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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.03.1911
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- 1911-03-16
- Erscheinungsdatum
- 16.03.1911
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8282 BSrsmilatt s. d. Dtschn. Duchr»ndU. Nichtamtlicher Teil. 62. 16. März 1811 von den übrigen Sozialvcrsicherten trennt und ihnen eine Sonderbehandlung zuteil werden läßt, jo sind es nicht zuletzt politische Gründe, die sie hierzu veranlassen. Es darf keinem Zweifel unterliegen, daß die Regierung durch schnelle Ge währung ihrer Versicherungsforderung hofft, sich die Stimmen der Privatbeamten für die parlamentarischen Wahlen zu er halten und die Angestellten vom Anschluß an die Sozial demokratie abhalten zu können. Dieser Hoffnung liegt die irrige Anschauung zugrunde, daß Sicherung der wirtschaft lichen Lage politische Zufriedenheit schaffen kann. Der Irr tum ist nicht neu. Als Bismarck die Ara der Sozialpolitik inaugurierte, gab er sich der Hoffnung hin, die Sozialver sicherung werde ein Bollwerk gegen die Ausbreitung der Sozialdemokratie sein. Heute weiß man,daß dies eine Täuschung war. Ebensowenig wird die Angestelltcnversicherung es ver mögen, wenn in den Kreisen der Privatangestellten die Nei gung besteht, den Anschluß an die linksstehenden Parteien zu suchen, die Angestellten hiervon zurückzuhalten. Ja, man darf sogar behaupten, daß gerade der vorliegende Gesetz entwurf der Anreiz für weite Kreise der Angestellten sein kann, politisch in das Lager der Staatsgegner überzugehen. Denn es ist nicht zu verkennen, daß die Vorlage, die die wirt schaftliche Lage der Privatbeamten bessern soll, diese in mancher lei Beziehung geradezu verschlechtert. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Privatangestellten in nicht wenigen Gewerben und Stellungen nicht nur die eigenen Prämien für die staatliche Versicherung werden aufbringen müssen, sondern auch die der Arbeitgeber. Man hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß die Zusammenfassung der Privatbeamten durch die staatliche Versicherung die Organisation unter den Angestellten fördern werde, so daß sie sich derartigen Bestrebungen der Arbeitgeber mit Erfolg entgegenstellen könnten. Man vergißt hierbei aber, daß es sich bei dem Gros der Privatangestellten nicht um qualifizierte Arbeiter handelt, für die schwer Ersatz zu finden ist, sondern um Angestellte, deren Tätigkeit vor wiegend mechanischer Natur ist, für die daher bei dem großen Angebot an Arbeitskräften im Falle eines Streiks leicht Ersatz beschafft werden kann. Gegen die Herabsetzung der Ansangs gehälter, Verlangsamung und Verringerung der Gehaltszu lagen können mit Aussicht auf Erfolg daher nur verhältnis mäßig kleine Gruppen der Privatbeamten, die in höheren Stellungen sich befinden, ankämpsen. Hinzu kommt, daß eine kräftige Organisation der Angestellten, die nötigenfalls einen Arbeitskampf durchsechten kann, über erhebliche Mittel verfügen muß. Die neue Zwangsversicherung verringert aber mit ihren ziemlich hohen Pflichtbeiträgen das freie Ein kommen großer Schichten der Angestellten nicht unerheblich, so daß diese für Organisationszwecke nicht mehr viel auf wenden können. Die Durchführung der Privatangestellten versicherung würde demnach eine Schwächung der Organisation bedeuten. Eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Angestellten dürfte der Entwurf dadurch herbeiführen, daß er die Arbeiigeber veranlaßt, in noch stärkerem Umfange als bisher weibliche Arbeitskräfte zu benutzen, weil er bei ihnen gleichzeitig an Gehalt und Versicherungsbeiträgen spart. Es läßt sich auch erwarten, und dies gilt insbesondere für die technischen Berufe, daß seitens der Arbeitgeberschaft der Ver such gemacht wird, Privatbeamte zu Arbeitern herabzudrücken. Bei einem solchen Vorgehen würde der Arbeitgeber nämlich nur die weit geringeren Beiträge zur Invalidenversicherung zu zahlen haben und die nicht unwesentlich höheren für die Angestelltenversicherung sparen. Es würden beispielsweise Leute, die ihrer Tätigkeit nach als Werkmeister bezeichnet werden müßten, in den Listen des betreffenden