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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.11.1916
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1916-11-21
- Erscheinungsdatum
- 21.11.1916
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. 371, 21. November 1916. vorsichtig. Ihr Balkengewirr scheint ein Notbau zu sein. Welch herrliches Bild: die erleuchtete Stadt unter uns, die im Fluh glitzernden Lichter, die dunklen Umrisse der Höhen, auf denen geradlinig die Mauern der Zitadelle gegen den fahlen Abend himmel gerade noch erkannt werden können. In der großen, spärlich erleuchteten Bahnhofshalle vertritt man sich einige Minuten die Fritze. Heimatliche bayerische Laute treffen das Ohr, deutsche Buchhändlernamen stehen auf dem Verkaufsstand, in dem nicht welsche Literatur, sondern deutsche Bücher und Zeitungen zum Verkauf ausliegen. Nach anderthalbstündiger Fahrt sind wir im lichterhellen Brüssel. Der Nordbahnhof ist noch immer kein Weltstadtbahnhof. Genau wie vor fünfzehn Jahren. Alt, dunkel, rauchig, fast kleine Verhältnisse. Aber der Platz davor atmet Großstadtluft. Da ist Gewühl und Gedränge, Leben und Lärm am Fuße vielstöckiger Häuser. Von meinem Zimmer im Kranck Hotel cku kkars kann ich aus der Vogelperspektive auf das laute Geiriebe hinabsehcn. Das sieht nicht wie Krieg aus. So habe ich es in der Erinne rung. Rur die Schatten der 'Nacht verbergen, was bei Tages licht an den Krieg gemahnt. Die Hotelgäste scheinen ausschließlich aus Militärs zu be stehen. In dem echt belgischen Gasthauszimmer — glitzernde Spiegelwände, blanke Marmortische — sitzen speisende und trin kende Militärpersonen und Bürger. Ein Straßenbummel zeigt das übliche, französisch ange hauchte, halb gewöhnliche, halb überelegante, halb neckische, halb schamlose, flanierende, nichtstuendc, genießende, leichtlebige Trei ben der Boulevards. Elegante Läden mit weit geöffneten Türen, bis Mitternacht strahlend erleuchtete Schaufenster, hinter denen geschäftige Ladenfräuleins unermüdlich verkaufen, buntfarbene Riesenplakate mit schaudererregenden Bildern vor Dutzenden von Kinos, schreiende Zeitungsfrauen an den Straßenecken, elegante weibliche Jugend, off widersinnig unschön nach neuester Pariser Mode gekleidet, und stutzerhafte, schlaffe Männlichkeit, dazwischen die Armut, mit Zündhölzchen und Bleistiften handelnd oder bet telnd. Das ist Brüssel im Krieg? Wenn die Brüsseler sich durch ihr Gebaren über den Krieg wegzutäuschen suchen, so mahnen Gestalten, die in der Lust des herbstwarmcn Abends fremd zu sein scheinen, um so mehr daran. Feldgraue, vornehme Offiziersgestaltsn, die langsam und schweigend die Straßen entlang schreiten, feldgraue Mannschaf ten, die hie und ba stehen bleiben und betrachtend die fremde Welt auf sich wirken lassen, sind auch von der leichten Großstadt bevölkerung nicht zu übersehen. Und noch etwas anderes kann nicht unbeachtet bleiben und ruft gleich einem Nene tslrei von vielen Straßenecken und Plätzen. Maueranschläge in größtem Format, mit fetten, deutlichen Buchstaben in drei Sprachen: deutsch, flämisch, französisch. Die Tagesberichte der obersten Heeresleitung, Verordnungen im Befehlston, Bekanntmachungen. Zwischen klein gedruckten Zeilen groß wie ein Schrei: — »zum Tode« - . Die Bekanntmachung ist heute frisch angeklebt. Sie warnt unter Hinweis aus vollstreckte Todesstrafen an Spionen vor Nachahmung. Ein Mädchen kniet, vor dem Plakat und buch stabiert, Männer und Frauen stehen gedrängt herum und lesen mit gestreckten Hälsen die Namen der Verurteilten. Das ist Krieg. Feuchte Morgennebel nässeln in den Straßen von Brüssel. Fester Soldatenschritt klingt zu meinem Fenster herauf. Unten marschiert eine Kompagnie quer über den Platz, auf dem das Leben erwacht. Klingelnde elektrische Straßenbahnen jagen sich, träge Droschkeirpferde klappern über die Steine, Handwagen wer den geschoben, fröstelnde Menschen eilen über das Pflaster, die Morgenblätter werden mit kreischender Stimme ausgerufen, Radfahrer winden sich lautlos durch das Gewühl. Ullstein- bllcher!! Zu hören ist der Schrei nicht, aber zu sehen. Er füllt in größter Schrift ein Plakat, das auf einem der Holzhäuschen auf dem Bahnhofsplatz sich jedermann ausfallend hervortut. In drei oder vier solcher Holzbuden kann die neueste Kriegs- und Schützengrabenliteratur täglich frisch gekauft werden. 