bis zum Zwischendeck, hinter die Türen wie hinter die künstlichen Wände, mit denen sich die menschliche Seele verbergen will. Etwas Aehnliches wie Hauptmanns Darstellung der Schiffskatastrophe kennen wir in der ganzen Literatur nicht. Von der gleichen Wahrheit ist die Schilderung der Liebesvergistung des Arztes und seiner Ge nesung. Und die physischen Ereignisse des Romans stehen mit den moralischen in einer ununter brochenen, nicht erzwungenen, sondern wahren, geheimnisvollen Korrespondenz; das Schiff wird dadurch zum Leben selbst, und die anscheinend nur zufällig darauf verschlagenen Schicksale machen schließlich ein Gewebe des ganzen Menschentreibens aus, worin kein Farbton fehlt. Versehen Sie sich rechtzeitig mit Exemplaren, denn die ersten 10000 Expl. dürften bald vergriffen sein. — Wir können einstweilen nur noch bar liefern. S. Fischer, Verlag, Berlin