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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 13.01.1916
- Strukturtyp
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- 1916-01-13
- Erscheinungsdatum
- 13.01.1916
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9, 13. Januar 1918. Redaktioneller Teil. Erinnerungen und Erlebnisse eines Nigaschen Buchhändlers. Von Georg Jonck. (Schluß zu Nr. A—8.) Vom Geschäft brachte die Dame leidliche Nachrichten. Das arg zusammengeschrumpfte Personal war freilich recht Wohl im- stände, die Arbeiten zu erledigen, immerhin, es gab doch noch zu tun, und es gab sogar noch Einnahmen. Die Freude über meine Befreiung war in Tobolsk allge- mein sehr groß, und ich wurde von allen Seiten beglückwünscht. Wir lebten wieder nach aller Weise, und nach einiger Zeit er- schien mein alter Polizeibcamter, teilte mir noch einmal offiziell mit, daß ich nun wirklich frei sei, und konnte es gar nicht be greifen, daß ich auf telegraphischen speziellen Befehl des Kaisers aus der Haft befreit worden sei. Ob ich denn ein Gesuch an den Kaiser gerichtet habe? (Im Russischen sagt man: Ein Gesuch auf den Allerhöchsten Namen einreichcn.) Als ich das verneinte, stieg seine Hochachtung ganz bedeutend. Auf meine Frage, ob ich denn nun ins Ausland reisen dürfe, meinte er, das könne Wohl sein, doch müsse ich dazu die Erlaubnis vom Nigaschen Gouverneur, der mich zur Verschickung verurteilt hätte, einholcn. Um diese Zeit erschien eine Verordnung, daß am 1. April alle Geschäfte, deren Inhaber Reichsdeutsche seien, liquidiert sein müssten, und datz die Geschäfte, deren Liquidation bis dahin nicht erfolgt sei, geschlossen und die Lagerbestände versteigert werden würden. Darauf durfte ich es im Interesse des deutschen Ver lagsbuchhandels nicht ankommen lassen. Ich schrieb deshalb meinem Bevollmächtigten, er möge mich doch in Tobolsk besuchen. Er kam, und ich übertrug ihm das ganze Geschäft, wie es stand und lag, notariell. Wie ich kürzlich über Tobolsk erfahren habe, ist das Geschäft noch am 20. Juli unter der alten Firma geöffnet gewesen. Der Herr reiste zurück und übergab mein Gesuch um Erlaub nis zur Abreise ins Ausland persönlich dem Generalgouvcrneur Kurlow. Dieser erklärte, er sei der Meinung, da Seine Majestät die Erlaubnis bereits erteilt habe, so werde Wohl kein Gouver neur etwas daran ändern wollen, er für seine Person habe jeden falls nichts gegen meine Abreise, nnd er werde in diesem Sinne nach Tobolsk schreiben. Das hat er auch getan. Etwa Mitte April erhielt ich vom Gouverneur in Tobolsk die endgültige Genehmigung zur Abreise. Gleichzeitig wurde mir gegen Zahlung der üblichen Postgebühren ein Erlaubnis schein für mich und meine Familie ausgestellt, auf Grund dessen wir bis Bjeloostrow reisen durften, dort würden wir den eigent lichen Auslandspaß erhalten. Inzwischen hatte ich mich an die Amerikanische Botschaft in Petersburg gewandt, um genau zu er fahren, wie viel Geld ich eigentlich ins Ausland mitnchmen dürfe, da ich weder in Tobolsk noch in Riga Genaues darüber er fahren konnte. Die Botschaft teilte mir mit, daß die Höhe der Summe nicht begrenzt sei, nur dürfe ich kein Gold und keine zinstragenden Papiere mitnehmcn. Ich fühlte mich über diesen Punkt nunmehr vollständig beruhigt. Da ich die Reise nach Tjumen nicht im Wagen zurllcklegen wollte, weil die Wege grundlos sein sollten, so mutzten wir bis zur Eröffnung der Schisfahrt auf dem Tobol warten. Mit dem ersten Dampfer wollten wir auch nicht fahren, weil mit ihm eine Un menge Rekruten befördert wurden; wir fuhren deshalb erst am 8. Mai ab. Unsere Wirtin, eine immer gefällige und freundliche Frau, die mich bei meiner Freilassung überaus herzlich begrübt und beglückwünscht hatte, war beim Abschiede ganz traurig, des gleichen die alte Magd, die seit Weihnachten ohne Nachricht von ihrem Manne war. Sie hoffte noch, datz er in Gefangenschaft ge raten sei und sich nun in Deutschland befinde. Unsere neuen Freunde unter den Zivilgefangenen freuten sich aufrichtig, datz es uns vergönnt war, nach der Heimat zurückzukehren. Gewiß wäre jeder einzelne gern an unserer Stelle gewesen oder hätte »ns we nigstens mit großem Vergnügen begleitet. Unter den Zivilgefangenen habe ich am meisten die jungen Leute, Schüler und Studenten bedauert, die aus Deutschland nach Rußland gekommen waren, um die Ferien bei den Eltern oder Verwandten zu verleben, nicht