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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.04.1915
- Strukturtyp
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- 1915-04-24
- Erscheinungsdatum
- 24.04.1915
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- Deutsch
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^ 93, 24. April 1915. Redaktioneller Teil. stilles Wandern an. Und schon nach ein paar Schritten war es, als wäre ich schon immer so an ihrer Seite hingeschritten. So heimisch fühlte ich mich an der leitenden Hand der Aus- stellungsnacht. Leise knirschte der nächtliche Kies unter unfern Tritten. Und als ich die Augen hob, hatte der Mond über die schlafende Ausstellung einen Silbermantel gebreitet. Wie das glitzerte und gleißte! War das noch die gleiche Ausstellung? Kein Brausen mehr, kein eiliges Getrippel, kein Rufen mehr und kein Geschnatter. Stumm hingen alle Fahnen, und ihre Quasten tauchten, leise spielend, in das Traumland. Regungslos standen alle Bauten. Nur ihre Pfeiler, ihre Säulen wiesen schweigend in den schwarzen Himmel. Langsam hoben sich Gardtnenfranzen von den Fensterstangen, so daß diese uns erblicken und verstohlen blinzeln konnten. Und die Flügeltllrenlippen der Portale machten ein Geflüster: »Seht, da kommt sie — und in den Falten ihres Mantels ist ein Menschlein hängen geblieben — eins von dem über- lauten, die am Tage durch unsere Türen stolpern.« »Ihr irrt euch«, sagte ich und schmiegte mich ein wenig näher an die Mutter, »nicht reden will ich — nur zu schauen sollt ihr mir vergönnen.« »Bitte», sagten die Tore und ließen mich ein. Mich und die Ausstellungsnachl, deren Hand ich nimmer losließ. Durch die Maschinenhalle gingen wir auf leisen Sohlen. Da lagen sie, die Kolben und Zylinder, die Räder, Wellen und Gestänge, die am Tage fleißig liefen, da lagen sie und träumten. Und das Mondlicht saß gleich einem Riesenvogel mit Silberschwingen über ihnen und behütete sie. Und ich mußte denken: Schlafende Maschinen? Was sollen mir er starrte Zeugen der Betriebsamkeit des Tages? Aber da wandten sie mir ihre metallische Stirne zu, hinter der des Tages Arbeit abgeebbt war. Dafür glänzte mir von ihren Stirnen, Hüsten und Gelenken, sachie funkelnd, ihrer Arbeit Sinn entgegen, der sich unterm Tasten des zudringlichen Tages ins innerste Räderwerk verkriecht. Die Halle des Gewerbes hatte uns entlassen, der Handel tat sich auf. Tafeln und Tabellen hatten hier am Tage mit Trompetenstößen die Erfolge eines Volks verkünde!. Jetzt schwiegen die Trompetenstöße. Die Tafeln und Tabellen schliefen. Aber unter ihrem ruhevollen Atmen spürte man dafür des Volkes stille Kleinarbeit, aus der die lauten Stege wachsen. Und weiter schritt ich mit der Nacht. Früchte, Körner, Tiere — die Landwirtschaft regierte hier. Am Tage zeugten sie von einer reichen Mutter Erde. Aber jetzt, im Dunklen, schlossen die Körner ihre Schalen auf, die Früchte ihre Kerne, und aus dem warmen Schlafalem der Rinder stiegs be zwingend: Der Menschen Sorge, der Menschen Mißerfolge, der Menschen nimmermüdes Mühen ums Gedeihen der Körner, Früchte, Tiere . . . Weiter schritt ich, mit der Nacht im Bunde, über freie Plätze, wo der Bäume schwarze Samtkronen unbeweglich hinter uns hersahen. Wo ein Springbrunnen verschwiegen rauschte und doch erzählte und erzählte. Ja ja, ich war auch am Tag vor diesem Springbrunnen gestanden. Aber da hatte er mir nichts erzählt. Da war er nur ein Wasserstrahl, ein braver Wasserstrahl. Aber jetzt erzählte dieses Wasser von den Firnen, wo es Eis war, — von den Bergen, wo es Schnee war, — von den Hängen, wo