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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.07.1915
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1915-07-03
- Erscheinungsdatum
- 03.07.1915
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- Deutsch
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^ 151, 3. Juli 1915. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. einzigen Sprachkundigen angewiesen. Diese Rolle erhöhte nicht nur mein Selbstgefühl, sondern verschaffte mir namentlich die so oft ersehnte Abwechslung in meinem mehr als einförmigen Dachsleben hinter der Front. Außerdem bereicherte es mich um etwas, was ich bisher nicht einmal dem Namen nach kennen zu lernen Gelegenheit hatte und was doch nicht zuletzt in dem an gehenden Buchhändler als Gegengewicht gegen einseitige litera- turfrcundliche Neigungen, namentlich in reichlich »ideal« veran- lagten Jünglingen, frühzeitig geweckt werden muß. Das war der Erwerbssinn. Dadurch, daß es mir jetzt zum ersten Male gestattet wurde, zu verkaufen und zur täglichen Einnahme, die sowieso ziemlich karg war, beizutragen, erhielt der Laden für mich eine Anziehungskraft, die mir mein unverständiger Chef bisher geflissentlich, und zwar aus Mißtrauen, verhehlt hatte. Ihm zum Trotze befleißigte ich mich gegenüber der mir zu gänglichen Kundschaft einer besonderen Strebsamkeit und er reichte, daß außer den Franzosen, die nach und nach wieder aus unserem Gesichtskreise verschwanden, eine Anzahl von Kunden meine Bemühung um sie lieber sahen, als die der anderen Ver käufer. Unter »meiner« Kundschaft befanden sich eigenartige Leute. Die meiste persönliche Teilnahme erweckte in mir ein Gymnasiast, der sich zum Studium buchstäblich hindurchhungerte, der Privatftun- den in vier oder fünf Fächern um wahren Hungerlohn erteilte, weil er für den Besuch der Schule von seiner Mutter, einer alten Tagelöhnersfrau im Moor, keinerlei Unterstützung erhalten konnte und wollte. Es machte mich froh, daß ich dem jungen Mann, der nur einen um den andern Tag ein Mittagsbrot und abends sel ten mehr als das Notdürftigste zu verzehren hatte, wenigstens mit Büchern aus meinem Besitze und dann und wann auch mit einigen Lebensmitteln aushelfen konnte. Aber sein eiserner Wille und Fleiß konnten ihn nicht vor dem Nervenzerfall bewahren, dem er bald nach bestandener Abgangsprüfung erlag. Zu ihm in geradem Gegensatz stand ein anderer, für mich gleich falls interessanter, aber persönlich weniger angenehmer Besucher, der noch heute als Reichstagsabgeordneter die sozialdemokratische Partei ziert, damals ein junger, hochfliegender Agitator, mit gelber, wallender Mähne, ursprünglich Maschinenschlosser, dann Redakteur seines Zeichens. Der Zufall brachte mich ihm bei sei nem ersten Besuche nahe, und meine Gleichaltrigkeit verlockte ihn zu einem politischen Gespräche mit mir, von dem er dermaßen an gezogen worden sein mußte, daß er sich seit dem Tage stets um mich als seine Bedienung bemühte. Noch heute mutz ich ihm das als Beweis der Vorurteilslosigkeit anrechnen, denn er erfuhr von mir keine gelinde Behandlung. Aber er hat es mir nicht einmal übel- genommen, daß ich ihm bei feinem Weggange von B. auf seine verabschiedende Äußerung, er hoffe, mich bald auf einem ande ren Standpunkte zu sehen, antwortete, nach meinem Dafürhalten sei für junge Leute unseres Alters das Erstnotwendige eine gute leibliche und geistige Verdauung, und die möchte ich mir nicht »auch« verderben. Ebenfalls als literarischer Berater, aber in ganz eigener Richtung, diente ich auch einem jungen Kubaner, dem Sohn eines steinreichen Pflanzers, einem sehr leichtlebigen Volontär. Er war mir gewogen geworden, weil ich ihm eines Tages für eine seiner unzähligen Vielliebchcn-Spenden eine besonders niedlich gebundene Ausgabe der Mirza Schasfy-Lieoer empfohlen hatte, für die er nach seiner Versicherung über die Matzen ausgezeichnet worden war. Gewohnheitsmäßig pflegte er nur Bücher in schö nen Einbänden zu kaufen, ohne besondere Rücksicht auf Inhalt und Preis, die weitaus meisten jedoch nur auf Zeit. Jährlich einmal nämlich besuchte ihn sein Vater, der doch nicht unversucht lassen wollte, sich davon zu überzeugen, ob sein Alfonso das ihm ausgeworfene sündhaft viele Geld, das er verbrauchte, wenig stens einigermaßen zweckmäßig, mit der Richtung auf ein löb liches Ziel ausgab. Da galt es denn, den alten Herrn durch eine Art »Potemkin-Landschaft«, in diesem Falle durch den Schein besitz einer imposanten Bibliothek wenigstens nach gewisser Seite hin zu