mehr zurllckdurften und jetzt die wichtigste Zeit der körperlichen und geistigen Ausbildung, der in tensivsten Lebensbetätigung in dumpfem Nichtstun, unter zumeist äußerst ungünstigen Bedingungen, vielfach ohne Mittel, hinbrin gen mußten. Nach Tobolsk war ein junger Freund aus Riga ge kommen, dessen Eltern nach Deutschland abreisen durften, wäh rend er, der fast 18 Jahre alt war, ins Innere Rußlands abreisen mutzte. Er hatte sich zuerst nach Tomsk gewandt, weil er dort Freunde aus Riga zu finden hoffte, die in herzlichen Beziehungen zu seinem Eltcrnhause gestanden hatten. Diese Freunde waren aber weiter nach Norden in den Narymschen Kreis geschickt wor den. Auch ihn duldete man nicht in Tomsk. Nachdem er 14 Tage dort auf der Polizeiwache hatte zubringen müssen, erhielt er die Erlaubnis, nach Tobolsk zu reisen und dort zu bleiben. Er kam kurz vor Weihnachten an und konnte dann mit uns das Weih- nachtsfcst feiern. Er war bis zu unserer Abreise gut daran ge wesen, denn er bekam genügend Mittel, um anständig leben zu können. Wie aber werden die Tausende von jungen Leuten den zweiten Winter, der für die meisten viel härter sein wird, über stehen? Wahrlich, Rußland hat sich mit diesen sinnlosen Ver schleppungen ein unauslöschliches Schandmal anfgedrllckt! Als wir auf den Dampfer kamen, der 500 österreichische Kriegsgefangene zu landwirtschaftlichen Arbeiten nach Tjumen beförderte — es waren Tschechen —, bemerkten wir bald, das; wir doch nicht so aufsichtslos in die Freiheit entlassen wurden. Ein älterer Landpolizist lächelte uns stets so besonders vertraulich an, wenn wir in seine Nähe kamen, und es dauerte nicht lange, so er- öffnete er uns, daß er beauftragt sei, uns nach Tjumen zu be gleiten, dort müsse er uns der Polizei übergeben. Diese Aussicht gefiel uns gar nicht; weil aber daran doch nichts zu ändern war, so genossen wir deshalb die Fahrt, die 38 Stunden dauerte und durch schönes Wetter begünstigt war, mit nicht geringerer Wonne. Wir hatten oft langen Aufenthalt, der Dampfer wurde mit Holz geheizt und brauchte davon sehr viel. An den Haltestellen wurden riesige Mengen eingenommen, und das dauerte immer geraume Zeit. Am Ufer gab es dann viel Leben, Tatarenfrauen lind Russinnen brachten Brot, Butter und Eier zum Verkauf, und es entwickelte sich stets ein lebhafter Handel. An einer dieser Haltestellen stand eine große Anzahl öster reichischer Kriegsgefangener, die sich gerne mit den auf dcmDampfer befindlichen Tschechen unterhalten wollten; an der Sprachenfrage wäre der Versuch beinahe gescheitert. Unsere Leute verstanden nur Tschechisch, die andern aber alle möglichen Sprachen, wie Rumänisch, Ungarisch, Kroatisch und Italienisch. Endlich rief ein linterofiizier zum Dampfer hinüber: »Ist denn da keiner, der Deutsch versteht? Da meldete sich ein sehr sorgfältig, fast kokett gekleideter Feldwebel, der Deutsch sprach, und nun ging das Fra- gen und Erzählen los. Die am Ufer Stehenden waren in Prze- mysl gefangen genommen worden und erzählten von den Leiden der letzten Wochen und der nicht mehr zu vermeidenden Über gabe. Sie sagten, in der Festung wären höchstens noch 50 000 Mann Militär gewesen, während die Russen in ihren offiziellen Telegrammen behauptet hatten, sie hätten ungefähr 110 000 Mann gefangen genommen. Die Tschechen waren sehr kleinlaut, viel leicht hatten sie ein böses Gewissen, die andern aber waren sehr hoffnungsvoll nnd fest davon überzeugt, das; die Russen bald aus Galizien herausgeworfen werden würden. Sie haben sich glück licherweise nicht getäuscht. Unser Landpolizist erzählte uns, er habe schon viel Gutes von uns gehört, unsere alte Magd, die Aksinuschka, sei nämlich eine gute Freundin von ihm, und er freue sich sehr, uns begleiten zu können. In Tjumen kamen wir um Mitternacht an und mutzten auf dem Landungsplätze warten — bei unheimlicher Fackelbeleuch tung —, der Polizist war zur Stadt gegangen, um uns anzumel den. Wir saßen geduldig auf unserem Gepäck; plötzlich stellten sich rund um uns eine große Anzahl Soldaten mit aufgepflanztcm Ba jonett ans. Meine Damen bekamen einen gehörigen Schreck, sie glaubten beinahe, diese Machtentfaltung gelte uns. Sehr bald wurde uns aber die Ursache klar. Es galt nämlich, die österrei chischen Kriegsgefangenen, von denen weitere 500 Mann mit ! einem anderen Dampfer anlangten, zu empfangen und weiter zu 39
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