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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 01.11.1913
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1913-11-01
- Erscheinungsdatum
- 01.11.1913
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
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11562 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. 254, 1. November 1913. Das Heute, wo es bereits geschehen konnte, daß ein Verleger wie Eugen Diederichs in Jena, dessen kulturtragende Werke doch wahrlich das größte Ansehen genießen, klagen mutzte: »Jährlich lassen die Verleger viele Millionen Prospekte in die Welt flattern, aber wer liest sie noch? Wer glaubt ihren Worten?« Das Heute, das das Publikum in die Warenhäuser treibt, wo es zwischen Butter und Brot um »herabgesetzte Literatur« feilscht, das Heute, das den Sortimenter zu Theatermitteln greisen läßt, um sich eine (rabattdurstige) Kundschaft zu erhalten. Man wird hier einwenden, daß die Reklame doch nun ein mal eine Notwendigkeit des modernen kaufmännischen Lebens ist, daß der Umsatz im Verhältnis ihrer Ausdehnung wächst. Das ist zweifellos. Und wären Bücher gemeinhin Ware, so erübrigte sich jeder Disput. Wie aber, wenn man bedenkt, daß ein Verleger, im Gegensatz zum Fabrikanten, viele ganz individuelle Ar tikel zu vertreiben hat, die es ihm unmöglich machen, eine einheitliche Reklame durchzuführen? Die Waren reklame wird vom Produzenten für einen bestimmten Geschäftszweig betrieben, sie beschränkt sich auf Artikel, die relativ identisch sind; eine Zigarettenfirma bei spielsweise macht, selbst wenn sie nach Qualitäten unter scheidet, doch immer nur für ihr grundsätzliches Erzeugnis, eben die Zigarette, Propaganda. Dem Verlage ist diese Universalre klame aber unmöglich, denn ein literarisches Buch ist von dem andern so grundverschieden, wie die Zigarette von der Medizin — dem Verleger fehlt jede stoffliche Identität seiner Erzeugnisse. Es gibt nun allerdings eine Bücherart, die sich dem Begriff der Ware nähert: die Unterhaltungslektüre (im Grundsinne des Wortes). Sie erfüllt ihren positiven Zweck damit, daß sie in die Hand des Käufers übergeht und für die Zeit der Lektüre »unter hält« — also ganz identisch der Ware, deren positiver Zweck sich erfüllt, wenn sie in den Besitz des Käufers gelangt ist und von diesem als Ding an sich benutzt wird. Der Verleger der Un terhaltungslektüre denkt ebensowenig wie der Möbelfabrikant dar an, daß seine Erzeugnisse über die Annehmlichkeit der augenblick lichen Benutzung hinaus etwa das Ziel haben könnten, den Ofen zu Heizen. Die Masse der Reiselektüre beispielsweise will gar nicht anders gewertet werden, als daß sie während der Reise den Leuten, die sich nicht mit sich selbst zu beschäftigen vermögen, eine gewisse Konzentrationsmöglichkeit bietet; mit dem Reiseziel erledigt sich auch ihr Ziel. — Der Absatz rein unterhaltender (also stofflich identischer) Bücher ist unbegrenzt, denn ihr Leserkreis wächst von Tag zu Tag. Wer nach der Quantität urteilt, nennt das »Kulturzeichen«. Komische Kultur allerdings, wenn der Bollejunge oben seinen Nick Carter verschlingt und unten die Milch auslaufen läßt, wenn der Dreiradboh rücklings auf seinem Kasten liegt und in den Himmel — seines schmutzigen Romans starrt, wenn das Geschäftsmädel die ermüdeten Augen allabend lich anstrengt, bis »sie sich haben«, — wenn Fleiß, Gesundheit, Verstand ihre Opfer sind! Aber immerhin! — nach der Quali tät darf man hier kein Urteil fällen, denn der mittelmäßige Leser fragt nichts nach Qualität, er will nur haben, haben, haben — Neues, und das vor allem. Diesem wachsenden Verlangen nach Augenblickslektüre verdanken jene Buchfabriken ihr Leben, die, um lebenskräftig zu bleiben, unentwegt den befruch tenden Reklameregen über hirnverdorrte Köpfe ausgießen müssen. (Und siehe, auch in der Einöde der Ungebildetsten regt es sich und verlangt nach Lektüre, indes der Regen der Reklame zu purem Geld geläutert, sanft aber sicher in den diebs- und feuersicheren Brunnen des Verlegers zurückquillt.) Diese »Bedarfsverleger«, die schon aus der Psychologie der Reklame heraus ihre Bücher meist unter einer bestimmten Flagge oder in dem festen Rahmen einer »populären« Bibliothek erschei nen lassen, können infolge des ein für allemal festgelegten Cha rakters ihrer Erzeugnisse genau wie der Warenfabrikant die Universalpropaganda anwenden. Sie sind sogar in ge wissem Sinne darauf angewiesen — um eben ihre Lektüre über haupt populär zu machen. Denn, was bedeutet hier »populär«? Doch