beruhigen, und so wanderten um diese Zeit für rund tau send Mark Bücher in die prunkvolle Wohnung des jungen Lebe mannes, um nach der Abreise des Vaters wieder in unseren Laden zurückzukehren. Allerdings mit Ausnahme dessen, was inzwischen ^ die Freunde und Freundinnen Don Alfonsos mit heimgenommen hatten. Darunter befanden sich öfters einzelne Bände aus Rei- henwerken, und so kam es, daß bei dieser Transaktion selten weni ger als für zwei- bis dreihundert Mark auf Don Alfonsos Rech nung hängen blieben. Er selbst bestand hartnäckig darauf, daß ich ihm bei der Aufstellung seiner Prunkoibliothek und seiner ebenfalls aus Zeit angeschafften Kunstgalerie behilflich sein mußte — eine Dienstleistung, an die mich noch einige Tage lang der benommene Kopf zu erinnern Pflegte. Mein Chef Pflegte diese meine bevorzugte Stellung zu dem jungen Kavalier dadurch aus zunutzen, daß er mich mit den Mahnungen um Geld beauftragte, an denen es Alfonso auch nicht fehlen ließ. Aber wenn irgend einer Geld oder Geldeswert von ihm erhielt, war ich es, so daß ich mich dem Geschäft auch als »Eintreiber« nützlich machen konnte. Zu den »Originalen« der Handlung zu rechnen war ferner ein junger Lehrer, einer der Bücherfreunde, deren Liebhaberei schon auf den Grad gestiegen ist, wo sie in Narrheit übergeht. Er heiratete, um ihr genügen zu können, eine fünfzehn Jahre ältere Dame, die sich durch nichts auszeichnete, als durch ihr Vermögen. Ich entsinne mich, daß er, als ich ihm in Gegenwart seiner »Lieb sten« meinen Glückwunsch darbrachte, kaum dafür dankte, son dern um so lebhafter gegenfragte: »Sie haben nun doch alles zurückgelegt, was ich noch nicht bezahlt habe?« »Das ist Wohl gehörig viel?«, konnte sich seine Frau nicht enthalten, argwöh nisch zu fragen. »Wie man's nimmt«, fertigte sie ihr Gatte ge- mlltsruhig ab. Harmonischer wirkte das Bild eines Kunden aus der Reihe der Großkaufmannschaft, der eines Tages von seinem Haufe auf eine Faktorei in der Südsce verschickt wurde. Er rüstete sich für diese Abgeschiedenheit an der Seite seiner jungen Frau mit mehreren mächtigen Kisten voll Büchern aus, bei deren Auswahl für ihren eigenen Bedarf seine Gattin — nicht er selbst — meinen jugendlichen Geschmack zur Mitberatung auf die Probe stellte. Sie hat es mir später beson ders gedankt, daß ich auch Wilhelm Busch dabei nicht vergessen hatte; wie oft hatten dem von der heimatlichen Kultur welten wett entfernten kleinen Kreise Deutscher die Schelmenstreiche von Max und Moritz n. a. wieder die nötige Stimmung geben müssen! Für andere Kunden war ich zu jung. Da war ein Dichter trio, bestehend aus zwei Lyrikern und einem Epiker, das sich mit meinem Chef, der selber Dichter war und sich als solcher durch ein Lied politischen Inhalts einen Platz in allen Gedichtlesen er- snngen hat, jeder auf seine Weise, mehr oder minder heftig und beharrlich über die Bedeutung literarischer Tagesgrößen stritt. Einer der Lyriker war ein Mann, der sich auch als Samm ler von erotischer Literatur betätigte und für dessen Versorgung ich aus diesen Gründen noch zu jung war. Ihm als Dichter sah ich meinerseits seine Liebhaberei gleichsam als zum Handwerk ge hörig nach; nicht aber dem schon sehr bejahrten Hanptlehrcr an einer Mädchenschule, der fast ausschließlich Jagd auf solche Bü cher machte. Mir war der Mann geradezu unheimlich, und mein Verdacht gegen ihn fand seine Bestätigung dadurch, daß er eines Tages durch strafrichterlichen Befehl in Haft genommen wurde. In dieser machte er seinem Leben ein Ende. Kaum minder als er widerte mich der Prediger einer für äußerst freisinnig geltenden Gemeinde, ein Überläufer aus dem Judentum, an, zu dem er, nachdem er sich und seine Zuhörer ganz und gar aus der christlichen Kirche hinausgeekelt hatte, reumütig wieder zurücktrat. Grundhäßlich, triefend von gemachter Salbung, von gesuchter Schäbigkeit der Erscheinung, dabei aber ein Meister der giftigen Rede, war er mir ein lebender Beweis dafür, was eine gewisse Sorte von Publikum an sogenannter Aufklärung alles vertragen kann — ohne klug zu werden. Nach einem solchen Besuche bot für mich derjenige unseres »Herrn Meyer« eine wahre Erquickung. Wer Fritz Reuters Be schreibung des Äußeren Bräsigs vor Augen hat, kannte auch »Herrn« Meyer, nur daß dieser nicht »kort berstiepert«, sondern stattlich geraten war und nicht auf »utwartsch« gerichteten, son dern auf geraden Beinen stand. Dafür konnte er aber im übrigen mit allem Drum und Dran einschließlich der Mütze als Unkel 953
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