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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.06.1919
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1919-06-02
- Erscheinungsdatum
- 02.06.1919
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- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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X- 111, 2. Juni 1918. Redaktioneller Teil. teren Teil des Weges mutzte die völlige Befreiung der Seele vom Stoffe liegen, sie ist die neue Ausdruckskunst, vor der wir jetzt stehen. Ist nicht die Revolution, wenn man einmal ihre Menschlichkeiten von der Betrachtung ausschlietzt, ein ähnlicher Vorgang? Hat sich hier nicht der Idealismus der Arbeiterschaft, der noch unwirkliche, nur in der Seele lebende sozialistische Staatsgedanke Bahn gebrochen, gegen den in den grundsätz lichen Fragen beruhigten Materialismus des Bürgertums? Hat nicht auch hier sich die Seele selbstherrlich durchgesetzt gegen die Wirklichkeit? Es ist vielleicht gewagt, von den Proben der Sammlung der Deutschen Bücherei Schlüsse zu ziehen auf die Gesamtheit der Erscheinungen, aber auffällig ist immerhin, wie die bürgerlichen Parteien die alte Wirklichleitskunst im Plakate bevorzugen, während die Träger der Revolution überwiegend mit der neuen Kunst arbeiten. Ich mutz gestehen, ich selbst verstehe die neue Darstellungsweise besser in dem, was sie will, als in dem, was sie tut. Gleichwohl drängt sich mir auf, daß sie für so wilde Vorgänge doch stärkere Mittel mitbringt, als die Wirklichkeitskunst. Das freiere Schalten mit Farbe und Ilmritz wird der Neuheit des Erlebens und dem tiefen Aufruhr aller Dinge besser gerecht. Ein Beispiel davon scheint mir das Plakat von Cäsar Klein für den amtlichen Werbedienst zu sein. Eine kubistische Darstellung der Revolution von Os wald Herzog rcchiscriige einige Worte über diesen frühen Zweig der neuen Kunst. Alles Irdische ist nur ein Gleichnis. Jede Form ist Stoff und Seele zugleich, ist stumm und beredt in einem. So sind auch die geometrischen Formen Sinnbilder see lischer Dinge. Spitze Winkel lösen im Unterbewuhtsein die Er innerung an Blitze, Speerspitzen, Pfeile, Schneiden und damit an Kampf und Haß aus. Rundungen erinnern an Weiche Wol len, Kissen, beleibte Menschen u. dgl. So wird es vielleicht bei gutem Willen verständlich, wenn ein Kubist mit einem schmückend geordneten Durcheinander von Spitzen und Rundungen die Re volution darstcllt. Der kühne Entwurf eines neuen deutschen Weltbildes, wie ihn die Revolution gebracht hat, bedingt jahrelange Gedanken arbeit, um alle Einzelheiten dem Gesamtstil anzupassen. Für die Schriftsteller erwachsen damit ungeheure Aufgaben des Um- und Neudenkens aller Werte. Wenn irgendwo, so spüren wir bei ihnen den wildbewcgten Herzschlag der Zeit und das Fiebern des deutschen Gehirns. Immer neue Zcrtnn- gen und Zeitschriften tauchen auf und gehen unter. Dieser Teil der Ausstellung ist ganz besonders in steter Bewegung und steter Erweiterung. Kein Standpunkt ist so fest, daß er von der Strö mung nicht verschoben würde. Was noch irgend welches Leben in sich hat, mutz sich mit der neuen Zeit auseinandersetzen. So sind denn alle geistigen Richtungen vertreten. Der demütige oder streitbare katholische oder evangelische Christ erhebt ebenso seine Stimme wie der wilde Spartakusbruder oder der hem mungslos selbstbewußte Dadaist, der sich selbst für den einzig möglichen deutschen Reichsverweser hält. Die neue Zcnsnrfrei- heit hat die straffen Bänder gelöst, die während der Kriegszeit alles in eine gewisse Einheit der Gesinnung zwangen. Die Ent spannung der lauge Jahre hindurch gestrafften Willenskraft hat auch den Stil entfesselt. Die Gewöhnung an grausige Dinge hat wohl mitgcwirkt. So sind neue wilde Worte und Wendun gen so wohlfeil wie Handgranaten und Maschinengewehrfeuer. Sie gelten den neuen Menschen mehr, als die sorgsam durch dachten Gebilde vergangener Tage. Was einem hier wie überall entgegentritt, ist die Tatsache, daß die revolutionären Kräfte ge genüber den erhaltenden weitaus die Mehrheit und das Über gewicht haben. Die bürgerlichen Richtungen, ganz besonders die der Rechte», befinden sich gegenüber den lebhaften Angreifern in der reinen Verteidigungsstellung. Mit anderen Augen sieht wieder der Werbefachmann auf dieRevolutionsdrucksachen. Im grotzen und ganzensind dieWerbe- sachcn der Parteien, insbesondere die Stratzen-Drucksachen, mehr im Stil der Vergangenheit gehalten als die neuen Zeitungen und Zeitschriften. Die Parteien sind dasjenige, was alte und neue Zeit verbindet. Sie haben