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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.10.1915
- Strukturtyp
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- 1915-10-20
- Erscheinungsdatum
- 20.10.1915
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. .V 244, 20. Oktober ISIS. Das fülle Buck. Mitten in dieser unruhvollen, von Teuerungsnöten gsäng- stigten Zeit kommt mir aus Deutschland eine merkwürdige, trö stende Kunde, die im ersten Augenblick freilich geeignet ist, leb haften Widerspruch in unserem kriegsbewegten und vom Krieg ganz gefangen genommenen Gemüt zu erregen. Während rings umher der Widerhall des kriegerischen Tobens an der Front in unserem alltäglichen Tun und Treiben, in Geschäft und Ver kehr, in Haus und Familie, in wirtschaftlichen Sorgen und per sönlichen Nöten mehr denn je vernehmbar wird, während wir uns abmühen, eine notpeinliche Bilanz in unserem Nahrungs- etat zu erzielen, und uns abquälen, um all den Zeitsorgen in uns, neben uns und um uns in geeinigter Volkswehr zu trotzen, wäh rend der wirtschaftliche Kampf hinter der Front Dimensionen an Härte anzunehmen beginnt, die mit den Heldenschlachten an der Grenze in moralischem Einklang stehen, klingt mär chenhaft und doch beinahe aufreizend die Nachricht an unser Ohr, daß der Deutsche inmitten des allgemeinen Kriegsaufruhrs »stille Bücher« liest. Ja nicht nur liest — sondern auch kauft. Stille Bücher! Man bezeichnet mit diesem sanfttönenden Wort jene Gei stesprodukte, die innerlich fernab vom großen Geschehen der Ge genwart geschaffen werden oder doch mit dem Krieg nur lose zusammenhängen, dabei aber reich an seelischem Gehalt, an in timer Stimmung, arm an draufgängerischer, kinematographischer Handlung sind, Bücher, bald voll Nachdenklichkeit und Ver träumtheit, bald voll tiefsinniger Weltweisheit, die selbst im heißen, alle Kultnr wegbrcnnenden Völkerkampf den Ewigkeits sieg der wahrhaftigen Jnnenkultur der Menschheit davonträgt, Bücher von intimer Schönheit, die einmal in ferneren Zeiten davon zeugen sollen, daß deutsche Gesinnung und Gesittung nicht nur im Spiegel der Kriegsliteratur, sondern auch in der stillen Gedanken- und Gefühlsarbeit zu finden war, die in der Einsam keit der Poctenklause geleistet wurde. Mein Verleger schreibt mir, daß schon zu Weihnachten des Vorjahres die deutschen Buchhändler die Beobachtung gemacht hatten, daß merkwürdigerweise die Romane, die in ihrer Art abseits vom Kriegswcge standen, einen besseren Absatz fanden als zur Friedenszeit, daß das Publikum gerade zur Weihnachts zeit nach nichtkriegerischer Literatur griff, während die Verleger bei der Herausgabe ihrer Neuerscheinungen sich mehr einer »kriege rischen« Kauflust anpassen zu müssen glaubten, was zur Folge hatte, daß der Weihnachtsmarkt und auch der spätere Bücher markt von einer Hochflut marslicher Literatur überschwemmt wurde, auf welcher die stillen Bücher wie Schiffswracke umher trieben, scheinbar dem Untergang preisgegeben. Aber merkwürdig — gerade deshalb fielen sie auf in der Unmenge von Kriegs büchern, die in den Schaufenstern der Buchhandlungen prangten und sich gegenseitig erdrückten, gerade da entgingen sie dem Los der literarischen Mauerblümchen. Sie wurden gerettet aus der Hochflut der kriegerischen Erzeugnisse, gelesen, gekauft, zur Freude ihrer Autoren. Freilich darf dabei nicht übersehen wer den, daß eben infolge des Trugschlusses der Verleger, wonach man nur mit einer kriegerischen Lesestimmung auch auf dem Romangebiet rechnete, auch nur wenige stille Bücher erschienen sind, meist solche, die schon vor dem Kriegsausbruch vertrags mäßig für Weihnachten angenommen worden waren, während die meisten Verleger die Neuerscheinungen auch ihrer bekann testen und beliebtesten Autoren für eine — wie sie glaubten — günstigere Zeit zurückstellen wollten. Das kaufende Publikum -- es ist leider noch lange nicht identisch mit dem lesenden! —, welches nun trotz oder vielmehr wegen der kriegerischen Un ruhe ringsum gerade jetzt nach fein abgetönten, beruhigenden, friedekündenden, tiefinnerlichen Werken greifen wollte, wie der gepeinigte Kranke nach einer schmerzlösenden Medizin, fand nur wenig Heilstosf in der buchhändlerischen Apotheke vor und streckte daher um so sehnsüchtiger nach diesem Wenigen die Hand aus. Die Meinung mancher Zünftler, daß diese wenigen stillen Bücher, beziehungsweise deren Verfasser auch nur ein Opfer des Krieges sein dürften, war also eine irrtümliche. Die Romane wurden - wir