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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.10.1916
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- 1916-10-30
- Erscheinungsdatum
- 30.10.1916
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. /V 253, 30. Oktober 1016. Ein Umstand, der mich auch poetisch stimmte, war, daß Tante 'Marie mit uns aus der düsteren prosaischen Trvnningcns Tvacr- gade i» die Nörresögade, mit der Aussicht auf Promenade, Wasser und Bäume, hinauszog. Hier draußen machte ich Spaziergänge um die Seen herum und ließ den Schlips flattern. In der Buchhandlung verbarg ich ihn vorsichtig unter der Weste. Wiene sagte, das wäre schade, denn er eigne sich so gut zum Tintenwischer — Drüben aus der Rörrebro-Böschung begegnete ich eines Tages dem Dichter Gvldschmidt, klein, zugeknöpft, ernsthaft und mit scharfen Augen unter dichten Brauen. Er trug eine Brille, was mit meinem Begriff von einem Dichter nicht ganz übercin- slimmte. Aber da ich eben sein »Heimatlos« gelesen hatte, an erkannte ich ihn gleichwohl. Er war von seiner Frau geschieden und wohnte einsam und verlassen in einer dritten Etage aus dem Gamle Kongevcj. Seine Frau und seine Tochter kannte ich aus der Buchhandlung in der Skindergade, wohin sic oft kamen, um Karte» zu holen und abzu liefern, die sie für Boths Beschreibung von Dänemark »illu minierten«. Ich sah diese Damen mit bösen Blicken an, denn ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie die Schuld an der Scheidung trügen. Sie hatten selbstverständlich den armen Dichter gequält und geplagt. Es wurde mir plötzlich klar, daß ein Dichter nicht verheiratet sein dürfe. Späterhin habe ich an vielen Beispielen gesehen, daß ich recht halte. Und ich beschloß daher, als Junggeselle zu leben und zu sterben. Welcher Theorie ich bis zum Jahre 1894 huldigte. Ta siel auch ich der Altersgrenze zum Opfer. Während wir in der Nörresögade wohnten, geschah cs, daß ich meine schielenden Augen operieren ließ. Ich konnte nämlich der Gassenjungen wegen nicht ruhig über die Straße gehen. Sie legten die Zeigefinger übers Kreuz und hielten sie mir unter die Rase. Einige besonders raffinierte »warfen sogar Butterbrote« mit den Augen, um mich recht zu verhöhnen. Und als mich ein langer Bengel eines Tages fragte, wie ich es eigentlich fertigbrächte, ohne Hautabschürfungen um die Straßenecke zu kommen, ging ich weinend zu Tante Marie und sagte, jetzt wollte ich aber, daß mit meinen Augen etwas ge schähe, damit sie gerade würden. Sie ging denn also mit mir zu dem alten Augenarzt vr. Christensen in der Nörregade, der damals sehr berühmt war. Er sagte, ich solle mich am Donnerstag zwischen 1—3 Uhr cinfiuden. Als Tante und ich an dem Tage ins Wartezimmer kamen, hörten wir Geschrei und Gebrüll aus dem Operations- zimmcr. Und ringsum saßen viele Erwachsene und Kinder mit den seltsamsten Spießen in den Augen. Ich erbleichte. »Wollen wir nicht lieber wieder gehen, mein Junge?« fragte Tante. Ich ballte die Hände und biß die Zähne zusammen und sagte: »Nein«. Dann kam ich hinein und wurde aus die Marterbauk gelegt. Tante hatte mir geraten, den Arzt zu fragen, ob ich nicht be täubt werden könnte. Ich wurde untersucht, aber ich konnte keine Betäubung ver tragen, mein Herz war zu schwach. Ich lag also bei vollem Bewußtsein und lieh die Ärzte an meinen Augen hantieren. Christensen hatte eine Anzahl Schüler, die zusahen und etwas lernen wollten. »Sehen Sie her, meine Herren«, sagte er und hielt den kriminellen Nerv oder Muskel an einer Pin zette in die Höhe. »Sehen Sie, wie kräftig er ist! - So atmen Sic doch !«, sagte er dann zu mir, der ich vor Schmerzen beinahe diese Zeremonie-vergaß. »Ja, aber schneiden, schneiden«, bat ich. »Ja«, sagte er, »ja«. Und dann nahm er eine Stickschere und schnitt den Nerv durch. »Bin ich nun fertig?