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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.09.1879
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1879-09-24
- Erscheinungsdatum
- 24.09.1879
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- Deutsch
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- Saxonica
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3786 Nichtamtlicher Theil. 221, 24. September. amalgamiren sich nicht mit der großen Masse, üben auf dieselbe auch keinen sichtbaren Einfluß aus und werden, falls sie ja zu größeren und ausfälligeren Gruppen zusammenflicßen sollten, sorg fältig abgeschöpft und beseitigt. Die Unkenntniß dieses Verhältnisses und der Mangel an Persönlichkeiten, die mit den russischen Zuständen und der Sprache genau vertrant, die westeuropäische Presse auszuklären im Stande wären, ist ausfällig; trotz der Wichtigkeit, die das Grenzland Rußland, namentlich für Deutschland von jeher hatte und von Tag zu Tag mehr gewinnt, trotz der Möglichkeit, daß sich die friedlichen Beziehungen Deutschlands zu Rußland, welche sich jetzt vorzugs weise auf die Vcrwandtschasts - und Freundschaftsbande der be treffenden Herrscher stützen, jeden Augenblick ändern könnten, ist diese Unkenntniß so auffällig, daß sie dreist der Unkenntniß der Franzosen in Bezug auf Deutschland (namentlich vor 1870) an die Seite gestellt werden kann. Es ist frappant, wie leicht (um nicht zu sagen leichtsinnig) achtbare deutsche Zeitungen über russische Ver hältnisse urtheilen, von denen sie augenscheinlich nicht den geringsten Begriff haben und mit welcher Naivität häufig Nachrichten, die aus den verdächtigsten Quellen stammen und denen für jeden Kundigen die Tendenzlüge deutlich ausgeprägt ist, geglaubt und verbreitet werden.*) Der russische Journalismus ist also, so lange er sich nicht auf systematische, böswillige Opposition gegen gesetzlich bestehende Ein richtungen, gegen die Personen des Kaisers und der kaiserlichen Familie, gegen die Grundprinzipien des Staates, der Kirche, der Familie und des Eigenthums verlegt (selbstverständlich werden auch Angriffe gegen Sittlichkeit und öffentliche Moral nicht ge duldet), — sactisch ebenso frei, wie die übrige europäische Presse. Selbst Angriffe aus hochstehende Beamte — bis zum Minister hinauf — werden zuweilen ungestraft gewagt. Wir erinnern an die Angriffe eines Theils der Presse gegen den Kriegsminister Grasen Miliutin und gegen den Minister der Volksansklärung Grasen Tolstoi. Tritt eine Frage in den Vordergrund, deren Erörterung durch die Presse der Regierung ungelegen ist, so er halten die Redacteurs der von der Präventivcensur befreiten Blätter daraus bezügliche Winke; werden diese Winke nicht beachtet oder entschlüpft einer Zeitung eine unstatthafte Kritik von Regie rungsmaßregeln, so erfolgen öffentliche Verwarnungen und »ach der dritten Verwarnung — nur ausnahmsweise auch früher — werden die betreffenden Zeitungen auf drei bis sechs Monate suspendirt und bei besonders gravirendcn Fällen gänzlich verboten. Die ohne Präventivcensur täglich erscheinenden Zeitungen haben eine Caution von S000 Rubel zu stellen, es ist aber noch kein Fall bekannt geworden, daß auf diese Caution Beschlag gelegt worden wäre. Geldstrafen werden überhaupt nicht verhängt — abgesehen davon allerdings, daß sowohl die monatelange Suspendirung einer Zeitung, wie auch das Verbot des Einzelverkaufs, das sich die Zeitungen zuweilen zuziehen, empfindliche Geldverluste reprä- sentiren. Wir wollen nun den Versuch machen, einzelne einflußreichere Organe der periodischen Presse zu charakterisircn und fangen mit dem in der westeuropäischen Presse jetzt Wohl am häufigsten ge nannten „Koloss" an. Der „Koloss" (die Stimme) erscheint seit etwa fünfzehn Jahren und ist Eigenthum ihres Redacteurs, des Staatsraths Andr. Krajewski. Krajewski ist der Veteran der russischen Journalisten, ein Siebziger; er war früher Redacteur *) Wir benutzen diese Gelegenheit, um die Leser dieser Zeilen auf den vortrefflichen Aufsatz: „Die russischen Nihilisten" von Ör. Fr. Meyer v. Waldeck (Unsere Zeit 1879, 