Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.04.1916
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- 1916-04-03
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77, 3. April lülk. Redaktioneller Teil. schaffen herbei, was der Soldat, der heute Belgrad in Besitz hat, au Gebrauchsmitteln bedarf. Schokolade in stark verzuckerter Form, gelbe Kürbisstücke, Kuchen, Bonbons, Postkarten, Brief marken und tausenderlei andere Kleinigkeiten, wie es der Speku lation eines Krämergeistes gerade in den Sinn kommt und die sie sich Gott weiß woher beschafft haben, bieten die braunen, zer lumpten Gesellen mit lautem Schrei und frommer Geste an. Aus der Notwendigkeit heraus hat die Schuhputzerbranche neben dem Straßenhändler ihre Jünger entsandt. Es sind ihrer so viele, daß man glauben könnte, alle Schuhputzer Serbiens hätten sich in Belgrad ein Stelldichein gegeben. Serbische Männer sind kaum zu sehen; nur müde Greise, Kriegsinvaliden mit Stelzfuß oder mit sonstigen Gebrechen sind außer Soldaten die einzigen männlichen Wesen, die man erblickt. Obgleich Belgrad heute schon wieder fast 80 MV Einwohner in seinen Mauern zählt, wird der erwachende Geschäftsverkehr meist nur von Frauen besorgt. Er schleppt sich müde hin und ist mehr der Gelegenheit als normalen Verhältnissen angepatzt, mehr ein krampfhafter Versuch, ein Tasten nach Gewinn. Lebens- nnd Gcnutzmittel bilden dankbare Gegenstände des Ge schäfts. Vor einem alten Gebäude spielt sich ein be sonders lebhafter Verkehr ab. Dort kann man Zei tungen, deutsche und kroatische, erhalten, so daß es von allen Soldaten gern ausgesucht wird. Ehemalige Blumen-, Glas- und Kleidergeschäfte find jetzt von ihren Besitzern zu Kaffee- oder Tee stuben umgewandelt. Ein buntes und belebendes Bild geben den Straßen die altserbischen Bäuerinnen, die in großen Trupps aus der Umgegend kommen und ihre Wirtschaftsprodukte zum Markte bringen. Geflochtene Sandalen, in bunten Farben ge stickte Röcke, die meist zu beiden Seiten hochgeschürzt sind und den Weißen Unterrock mit bunter Saumstickerei sehen lassen, grell- farbene Kopftücher, den langen Tragstock auf den Schultern balancierend, an dessen beiden Enden die Waren in grobgewirkten Teppichstoffen das Gleichgewicht halten, das ist der Thp einer serbischen Bäuerin, die den Belgrader Markt belebt. Auf diesem herrscht außerdem zu allen Tagesstunden ein reges Leben, und er bildet wie bei uns ein Stelldichein für alle Hausfrauen. Kleinere Gruppen von Weibern, feilschende Händler, kaufende Soldaten, Panjewagen, mit grauen langbehörnten Ochsen oder mageren Pferdchen bespannt, bilden Gegenstände des Mittelpunktes des er wachenden Geschäftsverkehrs in Belgrad. Die kupferroten, zwiebelartigen, spitz zulaufenden Türme des Konaks lenken meine Aufmerksamkeit vom Marktgetriebe auf die Behausung König Peters. Da der Eintritt zum Innern des Pa lastes verboten ist, betrachte ich mir sein Äußeres. An die prunk volle Wohnung eines Herrschers erinnert er gar nicht, eher an den Stil eines modernen deutschen Warenhauses. Die Fenster scheiben sind sämtlich durch die furchtbaren Detonationen der Flie gerbomben zertrümmert. An mehreren Stellen der Wände deuten große Löcher auf das Einschlagen von Granaten hin. Das Rasen stück vor dem alten ehemaligen Konak, auf das vor dreizehn Jah ren die blutigen Leichen Alexanders und seiner Gattin Draga ge worfen wurden, ist noch unberührt. Durch das schwere, spitzen- vergoldete gußeiserne Gitter, das die Zwingburg serbischer Kö nige von der Außenwelt trennt, gewinnt man einen Blick auf den Hof des Schlosses, auf dem ein ungarischer Infanterist mit auf gepflanztem Seitengewehr treue Wache hält. Verlassen und un beachtet schreitet über die Steinfliesen und durch den verwilderten Garten ein Pfau, ein wahres Prachtexemplar, der neben einem kleinen Affen, der auf den Namen Gospodar hört, das Lieblings- tier Peter Karaghorgyebiczs war. Im großen und ganzen ge nommen ist es eine armselige Behausung, die dieser Peter be sessen hat. Wie Augenzeugen, die das Innere des Konaks sahen, erzählen, sollen Wohnungen deutscher Großkanfleute weitaus glänzender ausgestattet sein als dieses Königsschloß. Die Räume sind eng und klein, die Pferdeställe den bescheidenen Ansprüchen eines mittleren Grundbesitzers angemessen. Das geringe geistige Leben Prägt sich in den Vorgefundenen Bibliotheksbe ständen aus, die meist aus minderwertiger französischer Roman literatur