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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.05.1905
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1905-05-18
- Erscheinungsdatum
- 18.05.1905
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- Deutsch
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- Saxonica
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H 114, 18, Mai 1SVS. Nichtamtlicher Teil 4717 (Heine) wir befürchten, daß durch eine der Petition entsprechende Bestimmung auch ernsthafte wissenschaftliche Werke getroffen werden würden, daß man — um ein Beispiel zu nennen — ein Buch wie Bölsches »Das Liebesleben in der Natur» herausgreifen und unterdrücken würde, in Wahrheit, weil es die Deszendenztheorie verbreitet. Wir haben kein Zutrauen darauf, daß eine solche schwammige, allgemein gesetzliche Bestimmung von der Justiz loyal behandelt werden würde. Wir sind des Glaubens, daß sic benutzt werden würde als neues Unterdrückungsmittel, Wir sind auch der Ansicht, daß noch andres dahinter steckt. Es geht eine ganz allgemeine Tendenz durch gewisse Kreise, eine Tendenz des unwahren unkeuschen Muckertums, die eben durch diese Petition und was damit bezweckt wird, befördert werden soll. Wir haben erleben müssen, daß in einer Schule aus Schillers Lied von der Glocke den Schülerinnen verboten wurde, die Stelle zu lernen: »Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe« bis zu den Worten »O daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe,» (Große Heiterkeit ) Die Mädchen haben alle das Gedicht gedruckt vor sich, sie lesen es; es wird ihnen aber verboten, diese Stelle aus wendig zu lernen, während sie im übrigen das ganze Gedicht auswendig lernen. (Große Heiterkeit,) Heißt das nicht direkt die Lüsternheit der Kinder, ihre Neu gier nach dem Geschlechtlichen erwecken und sie mit der Nase daraufstoßen! (Sehr richtig! links,) Wir haben es erlebt, daß aus Gesangbuchversen Worte gestrichen wurden, weil sie nach der unkeuschen Meinung etwas Geschlechtliches enthielten. Die Worte: »Der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an unzählig viel zu gut und noch jetzund getan», mußten geändert werden, weil es gewisse Leute für unkcusch halten, vom Mutterleibe zu sprechen, weil der bloße Gedanke an die natürliche Erzeu gung, an die Heiligkeit der Mutterschaft ihnen ein unkeusches Gefühl erregt, und weil sie glauben, daß es den Kindern ebenso gehen müßte. Wir haben es erlebt und erleben es beinahe alle Jahre wieder, daß irgend ein Tugendwächter von Lehrer oder Pfarrer den kleinen Mädchen verbietet, mit nackten Armen in die Schule zu kommen, weil er sich daran aufregt (Heiterkeit), weil er das als etwas Unkeuschcs empfindet, (Wiederholte Heiterkeit,) Wir haben vor ein paar Jahren folgendes erlebt. Die »Rheinische Zeitung» gelangte in den Besitz eines Beicht zettels, den ein zehnjähriger Schüler der Volksschule erhalten hat. Der Knabe sollte nach diesem Zettel folgende Fragen beantworten: Sechstes Gebot: Ich habe Unkeusches gedacht. Wie oft? Ich habe Unkeusches gern gesehen, gehört, Un keusches gesprochen oder gesungen. Wie oft? Ich habe Unkeusches getan, allein oder mit anderen? Wie oft? (Hört! hört! links ) Diesen Zettel hatten die Kinder in der Schule von ihrem Religionslehrer bekommen. Meine Herren, gibt es etwas Schamloseres, etwas Jugendverderbenderes, als die Schulkinder mit der Nase auf den Begriff der Unkeuschheit zu stoßen, ihnen Fragen vorzulegen, die erst Lüsternheit in ihnen er zeugen müssen? (Sehr richtig! links,) Und dieselben Leute, die das gutheißen, aus deren Kreise solche Exzesse hervorgehen, dieselben Leute wollen uns nun hier diskretionäre Befugnisse an die Regierungen und Be- Börsenblatt für