14. Heft) aufmerksam zu machen. Solche Mittheilungeu, auf gründliche Keuntniß des Landes basirt, verdienen besonders hervorgehoben und aucrkauut zu werden. Der Berf. der russischen „St. Petersburger Zeitung" und hat durch seine Geschicklichkeit und seine Verbindungen sich zum einflußreichsten Journalisten cmporgeschwungen. Es gab eine Zeit, wo die Dios- kuren der „Moskauer Zeitung", Katkow und Leontjew ihn durch ihre Deutschen- und Polenhetze verdunkelt hatten — aber Leontjew ist gestorben und Katkow's Licht ist im Verlöschen — Krajewski aber steht da, unbestritten Primus intor pures. Ebensowenig wie die „limos" hat auch der „Koloss" eine Tendenz, oder seine Ten denz ist eben Tendenzlosigkeit. Er hat aber ein seines Organ für alle neu austauchenden Fragen und verfällt nicht leicht in Extreme Seine Leitartikel sind meist mit Sachkenntniß und von gut geschul ten Journalisten oder autoritativen Specialisten geschrieben. Er hat es überhaupt verstanden, die tüchtigsten Mitarbeiter zu gewin nen. Daher ist auch der „Koloss" dasjenige unter den unabhängi gen Blättern, welches das größte Ansehen genießt. Nächst diesem wird wohl jetzt am häufigsten die „klorvojo Vronffg." (Neue Zeit) citirt. Sie wird von Hrn. Ssuworin geleitet. Dieser Herr hatte seiner Zeit den Ruf als bester Feuille tonist und verdiente diesen Ruf durch seine gewandte, scharfe und immer den wundesten Fleck und das pikanteste Ereigniß treffende Feder. Die Aufgabe jedoch, immer zur bestimmten Stunde geist reich, satirisch, angreifend oder abwehrcnd zu sein, stumpfte ihn schließlich ab, und er zog es vor, ein abgewirthschaftetes Blatt an- zukaufen, welches er zu einem Organ des crassesten russischen Chauvinismus umschuf. Er war es hauptsächlich, der die „slawi schen Brüder", die Serben, Bulgaren, Bosniaken, Herzegowiner s tntti guanti in den Vordergrund rückte, der die russischen Frei- schaaren unter Tscherniajew und Komarow den Serben zu Hilfe sandte, der gegen Deutschland und Oesterreich am lebhaftesten hetzte, der überhaupt durch alle möglichen Excentricitäten von sich reden machte und auf diese Weise richtig sein miserabel redigirtcs und übel berufenes Blatt zu einem bis dahin unerhörten Ab satz von nahe an 30,000 Exemplaren brachte. Jedenfalls ist diese Zahl schon jetzt bedeutend gefallen, und es ist anzunehmen, daß die „Hoirojo tVrowja." bald ebenso herunter kommen wird, wie die „Moskauer Zeitung", die in den sechziger Jahren unter der Leitung von Katkow*) und Leontjew die erste Rolle spielte. Jetzt ist die „Moskauer Zeitung" kaum noch ein Schatten von dem, was sie früher war, sie wird auch, sowohl vom Publicum wie auch von den übrigen Zeitungen, nur noch wenig beachtet, während sie früher mit fast allen übrigen Blättern in fortwährendem Kampfe lag. Es ist nicht zu leugnen, daß damals die „Moskauer Zeitung" und ihre Redacteurs eine sehr hervorragende Rolle gespielt haben und daß der Muth und die Entschiedenheit, mit denen sie die da mals neue Errungenschaft derPreßfreihcit gegen die höchstgestellten Personen benutzten, sie in allen Schichten der Gesellschaft theils ver göttert, theils gefürchtet machte. Die „Moskauer Zeitung" war es auch, die seiner Zeit den Grasen Tolstoi in der llnterrichtsfrage — als der Kampf zwischen Classicismus und Realismus in der ganzen Gesellschaft und Presse tobte — mit ihrer Autorität für den Classi cismus stützte, und Professor Leontjew war damals eine wichtige und maßgebende Persönlichkeit, die für den schließlichen Sieg des Classicismus vielleicht ebensoviel gethan hat, wie der Minister selbst. Die „Moskauer Zeitung" hat jetzt ihren Haupt-Anhang nur noch im Innern des Reichs, südlich und östlich von Moskau und in Mos kau selbst, in Petersburg und im Westen des Reichs trifft man sie nur ausnahmsweise. Die „Aolva" (das Gerücht), das Organ des Hrn. Poletika, *) „Der seine Feder in Weisheit taucht", wie seiner Zeit seine Anhän ger, bei Ucberreichung eines silbernen Tintcnsaffes mit goldner Feder, äußerten. Diese Phrase wurde natürlich später von seinen Gegnern zu einem stehenden Epitheton benützt.
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