und sonstigem Kitsch, Modejournalen usw. bestanden haben und mehrere tausend Bänd« umfaßten. Hotel Moskau fesselt beim Weiterschreiten meinen Blick. Es ist «in Gebäude, das die russische Versicherungsgesellschaft Rossia als Pfand russischer Freundschaft den Serben geschenkt hat. Das mächtige, mit geschliffenen Granitplatten bekleidete Gebäude steht jetzt in düsterer Trauer. Die großen Fensterscheiben, einst der Auslugplatz politisierender serbischer Offiziere, sind zertrümmert. Die leeren Fensterrahmen füllen rohgezimmerte Bretter verschläge aus. Gegenüber an der Ecke, wo die Balkanstraße in die König Milan-Straße mündet, ist das Balkancafö, das Zen- trum ehemaligen Belgrader Nachtlebens, jetzt angefüllt mit Schutt haufen und übelriechenden Düften. Das war einst der Treffpunkt der führenden Persönlichkeiten unterirdischer Auslandspolitik. Dort wurde das schändlichste aller Verbrechen, der Mord in Sara jewo, geplant, und seine Ausführung vorbereitet. Ein großer freier Platz mit einigen Bogenlampensäulen dehnt sich vor dem Hotel Moskau aus. Von hier aus führten die Wege zur »Grotte« und anderen berüchtigten Zentren des früheren Belgrader Nachtlebens. Offiziere und Soldaten, zerlumpte und bettelnde Weiber, geschminkte Dirnen, an den Stratzenbordsteinen sich balgende Serbenjungen beleben den Platz. Eine schmalspurige Straßenbahn mit grellbunten kleinen Wagen, noch ein belgisches Jndustrieerzeugnis, vermittelt den Verkehr zwischen Ober- und Unterstadt. Von diesem Platz aus führt die Straße in ein einstmals blühendes Geschästsviertel, wo Pariser Modegeschäfte einst Feste ihrer Modekunst feierten. Wie krampfhaft zugebissen erscheinen jetzt Türen und Fenster der Ge schäfte. Haufen von Glasscherben, Trümmer von Schaufenstern und Ladeneinrichtungen, vermischt mit dem Chaos von Papplar tons, bilden trauernde Reste eines früheren regen Geschästslebens. Ein Klirren wie von vielen kleinen Glocken dringt ans Ohr. Der Wind fährt durch ein zerbrochenes Schaufenster, wo die Glasstäbe einer großen Ampel aneinandergeschlagen. Stickender Moder qualm, wie von verdorbener Seife und von Motten zerfressenem Tuch, dringt beim Vorbeischreiten aus den offenen Türen der wicdergeöffneten Geschäfte. Dort hat ein Buch- und Zeitungs händler seinen Betrieb wieder eröffnet. Die Arme über die Brust gekreuzt, sitzt er am Eingang. Ein junges, schwarzhaariges, mit schäbiger Eleganz gekleidetes Weib steht an seiner Seite. Die dunklen, schwarzbewimperten Augen blicken träumerisch ins Weite. Gegenüber an einer Ecke steht ein prächtiger Bau im Barockstil, einst ein elegantes Papier- und Schreibwarengeschäft, jetzt im Innern Trümmer- und Schutthaufen. Es scheint, als ob die Gra naten es auf dieses Hans besonders abgesehen gehabt hätten. Der Narodnidom, das ehemalige Heim der Belgrader Sozialdemo kratie, liegt ebenfalls verlassen. In einem Nebenhause ist der Rest ihres literarischen Bestandes aufgehoben. Die Bilder Bebels, Liebknechts und Marx' sind noch in den trüben Schau fenstern zu sehen. Weiter wandere ich aus den beengenden und niederdrücken den Mauern verlassener Straßen und gelange in den Stadipark Kalemegdan, den Vorhof der Festung Belgrad. Das maulwurfs graue Kleid der österreichischen Soldaten belebt jetzt die urige- pflegten und von Granaten dnrchackerten Wege, ans denen Sonnen- reflexe wie kleine mutwillige Hunde spielen. Einzelne Serben spazieren durch den Park oder lungern müßig um das Denkmal des Voyvoda Karo Georg. Dann die Festung. Sie mutet den Besucher an wie ein großer Steinbaukasten, den Knabenhände, müde des kleinen Spielzeuges, zusammengeworfen haben. Durch niedrige Bogengänge gelangt man ins Innere der Festung. Die lehmgelben Gebäude der Waffensammlung, des Generalstabes, der Kasernen und der anderen Wirtschaftsgebäude haben der Be schießung keinen Stand gehalten und liegen in Schutt und Asche. Die breiten, von hohen glatten Ziegelsteinwänden umgebenen Laufgräben bedecken Reste von Uniformen und Waffenröcken; hier und da von den Wänden losgerissene Mauerstücke lassen erkennen, daß eine Kugel ihre eigentliche Wirkung verfehlt hat. Nur die Unterstände innerhalb dicker Quadermauern, die würgend den Ge ruch nasser Erde ausströmen, sind meist unversehrt und dienen jetzt Soldaten als Nachtlokale. Von der Festung aus genießt man einen herrlichen Fernblick auf Donau und Save und ins weile Ungarniand. 383
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