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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.04.1927
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- 1927-04-07
- Erscheinungsdatum
- 07.04.1927
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- Deutsch
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X? 82, 7. April 1927. Redaktioneller Toll. Zeichner steckt.' Diese Zeichenfähigkeit muß nur geweckt werden! Der Mensch lebt viel zu sehr in leeren schematischen Begriffen, er schaut die Dinge selber gar nicht mehr an. Er sagt zum Beispiel: Baum, sieht aber nicht mehr diesen besonderen Baum mit seiner alten Rind«, seinen Drehungen und Verzweigungen. Sehen Sie dies Fuhrwerk! Die Menschen müßten dahin kommen, daß sie sich einen solchen Pferdehintern in seiner Erscheinung ge nau ansehen, so genau, daß sie ihn zeichnen könnten, — daß sie nicht bloß die dumpfe Vorstellung haben: da fährt ein Wagen! Schon als kleiner Junge in Zell am See setzte ich mich mit meinen Freunden um den Tisch, und wir zeichneten und malten drauf los. Jeder war gespannt, was der andre fertigbringen würde, wir schauten uns gegenseitig über die Schultern. Welche Buben setzen sich heute noch zu einem solchen Um-die-Wette-malen zusammen?» Wir wanderten nun auf der Höhe zwischen Inn und Donau, der Volksmund nennt dies« ganze Landschaft den Sauspitz. Ein großer Hofhund, der seine losgerissene Kette im Schnee nach schleifte, verfolgte uns, höchst unfreundlich knurrend, geraume Zeit. Endlich ließ er von uns ab. Wir bogen in einen Fußweg ein, hinab in eine Talsenkung und wieder aufwärts und sahen oben hinter den kahlen Bäumen des Gartens das gelbe breite, zwei stöckige Herrenhaus von Zwickledt, das Kubin seit zwanzig Jahren sein eigen nennt. Auf dem Dach das kleine Glockentürmchen mit der Uhr. »Die Glocke muß bei jedem Todesfall in der Gegend von uns geläutet werden. Wir sind mit allem, was hier ge schieht, eng verknüpft. Noch kürzlich kam ein« Nachbarin zu mir gelaufen: ,Herr Kubin, kemma's schnell, mei Mann rührt si net mehr!' Ich ging mit der Frau hinüber, konnte dem alten Bauern aber nur noch die Augen zudrücken«. Eine schwarze Krähe hüpfte vor der Haustür in seltsamen Sprüngen. Ihre Flügel waren ge stutzt. »Das ist meine Freundin Thekla, sehen Sie, wie freund schaftlich sie mich begrüßt. Thekla saß als junges Ding in ihrem Nest hoch oben ans einer Eiche. Der Baum wurde gefällt, und so kam sie zu uns als Hausgenofsin». Nun ging's in den gewölbten Hausflur und die Treppe hinauf ins kleine warme Eß-, Wohn- und Arbeitszimmer. Ein Buchen holzfeuer bullert im Weißen Kachelofen. Der Zeichentisch, voll gehäuft mit Papieren, Federn und sonstigen Zeicheninstrumenten, steht am Fenster. An ihm sind die Hunderte von Zeichnungen der letzten zwanzig Jahre entstanden. Durchs Fenster blickt man auf einen großen Lärchenbaum und auf verschneite bewaldete Höhenzüge. -»Ich zeichne mit Rabenfcdcrn, Gänsefedern, Trut hahnfedern, Rohrfedern und allen Arten Zeichenfedern. Ich habe mir angewöhnt, mit den Federn immer wieder zu wechseln, so vermeide ich jede Routine. Ich möchte keine Phrasen in meinem Strich haben, er soll immer von neuem errungen werden. Ich zeichne auf uraltes Bütten. Mein Vater war Geometer, da bekam ich von ihm alte ausrangierte Katasterblätter auf herrlichem, un verwüstlichem Papier. Ich zeichnete jahrzehntelang alle Rück seiten voll. Mein Kummer war groß, als «s zu Ende ging». Zum Tee setzte uns Frau Kubin Schinken vom selbstgezogenen Schwein vor. Die beiden schönen Angorakatzen, Nuschi die Mutter und Fritzl ihr Sohn, leisteten schnurrend Gesellschaft. Es wird Zeit, Licht zu machen. Kubin setzt den Augenschirm auf den hohen, fast kahlen Schädel und holt Zeichnungen. Blatt um Blatt legt er vor mich hin. Es sind di« Arbeiten der letzten Monate, die ich noch nicht kenne. Das letzte Mal hatte ich mit Kubin aus der überfülle der Gesichte di« Blätter für die Mappe »Am Rande des Lebens- zusammengestellt, die dann in meinem Verlag erschien. Kubin war damals verwundert über mein« Unermüdlichkeit im Betrachten. Ich war wie in einem Rausch gewesen. Auch jetzt erstaunte ich von neuem über das unablässig« Strömen seines Schaffens. Da sah ich aufs Papier gebannt: wilde Pferde, eine Zwergenschlacht, eine Urwaldszenerie mit übereinandergestürzten, halb verwesten Riesenstämmen, einen Sankt Christophorus, eine Walpurgisnacht, eine Raufszene mit Prügeln und Messern, eine verfallene Kegelbahn, den Simplicissinms beim Einfiedler, die Juden in Ägypten und sogar