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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.08.1916
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1916-08-17
- Erscheinungsdatum
- 17.08.1916
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- Deutsch
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- Saxonica
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- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
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Llnsere Feldgrauen beim Lesen. Erfahrungen und Erlebnisse eines Bataillons-Bücherwarts. Von einem Mitglied des Börsenvereins. Die erste Kompagnie meines Bataillons bereitete sich vor, abgelöst zu werden, um für 14. Tage wohlver diente Ruhe in dem hübschen, nur wenige Kilometer hinter un seren Gräben liegenden Waldlager zu gemessen. Es war Abend, ich packte meinen Tornister, die Franzosen funkten einige Gra naten als Abcndgruß in die traurigen Überreste des ehemaligen Dorfes , als ob es dort noch lohnende Ziele für schwere Kaliber gäbe. Wir kennen natürlich die Angewohn heiten des Franzmanns ziemlich genau, und keine menschliche Seele hält sich zu jenen Stunden zwischen den Ruinen auf, während deren erfahrungsgemäß dort »dicke Luft« herrscht. Ich vollendete meine Vorbereitungen nicht ohne ein gewisses Gefühl des Dankes und der Befriedigung, daß ich wieder einmal heil und gesund geblieben war, als mir ein Befehl überbracht wurde: »Füsilier S. meldet sich sofort nach Ankunft im Lager bei Leut nant D.«. Was mag da los sein? Ich überlegte hin und her, und die engeren Kameraden beteiligten sich an der Raterei, die wir aber bald als zwecklos mit einem »tzni vivra, verra« auf- gaben. An dieser nicht ganz deutschen Beendigung unseres Ge sprächs nahm diesmal keiner Anstoß, denn jeder fühlte die be sondere, doppelte Bedeutung des Wortes: Sehen wird, wer leben bleibt . . . Allzulange dauerte die Ungewißheit auch nicht. Das Lager war schnell erreicht, und ich meldete mich bei Leutnant D., der mir eröffnete, daß ich auf seinen Vorschlag zum Bataillons- Büchertvart ernannt worden sei. Dies neue Amt war notwendig geworden, da das Armee-Oberkommando unserer Armee un serer Division eine »fahrbare Kriegsbücherei .Champagne-Ka merad'« überwiesen hatte. Entstehung, Umfang und Bedeutung dieser Büchereien, einer Stiftung der Professoren vr. A. Riehl und vr. I. I. M. de Groot in Gemeinschaft mit dem Bunde deut scher Gelehrter und Künstler, setze ich bei den Lesern des Börsen blatts als bekannt voraus. Es genüge deshalb darauf hinzu weisen, daß etwa 1500 Bände guter Unterhaltungsliteratur und belehrender Werke aus 12 zweckmäßig eingerichtete Kisten so ver teilt sind, daß jede Kiste von allen Gattungen einiges enthält und somit in sich eine kleine Bücherei darstellt. Unser Bataillon er hielt zwei solcher Kisten mit gedruckten Verzeichnissen, Leihkarten und sonstigem Zubehör, und damit sollte ich nun eine regelrechte Leihbibliothek eröffnen. Ich unterlasse eine eingehende Erzählung der Vorberei tungen, wie ich mit Hilfe von Tischler und Maler die Bücherei in einem geeigneten Raum einer inmitten des Lagers befindlichen soliden Baracke zweckmäßig einrichtete. Von organisatorischen Vorarbeiten habe ich ebenfalls wenig zu berichten, zumal eine von der Division ausgearbeitete Büchereiordnung bereits vor lag, deren Vorschriften sich dann in der Praxis bewährt haben. Die Bücherei ist täglich geöffnet, die Ausleihung erfolgt für Unteroffiziere und Mannschaften kostenlos, Offiziere und im Offi ziersrang stehende Beamte bezahlen für den Band und Tag 5 Pfennige Leihgebühr. Für jeden entliehenen Band sind jedoch 50 Pfennig Pfand zu hinterlegen, eine notwendige Bestimmung, deren Berechtigung seitens der Mannschaften auch durchaus ein gesehen und widerspruchslos hingenommen wird, zumal auch die Kantinen seit jeher die Hinterlegung von Pfandgeldern, z. B. für Bier- und Mineralwasserflaschen fordern. Mehr wie ein Band darf an keinen Entleiher auf einmal abgegeben und kein Buch darf länger als sechs Tage behalten werden. Daß die Einrichtung der Bücherei wirklichen Bedürfnissen entsprach, wußte ich von vornherein aus mancherlei Beobach tungen in Etappe, Ruhequartier und Schützengraben. Vom Lesehunger unserer Feldgrauen habe ich schon vor etwa Jahres frist im Börsenblatt auf dessen Rundfrage hin erzählt, ich hatte mir aber nicht träumen lassen, daß das