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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.08.1916
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- 1916-08-16
- Erscheinungsdatum
- 16.08.1916
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- Deutsch
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WM fürdenHEmMiilMdel Nr. 18S. —rr "i'l" I t 1 1 1301>f ^6 i 'pelilzeilen. die Aeil« » »jährlich frei GejchSflopelle oder 3S Mark ^i^)os1ü^erweifuag!! für 6. I? stall 18 M. Slelleng^ejuche werden mil 10 ps. pro ^ ^^1^^?-r^ng N M.° lürNiä^" ^ MAMümd^^WwerUMeMAWM'WUMr)uÄL^^^^^ 83. Jahrgang. Leipzig, Mittwoch den 16. August 1916. Redaktioneller Teil. Auf feldgrauer Straße. Aufzeichnungen von Otto Riebicke, Pionier-Unteroffizier. Neue Folge (Westfront) VI (V siehe Nr. 176). Frontküio. »Stephan« heißt der Mann; — wie »Franz« und »Heinrich« bei den Fliegern. Stephan sitzt an der Kurbel, an der elektrischen Zauberkurbel, die viele Leben hcrunterrollt, in Form von Tragödien, Romanen und Humoresken. In jeder Woche kommt ein neuer Transport aus Deutsch land; wunderhübsche Frauen, feine Herren, Diebe, Verbrecher und Detektive. Ein Unteroffizier führt ihn. Aber es ist kein Extrazug und kein Extrakupee, eine ganz solide Holzkiste mit Eisenbändern drumrum und dem Vermerk »Vorsicht, Feuergefährlich!!« genügt für diese Herrschaften — solange sie scheintot sind. Und das sind sie, bis sie Stephan bekommt, der Mann an der Kurbel. Dann freilich geht's kunterbunt los, dann Pustet die Elek trizität den Lebensodem mit solcher Gewalt in die gelbsüchtigen Filme, daß die Dämchen und feinen Herren vor Schreck in voller Lebensgröße an die weiße Leinwand gegenüber springen und ihre Geheimnisse, aber auch alle Geheimnisse ausplaudern; wortlos mit Klavierbegleitung. »Fisi, der Liebling der ganzen Garnison«; — »Fritz, der Schwerenöter«; — »Der Roman der Komtesse * * * .« Alles, alles »hören« wir mit unfern Augen. Wir, die vielen Grauen aus den Schützengräben, die hier zur Ruhe kommen, auf zwei, drei, vier, fünf Tage nicht zu rufen brauchen: »Ächtung! Mine!« .. . und mal wieder das Leben sehen wollen, das richtige Zivil leben, das Meilen und Monate dahinter liegt. . . . irgendwo gehen noch Männer in Frack und Smoking, irgendwo trägt man noch Kleider, die bunt sind und nicht einerlei grau . . . irgendwo gibt es noch Frauen, bildhübsche Frauen und häßliche Schwiegermütter, Kinder, die auf Knien reiten, Jugend, die liebt . . . irgendwo . . . Stephan kurbelt. Draußen an der Giebelmauer hockt er in seinem Staarkasten. Und gegen die andere Giebelwand innen starren wir auf das »Leben«. Ja, das hätte sich diese alte Scheune von 1789 nicht träumen lassen, daß rl. v. 1916 zur Zeit der Ernte leibhaftige Geister in Frack und großer Toilette an ihrer Wand erscheinen würden und statt des Klöppelklangs der Dreschflegel fast musikalische Klavier musik durch die Tenne tingelte. Und noch damals, vor ein paar Wochen, als man das zer schossene Gemäuer aus Schutt und Dreck herauszog und ihm die schützende Regenkappe ausdrückte, damals noch standen ihre Wände recht steif und distinguiert da, als wollten sie mit Würde jeder Neuerung entgegentreten und sich des Gespenstes jeglicher Kultur wehren und die landwirtschaftliche Lust hielt sich wirklich sehr, sehr lange. Es kamen aber Bayern, die tüchtigen Bayern, dieses Krieges. Die nahmen Kalkkelle und Malpinsel und glätteten die Fugen und zeichneten darüber: Münchner Bilder und Wilhelm Büschs Fromme Helene in ihren sittenreinen Taten. Und ein Herr von der Kommandantur nahm den dicksten Pinsel und schrieb (damit es fei wie im richtigen Kientopp) auf den mittelsten Querbalken »Rauchen verboten!