ihre Grenzen gegenseitig ver schoben, sich neu aufgemacht, aber Grundgedanken und Organi sation sind dieselben geblieben. Damit hängt auch die Her kömmlichkeit der Form ihrer Werbesachen zusammen. Das will nicht besagen, daß nicht überhaupt die Werbearbeit neue For men angenommen hätte. Das ist sicher der Fall. Massenum züge, Volksversammlungen unter freiem Himmel, politische Ar beitseinstellungen u. dgl. sind ja neuartige Mittel auch der Werbearbeit. Die Straßen-Drucksachen aber arbeiten im großen und ganzen nach dem herkömmlichen Muster. Die vorangegan genen Kriegsanleihen mit ihrem gewaliigen Aufgebot an Werbe gedanken haben Wohl die Gehirne ziemlich stark erschöpft. Die Hast, mit der die politische Arbeit im allgemeinen und die der Revolution im besonderen schaffen mußten, ist einer liebevollen Durcharbeitung der Werbemittel nicht gerade günstig gewesen. Mit allen Mitteln wird wie früher, so auch jetzt versucht, an die Seele des Umworbenen heranzukommen. Fremde Sprachen und Mundarten werden hcrangezogen, das schwere und leichte Ge schütz des Säulenanschlags, des wandelnden Plakats, der klei nen Mauerzettel und die Rahkampfmittel der Flugschriften, Handzettel und Postkarten. Neben der Schrift wird gelegentlich das Zerrbild verwandt. M. W. etwas Neues und Zukunfts reiches. Ausnahmsweise erhöht Zweifarbendruck die Wirkung. Allerlei alte und neue Kniffe werden benutzt. Mit Wilsons berühmten 14 Punkten maskieren zwei Parteien ihre Wahl aufrufe, um sich in das Interesse des Lesenden hineinzuschmci- cheln. Auch der etwas verbrauchte Kunstkuisf, dem Zettel die Form eines Sonderblattes zu geben und damit die Neugierde zu reizen, ist vertreten. Von der Kriegszeit her ist man die Heranziehung der Kinder zur Werbearbeit gewöhnt. Eine Partei hat daher an Kinder Papierstcrne verteilen lassen, auf denen diese ausgefordert werden, ihre Eltern zur Wahlurne zu bringen und für die Partei zu gewinnen. Werbemätzig richtig werden die einzelnen Gruppen der Bevölkerung verschieden behandelt. Besondere Aufrufe richten sich an Evangelische und Katholiken, Bauern und Handarbeiter, Beamte, Angestellte, Dienstboten usw. Ein gewaltiges, neues Wählerhcer stellen die Frauen dar. Sie waren das einzige wirkliche Neuland der Werbearbeit. Sie wurden daher mit ganz besonderem Aufwand von Flugblättern bestürmt. Die Aufgabe wurde in doppelter Weise gelöst. Po litisch mehr oder weniger parteilose Verbände suchten die Frauen für Politik und für das Wählen überhaupt zu gewinnen. Da neben ging die Arbeit der einzelnen Parteien, die Frauen gerade für ihre Gruppe zu werben. Pflichtgefühl, häuslicher Sinn, Friedcnssehnsucht und Religion sind die Gefühle, an die sich alle Parteien mehr oder weniger wandten. Nicht ohne Humor ist es zu beobachten, wie die gerade in der religiösen Frage so scharf geschiedenen Parteien sich mit dem religiösen Sinn der Frauen auseinandersetzen, und wie alle behaupten, gerade um der Religion willen müßten die Frauen die deutsch-nationale oder die christliche Volkspartei oder die demokratische oder sozial demokratische Partei wählen. Natürlich haben sie alle recht, weil sie unter Religion und Kirche immer etwas geistige und gefühlsmäßig Verschiedenes verstehen. Als Mittel der Werbekunst stehen die Flugblätter im allgemeinen auf recht ver schiedener Höhe. Die Liebhaberarbciten scheinen mir, wenn ich die Dinge recht beurteile, die fachmännisch durchgearbeitcten zu überwisgen. Daß wir in Deutschland eine höchst entwickelte geschäftliche Werbekunst haben, daß wir im Begriff sind, mit deutscher Gründlichkeit den Gegenstand auch wissenschaftlich zu verarbeiten, merkt man wenigstens an den Flugblättern nur aus nahmsweise, eher schon an den Plakaten, besonders den Bildcr- plakaten. Es könnte auf die politische Arbeit nur anregend wirken, wenn man sich die Erfahrungen und Erfolge der ge- geschäftlichen Werbckunst zunütze machen und zur Bearbei tung geschäftliche Wcrbefachleute heranziehen würde. Früher oder später werden wir einen Lehrstuhl für politische Werbckunst brauchen. Jetzt werden alle Erfahrungen noch in den Geschäfts zimmern der Parteien vergraben. Es mutz aber allmählich überall Klarheit darüber entstehen, wieviel Sprach, und Druck, kunst, wieviel Massenscelcnkunde, politische, wirtschaftliche und soziale Einsicht, welche örtliche Einzelkenntnisse dazu gehören, ein politisches Flugblatt mit Wahrscheinlichkeit des Erfolges herauszubringen. Bei der heutigen Werbeweise wird ein großer Aufwand an geistiger Arbeit, Papier und Druckerschwärze so- 447
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