Interesse und die Be nutzung so lebhaft und rege sein würden, wie es dann in Wirk lichkeit der Fall war. Freilich hatte der Bllcherwart im Anfang manchem Vorurteil hauptsächlich in bezug auf Auswahl und Zu- 1088 sammensetzung des gebotenen Lesestoffs entgegenzutreten. Es gelang jedoch stets, alle Besucher an der Hand des Verzeichnisses davon zu überzeugen, daß die Auswahl der Bücher jedem be rechtigten Geschmack Rechnung trage, und auch, daß eine von dem einen oder anderen vermutete tendenziöse Absicht bei der Er richtung der Bücherei den betreffenden Stellen durchaus fernge legen habe. Es wäre natürlich verfehlt, aus solchem Verdacht aus unpatriotische oder laue Gesinnung der Leute zu schließen. Ich fand für ihn eine viel einleuchtendere und zweifellos auch richtige Erklärung: Ich habe hier draußen immer wieder beobachten kön nen, daß gerade der kleine Mann, der Arbeiter, Handwerker oder Landwirt, im Grunde seines Herzens ebenso vaterländisch fühlt wie der Angehörige der gebildeten Stände, aber mehr wie jene ängstlich bemüht ist, sich jeder Beeinflussung feines Denkeiis in dieser Richtung zu entziehen, und daß er in solchem Bestreben auch da Argwohn hegt, wo gar kein Grund für ihn vorhanden ist. Bevor ich nun an der Hand einigen Zahlenmaterials dazu übergehe, zu zeigen, was und in welchem Umfange der Soldat im Felde liest, muß zur Ergänzung noch etwas vorausgeschickt wer den: Den Grundstock meiirer Bücherei bildeten also die zwei em pfangenen Kisten mit zusammen 228 Bänden. Da diese Zahl sich aber bald als zu klein erwies, war ich bestrebt, eine eigene Bataillonsbücherei anzugliedern. Mangels jeglicher Geldmittel war ich zur Verwirklichung meiner Absicht nur auf Stiftungen angewiesen. Eingedenk der Beschlüsse des Deutschen Verleger vereins gegen den »Bücherbettel« verzichtete ich darauf, in üb licher Weise ein Rundschreiben an Verleger loszulassen; nur an drei oder vier besonders befreundete Kollegen schrieb ich und habe dabei kaum eine Fehlbitte getan. Der erste aber, der mir sofort und bereitwilligst ein schönes Fünskilopaket sandte, war ein — Sortimenter in meiner Vaterstadt. (Auch an dieser Stelle Dank, lieber Kollege, wenn Sie diese Zeilen lesen!> Im übrigen ging ich darauf aus, im Bataillon selbst die gewünschte Unter stützung zu suchen. Und ich habe sie gefunden! 100 Bände kön nen wir heute*) unser Eigentum nennen, ein nützlicher und ver heißungsvoller Anfang. Freilich noch lange nicht genug: für die fünffache Zahl hätte ich Leser und Verwendung! Nach dem Kriege sollen die Bestände der Errichtung von Büchereien in Kriegsinvalidenheimen zugefllhrt werden. Die nachfolgenden statistischen Angaben beruhen also auf einem Bücherbestand von rund 300 Bänden. Dem besonderen Zweck entsprechend und um die Leser nicht mit vielen Zahlen zu ermüden, habe ich nur einen kurzen Zeitraum für die Bericht erstattung herausgegriffen, nämlich das letzte Monatsdrittel des Juli sdie »Dekade« ist ja ein Stück militärischer Zeitrechnung) und beschränke mich ferner auf eine Kompagnie. Der so gewon nene Ausschnitt aber ist als getreuliches Abbild, als genauer Matzstab der im Ganzen beobachteten Verhältnisse anzusehen. Die herausgegriffene Kompagnie ist kriegsstark anzunehmen unter Zuzählung der Zugeteilten, unter Abzug aller Urlauber, Lazarett kranken und sonstwie Abkommandierten. Man wird so etwa 180 Angehörige der Kompagnie rechnen können, die während der Berichtszeit dauernde Möglichkeit zur Benutzung der Bücherei hatten. Unter diesen befinden sich schätzungsweise 8—10 Prozent Mannschaften polnischer Zunge, die als Leser deutscher Bücher weniger in Frage kommen. Dabei haben in den 10 Tagen 85 verschiedene Entleiher 159 verschiedene Bücher 302 mal entliehen! Die 85 Entleiher setzen sich zusammen aus 6 Offi zieren und 79 Unteroffizieren und Mannschaften. Ein Entleiher las während der Zeit 16 Bücher, ein Entleiher 10 Bücher, 2 Ent leiher je 8 Bücher, 5 Entleiher je 7 Bücher, 6 Entleiher je 6 Bü cher, 8 Entleiher je 5 Bücher, 12 Entleiher je 4 Bücher, 16 Ent leiher je 3 Bücher, 19 Entleiher je 2 Bücher und 16 Entleiher je 1 Buch. Was nun die Auswahl des gebotenen Lesestoffs durch die Leser anbelangt, so spielt hierbei natürlich die Beratung durch den Bücherwart eine wichtige Rolle. Immerhin konnten auch die *> Bei Empfang der Korrektur waren es schon 180 geworden!
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