^ 104, 7. Mai 1915. Fertige Bücher. BöriendlaU f. d. DNchn. Tuchhandel. 2609 bedürfniffes zwischen germanisch-gotischem und romanisch-klassischem Geist. Es ist eine Frucht desselben Geisiech aus dem seit zwei und mehr Jahrzehnten in Deutschland und in Frankreich viele der begabtesten und ernsthaftesten Zungen sich um ein nachbarlichech freundliches, fruchtbares Zusammengehen der beiden Völker bemüht haben. Ob es sich da „nur" um Literatur und Kunst handelte, oder ob auch politische Tendenzen dabei waren, ist unwesentlich, und daß das politische nicht fehlte, mag man aus dem Zustandekommen der beiden interparlamentarischen Konferenzen in Bern und in Basel sehen. Was die Dichter der „Weißen Blätter" schreiben, ist ins „Publikum" noch nicht gedrungen. Trotzdem üben sie Macht und wirken unter der Oberfläche, wie etwa in den bildenden Künsten die gewaltigen Anstrengungen der jungen und jüngsten Vichtungen wirken und Einfluß üben, während der Bürger noch mit mehr oder weniger Ärger über sie lacht oder schimpft und weit über ihre Verrücktheit erhaben ist. Schon daraus, wie sie sich jetzt in der Kriegszeit von einem billigen Wortpatriotismus entfernt halten und die Aufgaben der Zukunft vorempfinden, schon daraus mag man schließen, daß in diesen noch unbekannten Dichtern etwas vom besten deutschen Geist vorhanden und lebendig ist, und man kann nur wünschen, es möge auch in Frankreich, auch in Rußland recht viel Zugend dieser Art sich finden. Ohne daß wir glauben, es sei gut und fruchtbar, schon jetzt Programme der Zukunst für das Völkerleben zu entwerfen, glauben und wissen wir doch bestimmt, daß ein würdiges und fruchtbares neues Verhältnis der aufgerüttelten Nationen nur aus einem positiven, ernsten Wollen der Geistigen erwachsen kann, das heute schon latent dasein muß. Mögen die im Felde stehenden Heere sich jetzt um Literatur und Gedichte und Menschheitsgedanken den Teufel kümmern — sie haben das Recht dazu. Wir zu Hause Sitzenden haben das Recht nicht, wie wir auch nicht das Recht zu einer Tätigkeit des Hasses haben, das nach Völkerrecht nur den Unisormtragenden zusteht. Sin Lump, wer sich jetzt nicht zu seinem Vaterlande bekennt — aber daß man seine Heimat von Herzen lieben kann, ohne auf den Gedanken einer ewigen Zusammenarbeit menschlicher Vernunft und menschlichen Kulturwillens in allen Völkern zu verzichten, das sollte sich am Ende von selber verstehen. Niemand glaubt an die ewige Dauer politischer Bündnisse—wie sollte da jemand an die ewige Dauer nationalen Hasses glauben? Wer die Gedanken der wertvollsten deutschen Zugend kennen will, kann an ihrer Literatur nicht vorübergehen. Darum seien Suchende auf die „Weißen Blätter" verwiesen. Zch habe hier, aus guten Gründen, das Aktuelle betont. Doch glaube man ja nicht, daß dies die Hauptsache und daß es dieser Zugend gar um ein ästhetislerendes Spielen mit großen Gedanken zu tun sei. Eharakte- riflisch ist nur, daß gerade das Organ der frischesten, stürmischsten literarischen Zugend jene Stimmen der Mäßigung und der Zukunstspflege hören läßt. Damit rechtfertigen sich diese jungen Dichter, noch lange ehe ihre Gedichte die volle Mannesreife erlangt und den Weg zum Volk gefunden haben. Daß überhaupt ein so ernsthaft literarisches, ganz unpopuläres Monatsblatt mit seinen rein geistigen Bestrebungen jetzt mitten im Kriege seinen Weg wieder aufnehmen kann, ist schon ein Ding, das Vertrauen erweckt. Dies Vertrauen wird bei manchem Leser durch die Dichtungen wieder erschüttert werden, die man in den „Weißen Blättern" findet. Mancher wird sie gar nicht verstehen, mancher wird sie gewollt und frech finden, und etwas daran, ein Korn daran, ist am Ende wahr. Es ist Zugend, die sich hier äußert, und es ist ihr nicht um gute Gebärden, sondern um das Aussprechen ihres Lebens dranges zu tun, auch um das Abrechnen mit väterlichem Herkommen zuweilen, und Nachahmer laufen, wie überall, neben den Echten einher. Unter den Echten aber, zu denen Stadler gehörte, zu denen Werfel, Sternheim, Schickele, Ehrenstein und andere gehören, wird man, wenn das erste Stocken vor vielen durchbrochenen Formtraditivnen überwunden ist, Töne der Seele finden, Ge dichte und Aufsätze voll Ernst und Energie, deren momentane Formen und Wege man keineswegs überall zu billigen braucht, um doch das dahintersiehende Leben der heraufkommenden Generation lieben und ehren zu können.