Werkes als Arbeiter geführt. Eine höchst unliebsame Folge der Verwirk lichung der Angestelltenversicherung dürfte weiter die rück sichtslose Abstoßung aller Privatbeamten sein, die nicht mehr voll leistungsfähig sind. Es ist bekannt, daß in unendlich vielen Betrieben Angestellte, die der Firma seit langer Zeit ange hören und nicht mehr voll leistungsfähig sind, von dem In haber der Firma trotz der Verringerung ihrer Arbeitskraft beibehalten werden, da eine Versorgung für derartige An gestellte nicht vorhanden ist. Wenn aber die Privatbeamten. Versicherung besteht, werden sich viele Arbeitgeber nicht mehr veranlaßt sehen, solche invaliden Angestellten weiter zu be schäftigen. Es werden daher nicht wenige Personen dieser Art insbesondere in der Übergangszeit in eine üble Lage ge raten. Aber auch wenn der entlassene Angestellte in den Genuß einer Invalidenrente der Angestelltenverficherung gelangt, so wird sich seine wirtschaftliche Lage gegenüber den bisherigen Zuständen verschlechtern, da diese Rente sehr gering ist. Es ist des weiteren der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß bei der Neigung des Deutschen, in Beamtenstellung zu kommen und sich mit dem Titel eines Beamten zu schmücken, sich in den Kreis der Privatbeamtenberufe nach Verwirk lichung der Angestelltenversicherung noch mehr Personen als bisher drängen werden, da sie hier eine Versorgung erhalten, die, wenn sie auch nur gering ist, manchen von ihnen doch erstrebenswert erscheinen wird. Daß die Folge dieses Hin- einströmens von Arbeitskräften in die Privatbeamtenstellungen ein Überangebot auf dem Arbeitsmarkt sein und zur Herab setzung der Gehälter führen muß, liegt aus der Hand. Eine höchst unliebsame Folge der Privatbeamtenversicherung wird ferner für die Angestellten die Tatsache sein, daß sie ihre letzten freien Mittel hingeben müssen, um sich auf dem Wege der staatlichen Versicherung Renten zu erkausen. Der großen Mehrheit von ihnen bleiben keine Einkommenbeträge mehr, die dazu verwandt werden könnten, Kapital anzusammeln. Damit nehmen sich aber die Angestellten selbst die erste Möglich keit, sich zu höheren sozialen Schichten emporzuarbeiten oder ihren Kindern die hierfür notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Folge muß sein, daß der Sohn eines Privat beamten wieder Privatbeamter wird, daß die stete Verjüngung der führenden sozialen Schichten durch aus den weiten unteren Klassen emporsteigende, energiebegabte, fremde Elemente zu einem guten Teil unterbunden wird. Das ist nicht nur ein für die Angestellten, sondern für die gesamte Bevölkerung wirtschaftlich ungesunder Zustand. Man kann auch sagen, daß das Verhältnis zwischen Prinzipalen und Angestellten infolge der neuen Versicherung mehr und mehr auf Geld gestellt wird. Der Arbeitgeber wird sich hinfort durchwegs damit begnügen, für seine Beamten die hohen staatlichen Beiträge zu zahlen und sich nicht mehr veranlaßt sehen, für sie darüber hinaus Aufwendungen zu machen. Das Zusammen wirken der verschiedenen, eben ausgezählten Momente muß zu einer Einschränkung des energischen Vorwärtsstrebens unter den Privatangestellten und zur Verringerung des Selbst- verantwortlichkeitsgesühls führen. Es steht auch zu befürchten, daß man in der Privatbeamtenversicherung jenen unlieb samen Erscheinungen von Simulation, Ausbildung von Renten krankheiten, dem Streben nach Rente um jeden Preis, wobei sich besonders die Zeiten schlechter wirtschaftlicher Konjunktur bemerkbar machen werden, Erscheinungen, die aus der Sozial versicherung genugsam bekannt sind, begegnen wird. Es sind ja überhaupt, das mag an dieser Stelle in Parenthese bemerkt werden, die Akten über den Einfluß der staatlichen Zwangs versicherung auf die Psyche der von einer solchen Versicherung erfaßten Personenkreise keineswegs geschlossen. Fragt es sich in der bisherigen Sozialversicherung schon, ob sie nicht den Willen des einzelnen ungünstig zu beeinflussen in der Lage ist, so ist diese Frage bei der mit viel höheren Beiträgen ar beitenden und höhere Renten zahlenden Angestelltenver sicherung noch viel mehr am Platze.
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