das: möglichst vielen einWort und damit einenBegriff so zu suggerieren, daß sie sich dessen im Bedarfsfälle sofort als ersten und einzigen erinnern. Was ist einfacher, als immer und immer wieder denselben Sammelnamen in die Welt zu hängen, wenn das Publikum sowieso weiß, daß sich dahinter alle paar Wochen ein neues Buch birgt! Nebenbei kommt man auch den indifferenten Lesern entgegen, die ja gar kein Interesse daran haben, daß der oder der Schriftsteller den oder den Roman ge schrieben hat, denen es vollkommen genügt, zu wissen, daß die Zeit wieder einmal da ist, in der die schmackhafte X-Sammlung etwas Neues zur Welt bringt. Das aber, was wir unter einem literarischen Buche im edlen Sinne des Wortes verstehen, ist mit dem Begriff »Ware« unvereinbar. Schon, daß es von Leuten geschrie ben wird, die nicht von, sondern für Wissenschaft oder Poesie leben, zeigt die Trennung. Es liegt theoretisch gar nicht in der Absicht der literarischen Arbeit, daß sie »gelesen« wird, das Lesen bildet hier nur den selbstverständlichen Kontakt, die rein äußerliche Vermittlung der Idee des Autors. Die Mission des literarischen Buches ist nicht die Lektüre an sich, sondern ihre Folge. Denn, ob es sich nun hier um ein Werk der Wissenschaft, Poesie oder Kunst handelt, das Ziel bleibt gleich: es will bilden und belehren, die Menschheit durch das heutige Sein zum Idea lismus fördern. An dieses literarische Buch denke ich, wenn ich sage, daß der künstlich großgepäppelte Schmarotzer einer gewissen Reklame zum schlingenden Moloch wird, der den K u lt u r v e r l e g e r mit den Riesensummen der Propaganda besteuert, die sinnlos wären, — machten sie sich nicht notwendig. Denn der Kulturverleger hätte es nicht nötig, die Reklametrommel zu rühren, wenn ihn nicht der Buchfabrikant dazu zwänge. Dessen Propaganda lastet nämlich schon so schwer auf der Kultur unseres Volkes — das bereits irre wird und diese oder jene Bibliothek für den Inbegriff der Literatur hält —, daß die bildenden Bücher in den Schatten ge drängt und der Perspektive ihres Publikums entrückt werden. Nun wird es dem Kulturverleger nicht einfallen, mit den Buch fabrikanten in Konkurrenz zu treten, denn so ankämpfen wäre ein Don Quixote-Ritt gegen Windmühlenflügel. Selbst wenn es ihm mit ungeheuren Opfern gelänge, den reißenden Absatz der (Nur-) Unterhaltungslektüre einzudämmen, dauernd könnte das Fundament in dem seichten Boden des heutigen Volksgeschmacks doch nicht standhalten. Aber schon außerhalb der eigentlichen Konkurrenz verlangt seine Propaganda mehr Aufwand als die des andern, weil die erste individuell sein muß, die zweite nur universell zu sein braucht. Das heißt, der Kulturverleger ist, um seine Erzeugnisse bei der jetzigen Konjunktur überhaupt zu vertreiben, gezwungen, für jede Neuerscheinung eine gänzlich neue Propaganda zu inszenieren. Und trotz dieser bei weitem höheren Unkosten wird ihm die Propaganda doch immer mehr dazu dienen müssen, den Interessentenkreis zu erhalten, statt ihn, wie das bei den Buchfabrikanten der Fall ist, ins Unbegrenzte zu erweitern. — Wenn man noch dazunimmt, daß der Buch fabrikant seine Literatur meist aus Zeitungsdrucken übernimmt oder Ladenhüter neu einkleidet, der Kulturverleger dagegen nur mit Erstdrucken arbeitet, die schon an Honorar das Dreifache oder Vierfache ausmachen, so wird man verstehen, w i e ernst die Lage des Kulturverlegers sich gestaltet, wenn obendrein noch aus seinen eigenen Kreisen das Publikum durch überschwengliche Anzeigen irregeführt wird. Man sollte darum Bücher nur durch Inhalts angabe anzeigen und sich vor allem jeden Selbstlobes enthalten; dann kann das Publikum sich selbst wählen, was ihm zusagt, es wird Vertrauen behalten zu den buchhändlerischen An kündigungen und sie nicht unbeachtet beiseite legen. Dann kann es, im Rückschluß, vielleicht auch kommen, daß manche Summen, die heute für die Reklame vergeudet werden müssen, der Literatur wieder zugutekommen, daß man nicht bangen muß: wohin treibst du, deutsche Literatur — wirst du versuchen wie französische »Lektüre«, oder erkalten, wie die Englands? Wirst du mehr werten als galizische Leitartikel börsen- jobbernder Zeitungen — wenn einst, »lange, lange« nach jetzt, der Verleger deinen besten Autoren, deinen jungen Talenten die Türe weisen mutz, weil die Reklame verschlang, was für sie war? Darum: heraus, ihr Pioniere der Kultur, schließt euch zusammen gegen die Versimplung der Literatur und gegen den Schaden eurer (Fortsetzung auf Seite 11623.)
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