eL Quell war, — von den Wiesen, wo es breit und fruchtbar strömte, — von den Turbinen, die es trieb, damit es in den Städten von Mil lionen Funkellampen blitzen konnte — und endlich wieder von den Wolken, die da oben segelten. Der Strahl erzählte, hob sich und versprühte . . . Und mir war es plötzlich, als hätte dieser springende Brunnen das ganze, ganze Land um sprüht, von dem diese ganze Ausstellung nur eine einzige Blüte war. Und wieder ging es Wetter. Bilder hingen an den Wänden, und Statuen sah'n uns aus dem Dunkel an. -Wir sind die Kunst«, sagten sie still, «des Landes Kunst.» Wir konnten nichts sehen. Aber der Künstler Geist stieg aus der Leinwand und von den Marmorleibern herab auf uns, und die Gedanken ihrer Schöpfer umwogten und um wallten uns. Die Ausstellungsnacht ließ meine Hand los. »So«, sagte sie, »nun sahst du alles«. Ich zögerte. »Da war noch eine kleine stille Abteilung«, sagte ich. »Ja«, sagte die Nacht, »der Tag erzählte mir, er habe dich dort stehen sehn — mit andern Leuten, die dort etwas riefen. Was riefen doch die Leute?» »Muß ich es sagen, Nacht?« »Freilich. Ich denke doch, du willst mir zum Dank für meine Führung auch was Lustiges erzählen?« »Jch weiß nicht, ob es lustig ist. Vielleicht, daß es nur dumm war, Nacht.» -Nun laß mal hören. Der eine sagte —?< >O je, Kinder, kehr'n wir um!« »Und der andre?« »Bücher, Kinder, Bücher — nix als Bücher — ich geh' auf die Rutschbahn!« »Und dann?« »Und ich ins Dörsli zu cm guten Tropfe.« »Und schließlich?« »O jesses, Kinder, Bicher! Ausgerechnet Micher!« Ich schämte mich, und die Nacht lächelte. «Komm«, sagte sie endlich, »komm, wir wollen's doch noch einmal mit die Michern versuchen.» Ein paar Schritte machte sie mit mir/ und da standen wir schon in der stillen Abteilung. Es war nicht anders wie am Tage. Bücher standen da in Reihen, lauter Bücher. Einige leuchteten bei dem stillen Mondlicht, und andere blieben trotzdem dunkel. Einige sahen uns voll ins Angesicht, und andere wandten uns den Rücken zu. Und alle waren stumm. Ich stand da und dachte nach. Aber es fiel mir nichts ein als: »Das sind eben Bücher, lauter Bücher.« Die Nacht lächelte. »Komm, Nacht«, sagte ich, »wir wollen gehen». »Einen Augenblick noch«, sagte die Nacht und fuhr mit ihren dunklen Weichen Händen geschwind über die Bücher rücken. Da geschah etwas Merkwürdiges: die Bücher wurden lebend. »Erschrick nicht«, flüsterte die Nacht, »weißt du, am liebsten werden Bücher in der Nacht lebendig.» Nicht daß die Bücher in jener Nacht gesprochen hätten, brav und nacheinander ihren Inhalt aufgesagt hätten. Das tun sie nur, wenn man sie liest. Wir konnten damals, nächtens, keine Bücher lesen. Die Bücher lasen uns. Und wenn uns die Bücher lesen, da erst werden sie uns recht lebendig. Ich werde nie vergessen, wie uns in jener seltsamen Ausstellungsnacht die Bücher lebendig wurden: Da schoß aus einem Buche eine Narrenkappe auf und klingelte mit feinen Glöckchen. Aber unter der Narrenkappe erblickten wir ein zerpflügtes und vergrämtes Gesicht. »Am Tage siehst du das Gesicht nicht — nur die Kappe stehst du«, flüsterte die Nacht. Dann sahen wir aus einem andern Buche lehrhaft eine Brille steigen. »Die siehst du auch des Tages«, raunte die Nacht, »aber paß jetzt auf!« Da sah ich schalkhafte Augen hinter der Brille hervor glitzern. Und aus andern Büchern sahen wir Sorgen steigen und Hoffnungen züngeln. Die machten bunte Reihe und gaben sich die Hände. Und führten einen sonderbaren Tanz auf. Und wieder aus andern Büchern stieg es wie leichte Wölkchen aufwärts. 5l>9
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