« 1SS4 »Nein, Sie müssen erst genäht werden.« Und dann nähte er mit schwarzer Seide in meinem Auge. Draußen im Wartezimmer saß Tante Marie, Halblol vor Spannung. Tann fuhren wir nach Hause zur Nörresögade, und ich wurde ins Bett gesteckt. Nie vorher und nie nachher habe ich solche Kopsschmerzen gehabt. Und ich habe doch ein gutes Teil gehabt. Aber Tante litt gewiß fast noch mehr als ich. Da beging ich eine Heldentat. Als das andere Auge ge schnitten werd sollte, sagte ich ihr nichts, um sie zu schone», sondern war:, .te allein zum Arzt und ließ mich schneiden und zusammennähen. Tante weinte vor Rührung und nannte mich einen »Charakter«. Daraus war ich stolz. Aber das Merkwürdigste an der Sache war, daß die Leute mir aus der Operation einen Vorwurs mach ten. Ich wäre mit schielenden Augen weit schöner gewesen, behaupteten sie. Doch die Straßenjungen ließen mich in Frieden. Drinnen in der Buchhandlung arbeitete ich getreulich - aber äußerst ungern. Um seinen Geldverlegenheiten abzuhelfen, war mein Prin zipal darauf gekommen, eine Preisherabsetzung zu veranstalten. Er war gewiß der Erfinder dieses später so allgemein beliebten Tricks. Er engagierte zu dem Zweck einen Haufen Kolporteure, die mit Taschen voll billiger Bücher und Subskriptionssachen in Land und Reich umherziehen sollten. Und er engagierte einen »Direktor«, um diese Abteilung des Geschäfts zu leiten. Dem Direktor, einem früheren Provinzbuchhändler, wurde ein Kontor in einer ehemaligen Küche eingerichtet. Da stand er und laborierte den Tag über. Aber es ging nicht. Die Kol porteure liefen mit Taschen und Büchern ihrer Wege, und nach einem halben Jahre verließ uns auch der »Direktor«. Er begann Frau und Fräulein Goldschmidt beim »Illuminieren« des Both zu helfen. Zugleich mit dem Direktor war ein Lehrling namens Gjedde bei uns angestelll worden. Ein Himmelhund im Erfinde» von Späßen. Er Halle eines Morgens einen neuen »Kolporteur« ausgestopft und ihn mit Hut und Stock und allem Zubehör in der Küche aufgestellt. Als der Direktor kam, sagte Gjedde: »Es ist ein neuer Kol porteur gekommen, Herr Direktor.« »Wo ist er?« »Er steht draußen in der Küche.« Der Direktor stürzt hinaus. »Nun, mein lieber Freund«, begann er, »glauben Sie denn auch, daß Sie die Arbeit hier übernehmen können?« Der Kolporteur antwortete nicht. »Was haben Sie denn vorher betrieben?« fragte der Di rektor, der eifrig umherging und sein überzeug ablegte. Keine Antwort. Da wandte der Direktor sich plötzlich nach dem Manne um, erstaunt über seine Stummheit. Er sah sofort, daß das Phä nomen eine Attrappe war. »Gjedde, Gjedde!« sagt er da, schüttelt den Kopf und setzt sich an den Küchentisch. Aber drinnen im Packraum lag Gjedde flach vor Lachen. Keiner konnte lachen wie er. Es begann damit, daß er zitterte und baumelte und die Arme schwenkte. Man glaubte, er hätte einen Schlagansall bekommen. Aber plötzlich brüllte das Gelächter aus ihm heraus, und er sank ent weder auf das nächste Möbel oder warf sich platt auf den Fuß boden, schlug mit den Füßen auf und schrie: »O Gott, o Gott, o Gott!« Allmählich schrien wir alle mit, selbst der Direktor. Mein Prinzipal war ein betriebsamer und sehr tüchtiger Mann. Er war Herausgeber der damals berühmten Zeitschrif ten »Aus allen Landen« und »Historisches Archiv«. Aber die Mitarbeiter hatten cs nicht ganz leicht, ihre Honorare von ihm hcrauszuholen. Er gab u. a. auch Gustav Dores »Bibel in Bildern« heraus. Die Bilderstöcke wurden uns direkt von Paris zugesandt. Wir mußten sic auf dem Zollamt einlösen. Es hielt zuweilen schwer, das Geld anzuschaffen, weshalb die Hefte nicht ganz regelmäßig erschienen.
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