.V' 274 25 November 1908. fertige Bücher. Die erste Besprechung des siebenten Bandes der Bücher der Rose brachte Die Zeit-Wien von k)r. Felix Braun-Wien: Man muß an sich halten, um nicht überschwenglich zu werden. Alles in diesem Buch ist ja bloß erweckte Erinnerung, und doch füllt jedes einzelne dieser Gedichte das .Herz mit allen Gefühlen einer verwunderlich-herrliche» Neuheit, eines scligstaunenden Mehr-Erfassens. Tiefer-Gelangens. Überall verharrt man mit der entzückten Hingebung, der köstlichen Er wartung, mit der man die Wiederkehr eines geliebten Musikstückes erleben darf. Man liest, und die Stunden sammeln sich, werden golden, glühend; das erregte Vibrieren einer uner reichbar fernen, Sehnsucht anlockenden Klangwelt pflanz« sich bis zu Gegenwart und Seele rhvthmisch fort; man verliert sich und versinkt, in nie ruhendem Hörenwollen aus sich schwebend wie der Schatten aus einem Sterbenden. Aber beseligender noch ist das Er wachen. Wer dann das Buch aus den Händen legt und aus Gefühle» der Ehrfurcht und schweigsamen Begeisterung zu Besonnenheit und Nachdenken gelangt, wird in einer schönen, wunderbar gerührten Stimmung voll Dank sein. Gewiß, er »ermißt viele Gedichte, es schmerzt ihn vielleicht, daß gerade dieses oder jenes, das er liebt, nicht mit darunter ist — wer aber würde in einer Goethe-Auswahl nichts vermissen? Man muß sich mit dem so reichlich Gebotenen ganz und ohne Kritik freuen: allein schon an dem Gedanken, die Gedichte biographisch zu ordnen, daß man an ihnen das mächtige Leben wieder erkennen kann. Von wem die Idee stammen mag: von dem Verleger, dein man in Deutschland die Bücher der Rose nie vergessen darf - oder von dem Herausgeber, den man von der schönen Ausgabe der Goethe-Briefe her in gutem Angedenken hat: gegen beide ist man nur voll Dank. Sehr fein hat Ernst Hartung seine Anmerkungen angebracht: daß sie die Folge der Gedichte nicht stören, laufen sie wie eine Bordüre oben auf den Seiten hin. Auch wer noch so vertraut mit Goethes Leben ist, wird sic gern und mit Genuß lese». Zum Schluß sei noch der Bildnisse gedacht, an denen eine liebende Phantasie den Dichter an die Oberwelt zurück beschwören mag. Am meisten von allen ergreift wohl das Porträt von Stieler, das de» Neunundsiebzigjährigcn mit unheimlicher Gewalt des Lebendigseins vor die Kraft der Ein bildung stellt. Man erinnert sich daran, was von diesen Auge» erzählt wird, und neigt sich, tiefer im Betrachten, einem der hellenischen Mythen zu, der Zeit gedenkend, da Himmlische in sterblicher Gestalt unter Menschen weilten, die Allmächtigen, ohnmächtig, den reineren Atem und die tiefere Glut der Gottheit im Blick auch nur dem geringsten Erkennen lange zu verbergen. Über allen Gipfeln Goethes Gedichte, mit dreißig Bildnissen 1.?o (W. i?angewiesche-Brandt) Mfenblatt für den Deutlchen Buchhandel. 75. Jahrgang. 1772