«, und au die Torflügel setzte er mehrmals ein zierliches »Notausgang!« Ein anderer legte den surrenden Ventilator an, und Tischler bastelten ungehobelte Bänke zu sammen, die sie so eng hintereinander reihten, daß sich behäbige Leute die Knie durchscheuern. In mittlerer Scheunenhöhe schuf man den »Hängeboden«, den Rang für die Offiziere, die eine halbe Mark zu zahlen haben, während man sich im Parterre für zwanzig Pfennige drei Stunden lang amüsiert. Dieses »amüsieren« kann man auf zweierlei Weise tun, ent weder durch die Bilder oder durch das Publikum. Was sich nämlich in den Schützengräben an Witz und Scherz herausge- bildet hat, Platzt hier in die feldgraue Öffentlichkeit; da wird mit Wörtern und Situationen herumjongliert, daß man sich tränenfeucht lachen kann. Der gesunde, derbe deutsche Humor mit dem sentimentalen Einschlag hat in den Gräben des Stel lungskrieges seine Auferstehung gefunden. Stephan kurbelt — und die Welt der Zivilisation wirft sich vor uns an die Wand. Wir sitzen davor, wie wir aus dem Schützengraben gekommen sind, das Koppel umgeschnallt und die Gasmaske auf dem Rücken. Durch das nicht ganz dichte Dach blinzelt der sonnenhelle Tag. Ein Schwalbenpärchen huscht wechselnd auf den dunklen Sims und füttert die schreienden Jungen. Das Klavier sucht aus Drahtsaiten Sentimentalität und Scherzos zu holen; es sind immer dieselben Melodien, als seien die Saiten für sie abgezählt und reichten nicht für anderes. So versichert mir auch der Spieler, und ich glaub's ihm; denn das Gehäuse gestattet den freien Einblick. Aber wir haben noch eine andere Musik. Eine Musik, die kein großstädtisches Kino aufzuweisen hat: die Musik der Front. Sie dröhnt Tag und Nacht, polternd und drohend, daß die alte Scheune zittert und die Bänke beben. Und oft rungsen die Ab wehrkanonen gegen die Flieger über uns, daß es ist, als ständen wir im Graben gegen Minen und Granaten. Doch niemand steht auf und geht und schaut; die Kämpfe da oben sind zur Alltäglichkeit geworden, Stephans Filme inter essieren mehr. — Wie man in großstädtischen Theatern »Bier, belegte Brötchen gefällig?« ruft, wenn die Pause da ist, so ruft man auch hier — ohne daß die Pause da ist, mitten im Stück, vielleicht kurz vor der Katastrophe. Aber es klingt anders, als das hingeslötete »gefällig«; kurz, bündig, militärisch ruft diese Stimme. »Ist der Musketier Johow da?« — »Ist der Unteroffizier Bock hier? — und so weiter immer diese Frage, auf die das stramm« »Hier!« anwortet. Dann heißt cs zur Schreibstube kommen, in der Stellung ablösen oder manchmal auch : aus Ur laub fahren! .... Von 3 bis 10 Uhr kurbelt Stephan. Und immer wieder ist das Kriegskino so vollgepfropft, daß der bekannte Apfel un möglich zu Boden kommt. Alle lassen sich von dem Flimmerspiel Hinreißen. Wenn aber einer gar zu derb ausfallend wird, dann weisen ihn die Kameraden mit Worten zurück wie diese: »Karl, benimm dir, du bist hier im gebildeten Theater«. 1081
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