einen verbummelten Zauberer, der, herabgekommen und verschämt, zu seinem alten Drachen in der Höhle zurückkehrt. Schließlich zeigte mir Kubin dis zarten und intimen Blätter kleinen Formats, di« unter dem Titel »Heim- SSO / liche Welt» zum Geburtstag erscheinen. »Diese heimliche Welt-, sagt Kubin, »di« Welt des Abstiegs, der Talwanderung, ist in sich nicht ärmer wie die rauschende, dröhnende des Herauskom mens, sie ist nur leiser. Man wird kein anderer, und auch hier haben mich wieder meine alten Themen beschäftigt. Nur find sie gedämpfter und mit verborgener Leidenschaft vorgetragen. Beim Arbeiten an den Blättern war meine Schaffenslust vermischt mit jener melancholischen Abschiedswonne des Nicwiederkehrenden. Ich schaute auch die Bilder, obgleich ich sie in mir und ganz nahe spürte, weit weg und scharf wie durch ein umgekehrtes Fernrohr. So ergab sich von selbst das kleine Format«. Nach dem Abendbrot wurde 'das Grammophon auf den Tisch gestellt und di« neu mitgebrachte Platte ausprobiert. Ich bin nebenbei Klavierspieler und deshalb dem Grammophon nicht wohlgesinnt. Aber wie jetzt fernher der Chor der Wolgaschisfer ertönte, mächtig anschwoll und wieder verhallte, wie dann eine alte Zigeunerin mit fast männlicher Stimme ihre Lieder sang, das übt« auch auf mich «inen starken Zauber. Kubin ist ein Bücher freund und im Bücherlesen kein engherziger Spezialist. Von überallher holt er Nahrung für seine Phantasie. Da wurde das Reisebuch von Beugt Berg gebracht, und Kubin wurde nicht müde, über den merkwürdigen Riesenstorch Abu Markub und seinen seltsamen Blick sich zu verwundern. Ein neues Buch mit vielen Totenmasken gab Anlaß zu nachdenklichen Gesprächen. »Die Menschen wollen das Leben enträtseln. Mir aber macht erst das Geheimnis des Lebens das Leben schön und lcbenswert!» Bei Kubins geht man früh ins Bett, denn die Hauptarbeits- zcit ist der Vormittag, die durchwachten Nächte jüngerer Jahre sind längst abgeschasst. Aber im Bett wird erst noch gelesen, und Kubin steckte auch mir ein Buch unter den Arm, des unglücklichen, im Irrsinn gestorbenen Heinrich Lautensack Novelle -Unpaar» — ein Buch, allerdings nicht angetan, freundliche Träume herbei zulocken. Am nächsten Morgen zeigte es sich, daß über Nacht viel Schnee gefallen war. Wir machten einen Morgenspaziergang. Aus den Straßen waren kaum schon Spuren vor uns. Kubin schob vorsorglich seinen Arm in den meinen und führte mich weiter die Straße nach Schärding bis zu einer Schmiede, wo wir umkehrten. Wir plauderten über seine Herkunst und Vorfahren. Kubin stammt aus Leitmeritz in Nordböhmen. Es fließt sicher auch etwas slawisches Blut in seinen Adern, doch fühlt er sich ganz als Deutscher. Er sprach von den Jahren in München, wohin er einundzwanzigjährig zuerst kam. Keiner Stadt ver dankt «r so viel, hier durfte er Künstler werden, hier erschien sein erstes Werk, hier lernte er seine Frau kennen. Er hatte vorher noch nie mit Bewußtsein ein großes Kunstwerk gesehen. Am zweiten Tag nach seiner Ankunft — es war im Frühling 1898 — ging er morgens in die Alt« Pinakothek. Der Eindruck war er schütternd. »Fassungslos, wie aufgelöst vor Seligkeit und Er staunen, schlich ich auf Fußspitzen von Saal zu Saal und blieb, ohne etwas zu essen oder zu ermüden, bis am Spätnachmittag die läutenden Diener mich vertrieben». Nachdem wir auf diesem Gang frische Winterluft geatmet, kehrten wir ins Haus zurück, und jetzt brachte Kubin einen großen Stoß seiner kolorierten Zeichnungen. Farbe ist ihm nicht Auf bau, sondern immer nur Duft und Schimmer, aber die Farbe verleiht vielen Blättern einen eigenen phantastischen Reiz. In die Eishöhle des Bibliothekzimmers nebenan konnten wir uns nur auf Umwegen — die Ritzen der Zwischentür waren sorgfältig verstopft — und nur mit Mantel und Pelzmütze wagen. Hier steht der stolze Schrank mit all den Büchern und Mappen, die Kubins unerschöpflicher Phantasie entsprungen, die »Kubiniana», wie er selbst sie nennt. Da stehen die Bände von Dostojewski, Poe, Strindberg, Voltaire, die er illustriert hat. Da sind die Bilder zur Bibel, die deutschen Romantiker Arnim, Jean Paul, Hauff, Hoffmann, die Droste, da sind de Coster und Andersen. Auch die Texte moderner Dichter, wie Gerhart Hauptmann, Hof mannsthal, Bierbaum, Wedekind, Oskar A. H. Schmitz, Willy Seidel, Friedrich Huch, hat Kubin mit seinen Zeichnungen be gleitet. Er ist kein Illustrator im banalen Sinne des Wortes. Immer verschmelzen bei ihm Text und Bild zu einer höheren
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