13900 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Fertige Bücher. ./Ik 278, SO. November 1908. Peter Rosegger über Emil Ertl's Roman „Freiheit, die ich meine" T „Bei dem Mittelgut unserer gegenwärtige» Literatur verschwendet die Kritik an dem darin vor kommenden Besseren alles Lob. Lind wenn dann einmal etwas Besonderes, etwas Außerordentliches kommt, weiß sie sich nicht mehr zu überbieten und behandelt das Beste mit der gleichen Anerkennung wie das Gute und das Mittelmäßige. Das ist der Nachteil des allgemeinen Wohlwollens, das - unter wenigen Ausnahmen - in der Kritik jetzt herrscht, das uns übrigens aber doch sympathisch ist, weil Sonnenschein fruchtbarer wirkt als Frost und Reif. Aber dann ist die Frage, ob die Pflege des gewöhnliche» Grases die edlen Gewächse nicht erstickt? Wir haben es hier mit einem Werke zu tun, das nicht mit den landläufigen Redensarten abgetan werden darf und kan» und zwar schildert Emil Ertl's Roma» „Freiheit, die ich meine" die Revolution so einzigartig, klar und packend, als sie bisher nie geschildert worden. Die widerlichsten, schauderhaftesten Dinge werden dargestellt, ohne die Schönheitslinie irgendwo zu überschreiten. Das Äußerste an Bestialität und Tragik wird oft geschickt umgangen, während die geschilderten Nebenumstände des Lesers Phantasie in einer Weise anregen, daß er auch das Äußerste sieht. So beim Brande des Fabriksgebäudes (eine besondere Meisterschilderung an sich), so bei Ermordung Latours, so bei den Barrikadenkämpfen, so bei dem Tode des Helden. Lind die Stimmungsmalerei! And die leise Ironie, die das ganze Buch von der mißver standenen Freiheit durchzieht, und endlich der goldene Humor, der wie Mondlichtschimmer über der finstern Nacht liegt! And wie dieses alte, schöne, große Wien erhoben wird, wie der Verfasser es liebt! And wir mit ihm. Jedem Leser mutz das Herz zittern vor Liebe und Mitleid zu diesem Wien. - And endlich nach vielen Monaten schrecklichster Not, nach eitlem Triumph und grauser Verzweiflung kommt der Tag der Hoffnung — der zweite Dezember. Derselbe Tag, den wir, das neue Geschlecht, in diesem Jahre voller Dankbarkeit feierlich begehen. Wieviel wäre über Emil Ertls Roman „Freiheit, die ich meine" noch zu sagen, zu kennzeichnen, zu bewundern! Alles in allem, es ist ein Buch, wie wir ein ähnliches noch nicht besaßen. Es zeigt uns die Revolution in künstlerischer Vollendung, es lehrt sie uns verstehen. Es ist in „seiner Anlage ein gewaltiges, in seinem Gehalte ein tiefedles Werk." (Äeimgarten.)