sprechen natürlich nur von künstlerisch wertvollen — nicht l408 nur gekauft, sondern sogar stark gekauft. Das deutsche Volk hatte inmitten der Kriegsnot nicht nur Geld für den Magen, sondern auch Geld für Herz und Kopf. Und es kaufte sogar Bücher, die im Rufe des intimen Reizes standen. Es schien sich mitten im Wirbel der fürchterlichen Ereignisse der Hans Sachsschen Mahnung zu erinnern: Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst! Das ist nicht nur ethisch und wirtschaftlich hoch zu werten, sondern vor allem auch psychologisch ebenso interessant wie — selbstverständlich. Das Volk hat heute seine Zeitung. Tag für Tag werden dem Leser nicht nur die kriegerischen Ereignisse in Ost und West und Süd und Nord sozusagen schlachtheiß aufgetischt, sondern er hat Gelegenheit, alle interessanten Details des großen umstür zenden Geschehens in berichtender, schildernder, novellistischer, romanhafter, autobiographischer und sonstiger schriftstellerischer Form zu genießen, er liest über die Beziehungen der Wissen schaft, der Technik, der Medizin, der Psychologie und vieler an deren geistigen und sozialen Errungenschaften zum Kriege so viele Betrachtungen in seiner täglichen Morgen- und Abend zeitung, daß sein Geist damit so vollgepfropft ist wie ein über füllter Magen nach einem exquisiten Diner. Und wie dieser sucht er nun nach Entspannung. Eine endlose Reihe von Diners wirst sogar den gcnutzspechtischsten Schlemmer zu Boden, wenn nicht bald eine tüchtige Hausmannskost rettend dazwischentritt. In unserem Falle ist nur die Kost von verkehrter Art. Was uns die Zeitung zu bringen Pflegt, ist hart, rauh, scharf, wild, groß artig, heldenhaft, übermenschlich für unser Gemüt, aber alles ist projiziert auf die große Schlachtenfläche des Krieges. Und das geistige Auge ermüdet am Ende ebenso wie das Gemüt, das unausgesetzt vom Widerhall des Gelesenen bedrängt wird. Es stürmt alles zu heftig, zu unmittelbar auf uns ein, wir stehen fortgesetzt unter den Schauern des Krieges, die uns überwältigen, erheben, nie aber beunruhigen. Und ebensowenig wie unsere Seele auf die Dauer unmöglich die kunstvollste, aber nie endi gende Steigerung eines spannungsvollen Dramas ertragen würde, ebenso sucht sie auch aus dem erbarmungslosen, sich immer stei gernden dramatischen Geschehen dieser Kriegsmonate heraus nach einer Lösung der inneren Spannung, die zugleich Erlösung von dem schweren Drucke der Ereignisse bedeutet. Die Theaterdirektoren haben ja gleich zu Beginn der Saison eine ähnliche Wahrnehmung gemacht. Sie meinten auch zuerst, das Publikum lechze nach kriegerisch gestimmten, grell patrio tisch gefärbten Stücken. Und siehe — die wenigen, die sie gaben, verschwanden in Bälde vom Spielplan. Das Publikum wollte auf der Bühne nicht Wiedersehen, was es im Augenblick selbst erlebte, tagtäglich grauenvoll und groß zugleich erlebte, wollte sich nicht die Bühne des Lebens beschämen lassen von der Bühne des Scheins. Und wenn auch die Stücke durchweg in ihrer Handlung den ethischen Gehalt des Krieges predigten, als woll ten sie die Menschen erst gewaltsam auf etwas Hinweisen, was eben diese Menschen ja schon als hehres Bewußtsein be geisterungsvoll in der Brust trugen, so gewann man doch die Überzeugung, daß sich das Volk nicht selbst auf der Bühne in dem Spiegel sehen wollte, und zeigte er ihm auch das aller schönste Gesicht. Und darin liegt ja eigentlich geradezu eine rühmenswerte Uneitelkeit. Mit den stillen Büchern ist es nicht anders. Die Kauflust darnach ist durchaus nicht, wie es im ersten Augenblick für man chen den Anschein haben mag, ein Zeichen von Abgestumpftheit oder gar Gleichgültigkeit gegenüber dem hehren Völkerringen dieser grausig-erhabenen Tage, sondern vielmehr eine natürliche Entspannung der Seele und des Geistes nach dem Hochdruck, den beide von der Schwergewalt des Krieges zu erleiden haben. Eine Reaktion wie jede andere, zu tief begründet in der Menschcn- seele, als daß man sie falsch werten sollte. Der Krieg bürdet uns zuviel Arbeit auf, äußerliche, wie innerliche, körperliche, wie seelische. Eine Erholung davon ist die Flucht zum stillen Buch, in dessen stimmungsvollem Edelgehalt wir ausruhen können wie der sehnsüchtige moderne Pantheist, der- für Augenblicke aus den Großstadtmauern flieht, hin zu dem reinen Jungbronnen der Na tur. Das eben ist der große Zug unseres deutschen Volkes, daß es in diesem Kriege nicht untersinkt, sondern immer wieder sich
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