1434 Ich habe noch einige Stunden Zeit, mein Zug geht erst mittags. Die Kriegszeit hat den lebhaften Friedenssahrplan stark beschnitten. Die Stunden werden zu einem Gang durch die taghellen Straßen benutzt, um Erinnerungen an eine frühere Reise auszufrischen. »Sköne Ansichten, Minheer! — Minheer, kaufen Sie Post karten, billig. Jk bin von Münken.« ! Lümmel, lüge nicht! Ein anderer will mich gar überzeugen, daß er ein Berliner sei. Die Jungen denken dadurch bessere Ge schäfte zu machen. Die Boulevards sind belebt wie sonst. Aus dem einzig schö nen »Großen Platz« herrscht reger Marktbeirieb. Dazwischen ein höherer deutscher Offizier mit Umhangmantel, im Baedeker nach lesend. Einzelne Soldaten kaufen an den Ständen ein. Vor den Portalen der herrlichen gotischen Gebäude militärische Po sten. Gleichmütig schauen die goldstrotzenden, himmelrageudcn Zunfthäuser auf diesen Wandel der Zeiten hernieder. Den Justizpalast darf ich nicht vergessen, diesen anmaßenden Riesen unter den Brüsseler Häusern. Ein paar mächtige Mau beuger Mörser sperren ihm zur Seite ihre drohenden Mäuler auf gegen die tieferliegende'gewaltige Stadt, bereit, jeden Augenblick Verderben zu speien. In den Läden, in Cafes zuvorkommende Höflichkeit. Man wird französisch gefragt und antwortet deutsch. Die beiden Lan dessprachen und das Deutsche haben Gleichberechtigung. Man hat schon recht schön deutsch verstehen und mit deutschem Gelde rechnen gelernt. Das großstädtische Schienengewirr verengt sich zu schmalen Geleisen zwischen abgeernteten Herbstfeldern. Ein anderes Bild. Löwen. Erwartungsvoll schaut man der Ruinenstadt entgegen. Hier ein ausgebrannter Bauernhof. Da eine Hauswand mit leeren Fensterhöhlen. Vereinzelt. Links wieder eine Trümmer stätte, jetzt eine Reihe nebeneinander und jetzt — der Zug hält: Haus an Haus und Straße an Straße ragende Backsteinmauern, zerbrochen, dachlos, inhaltlos. Es ist ein Vorort, in dem Auf ruhr tobte und erschlagen ward. Ein leeres und trostloses Gefühl nimmt man aus dem zerstörten Löwen mit hinweg. Die Erinnerung an Zei tungsberichte über Geschehnisse fürchterlicher Art, verblendeten Wahnsinns, verbrecherischer Tücke zittert im Gedächtnis nach, wenn man die Trümmerstätten von Löwen gesehen hat. Landsturmleute, die bei den überfallenen Kompagnien waren, haben mir später Schilderungen gegeben, wie in ruhiger Abend stunde auf ein Zeichen Plötzlich die nicht enden wollenden Schüsse aus allen Fenstern blitzten. Wer wagt es, die zu schmähen, die maßlose Wut über die Hinterlist der vorher falsch lächelnden Ge sichter erfaßte, die Vergeltung übten und üben mußten, um die Gefahr zu beschwören und das eigene Leben zu retten! Nicht Wut über die Vernichtung des Lebens der Kameraden allein trieb sie, sondern auch ein Gefühl der Scham, gemeinem Verrat gegenüber zu stehen. Ganze Straßenviertel, in denen verabredetes Morden begann, haben die Untat büßen müssen. Erschüttert, aber mit Verständnis für die schwer lastende Gerechtigkeit einer harten Strafe durchwandelt man die niedergelegten Straßenreihen, in die nun schon Ordnung gebracht ist durch Aufschichten der Backsteine, Zusammenlegen von Eisenteilen, Stützen schwanken der Mauerreste, Anlage von Rinnen für Abfluß des Regen wassers, Absperren offener Kellerlöcher. Zwischen Trümmern und Schutthaufen stehen vereinzelt, aber nicht selten, bewohnte, unversehrte Häuser, als Zeugen dafür, daß nur Besitz Schuldiger Strafe zu leiden hatte. Aus der Mitte aller Zerstörung ragen unverletzt wie ein Heiligtum die wundervollen gotischen Formen des Rathauses zum Himmel empor. Der schwerste und uner setzlichste Verlust ist in dem Untergang der Universitätsbibliothek und ihrer etwa 226 060 Bände, unter denen überaus wertvolle Handschriften waren, zu beklagen. Vielleicht wirken die Zerstörungen in Löwen gerade deshalb so eindrucksvoll, weil sie einen so scharfen Gegensatz zu den nicht zum Bahnhofsviertel gehörigen Teilen bilden, die völlig unbe-
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