d-n deutsch:,! Buchhandel, 72, Jahrgang, Hörden und Justiz zumuten. Meine Herren, die geschlecht liche Sittlichkeit der Jugend ist gewiß ein teures und hohes Gut, Es ist ganz gewiß wahr, daß die Kraft einer Nation zum großen Teile darauf beruht, daß nicht die Jugend frühzeitig geschlechtlich verdorben wird. Das gebe ich Ihnen alles zu, das wird auch kein Mensch bestreiten; aber durch eine prüde Muckerei werden Sie das nicht erreichen und ebenso wenig durch neue Strafgesetze, Das einzige, was hilft, ist, daß man den Kindern eine natürliche Keuschheit einpflanzt. Der Moment kommt bei jedem Kinde, wo es nach den geschlechtlichen Zusammenhängen fragt. Wenn man dann die Dinge als etwas behandelt, was mit dem Schleier des Geheimnisses, mit dem Makel des Verbrechens behaftet ist, dann erweckt man erst die Neugier, dann beginnt das ewige Fragen, Forschen und Grübeln, wie diese Dinge wohl vor sich gehen, wozu die Mutterbrüste, wozu der Mutterleib da sind, und wie das Kind in ihm entsteht; dann beginnt auch das unkcusche Nachdenken und das unkeusche Wünschen schon bei denen, die noch nicht in dem Alter sind, das von selbst solche Gedanken nahelegt. Bekämpfen und verhindern können Sie das nur dadurch, daß man über die geschlecht lichen Dinge frei und offen redet, daß man die Kenntnis vom Natürlichen den Kindern nicht vorenthält. Ein Kind, das gewöhnt ist, Bilder von nackten Menschen um sich zu sehen so viel als möglich, denkt nicht daran, sich aufzuregen, wenn ihm ein Bild von einem nackten Menschen an- gsboten wird, (Na! na! in der Mitte,) Aber Kinder, denen gegenüber das als etwas ganz besonders Geheimzuhaltsndes behandelt worden ist, haben natürlich dank dem menschlichen Wissenstriebe gar nichts Eiligeres zu tun, als sich die ihnen verbotene Kenntnis zu verschaffen. Es wurde vorhin: »Na! na!» gerufen. Meine Herrn, ich glaube aus Erfahrung sprechen zu können. Ich habe es schon bei der Beratung der lox Heinze erwähnen müssen; aber ich glaube, diese meine individuelle Erfahrung auch heute nicht zurückhalten zu dürfen. Ich habe als Kind die ganze Bibel in der Hand gehabt und bin nie auf den Ge danken gekommen, dort nach den lüsternen Stellen zu suchen, obwohl es bekanntlich welche gibt. Ich bin ausgewachsen mitten zwischen Bildern von antiken Kunstwerken, mitten zwischen Nuditäten und habe nie daran gedacht, gerade des halb nie daran gedacht, darin etwas besonders Reizvolles zu sehen. Und nicht nur mir ist es so gegangen, sondern jedem Menschen, mit dem ich darüber gesprochen habe, der in gleicher Weise erzogen, in seiner Jugend nicht von solchen Dingen ferngehalten worden ist, Geheimniskrämerei und diese ganze oermuckertc Tuerei, das ist das, was die Unsittlichkeit erzeugt, mindestens, was die Bekämpfung der Unsittlichkeit erschwert, indem es die Kinder erst auf lüsterne Gedanken bringt, die sie dann auch durch die schlechteste Literatur zu befriedigen suchen. Deshalb sind wir — ich glaube, im Namen meiner Parteigenossen sprechen zu können — alle zusammen gegen diese Petition, und ich meine, daß jeder, dem deutsche geistige Freiheit, deutsche Bildung und die Sittlichkeit der deutschen Jugend etwas wert ist, gegen die Petition stimmen muß, (Beifall links ) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann, Lattmann, Abgeordneter: Meine Herrn, weder die Bitte des Synodalvorstands, die uns hier vorliegt, noch der mit überreichte Beschluß der Kreissynode in Berlin enthält etwas, was nach einer Begründung aussieht, und ebenso entsprechen diese Beschlüsse auch nicht der üblichen Petitionsform, Aber nach den Vorgängen, wie früher die Petitionskommission solche lückenhafte Wünsche behandelt hat, werden wir ent- 8S3
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