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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.01.1910
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1910-01-28
- Erscheinungsdatum
- 28.01.1910
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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22. 28. Januar 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 1185 (vr Wolfsson) mittelst Röntgenstrahlen kann man die Überreizung der Phantasie noch nicht und die ungesunde Entwickelung des Menschen nicht konstatieren. Es gibt also gar keine Möglichkeit für den Beamten und für den Richter, den Tatbestand, den das Gesetz verlangt, festzustellen! Aber, m. H., es geht auch mit diesem Begriff geradeso, wie mit dem Wort »sittlich«. Ich halte eine Ent wickelung für gesund, die ein anderer Mensch, der weder geistig noch sittlich unter mir steht, für ungesund hält. Und nun soll bei dieser Verschiedenheit der Auffassungen, bei dieser Unklarheit des ganzen Begriffes ein Polizeibeamter eine vorläufig vollstreck bare, durch Androhung von Geldstrafe und Haftstrafe wirkungsvoll gemachte Entscheidung treffen? Das ist meiner Meinung nach ganz unmöglich! Und nun lassen Sie uns einmal die Konsequenzen dieses Gesetzes betrachten: Sie können sagen, das Gesetz werde, wenn es auch nicht schön vom legislatorischen Standpunkte aus ist, doch gute Folgen haben! Das ist aber nicht richtig. Ich bin in einer Beziehung in der glücklichen Lage, mich auf die größte Autorität auf richterlichem Gebiet berufen zu können. Zu meiner großen Freude — insofern, als ich mir nicht nachsagen zu lassen brauche, daß ich unrichtige Konsequenzen ziehe — hat sich das Reichsgericht in prophetischer Voraussicht, daß eine solche Vorlage, wie wir sie haben, einmal in die Erscheinung treten könnte, mit einem Gesetz, wie die Herren vorn Ausschuß es beantragt haben, beschäftigt. Das Reichsgericht hat, als es über die Frage der Sittlichkeit, auch in Beziehung auf eine Auslage in einer Buchhandlung geurteilt hat, das folgende gesagt: »Bei Prüfung derartiger Fragen darf man nicht als Maßstab die leicht erregbare Phantasie einer unreifen Schuljugend nehmen.« Und dann erklärt das Reichsgericht, daß, wenn man das tun würde, z. B. das Auslegen eines wissenschaftlichen Werkes, das sich mit den Vorgängen auf dem Gebiete des Geschlechtslebens besaßt, verboten und unter Strafe gestellt werden müsse! Sie sehen, ganz unser Fall! Nun, was will der Ausschuß? Der Ausschuß will die Phantasie einer unreifen Schuljugend zum Maßstab für die Beurteilung dessen, was sittlich und was ungesund ist, machen! Er sagt ausdrücklich, daß es sich um Bücher handelt, welche auf die Jugend schlecht wirken. Also, jedes Gericht würde zweifellos die Auslegung eines solchen Werkes, wie es hier vom Reichsgericht bezeichnet ist, für unzulässig erklären. Denken Sie sich einmal, meine Herren, der Traum vieler Hamburger würde erfüllt und wir würden eine Universität be kommen. Sie haben alle Buchhandlungen in den Universitäts städten gesehen. Sie haben gesehen, daß die Buchhändler in den Universitätsstädten es in weit höherem Maße als in anderen Städten, als ihre Aufgabe betrachten, durch die Auslage im Schaufenster die Studierenden auf die Neuerscheinungen der Literatur aufmerksam zu machen. Wenn wir dieses Gesetz er hielten, dann würde in den Schaufenstern der Buchhändler vieles, was wir heute in denselben sehen, nicht ausgelegt werden. Dann würden wir zahlreiche Bücher aus dem Gebiete der Medizin, der Psychiatrie, der gerichtlichen Medizin, des Hynotismus oder des Magnetismus usw. nicht in den Schaufenstern sehen; sie würden verboten sein. Die Geschichte der Revolutionen müßte meiner Meinung nach fortbleiben. (Heiterkeit.) Wenn wir eine Univer sität bekommen und dieses Gesetz bei uns gilt, so müssen wir am Tage vor der Eröffnung der Universität das Gesetz aufheben, weil es uns ganz grenzenlos kompromittieren würde. Es wäre eine starke Blamage, wenn unsere Buchhändler sagen müßten: Wir dürfen diese für die Dozenten und Studenten bestimmten Bücher nicht auslegen, weil sie auf die Seele eines Kindes un günstig wirken könnten. Meine Herren! Ich möchte Sie noch einen Augenblick auf ein anderes Gebiet führen, für das Sie sich vielleicht noch mehr interessieren. Aus der großen Zahl von Dramen, die ich Ihnen vorführen könnte, möchte ich Sie nur erinnern an Schillers »Räuber« und an Lessings »Emilia Galotti«. Es ist möglich, daß die Namen dieser unsterblichen Dichter ihre Werke vor polizeilichem Eingriff schützen würden. Aber nehmen wir einmal an, die »Räuber« und »Emilia Galotti« würden heute erscheinen. In den »Räubern« wird der edle Räuber geschildert, der durch Mord und Totschlag die sündige Welt zu bessern trachtet. In »Emilia Galotti« wird als Heldentat gepriesen, daß der Vater seiner Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. Tochter in der Besorgnis, daß sie den Verführungskünsten eines Wollüstlings nicht widerstehen kann, den Dolch ins Herz stößt. Ja, m. H., würden Sie es einem pflichtgetreuen Beamten ver- argen, wenn er befehlen würde, daß diese Dramen aus dem Schaufenster entfernt werden? Vom Standpunkte der über wachenden Polizei müssen die Glorifizierung eines Räubers und die Verherrlichung eines Räubers als Rächer des Bösen und Retter der Menschheit die Phantasie des Kindes überreizen und die gesunde Entwicklung des Kindes stören. Und nun, m. H., denken Sie an zahllose deutsche Romane der Neuzeit, an beinahe alle französischen Romane! An Shakespeares Dramen möchte ich gar nicht denken, das ist ein entsetzlicher Gedanke (Heiterkeit); sie würden ausnahmslos diesem Gesetze verfallen fein! M. H.! Diese Beispiele könnte ich und könnten Sie alle beliebig ver mehren. Aber Sie können aus diesen Beispielen erkennen, daß die Vorschläge des Ausschusses gänzlich unannehmbar sind. Auch dürfen wir nicht vergessen — und das vergißt der Ausschuß voll ständig —, daß die Buchhandlungen nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene da sind, und daß die Erwachsenen ein Recht darauf haben, daß sie durch die Auslage in den Schaufenstern mit den neuesten Erscheinungen der Literatur bekannt gemacht werden. Es gibt unendlich viele Bücher, die für unsere Nation von der allergrößten Bedeutung sind, die aber, wenn sie von einem Kinde gelesen werden, einen sehr ungünstigen Einfluß auf das Kind ausüben können, und diese Bücher sollen verboten sein? Ich weiß genau, daß mir entgegnet werden wird: Du über treibst! (Sehr richtig!) Gewiß, Herr Dr. Popert, daß Sie das sagen werden, weiß ich sicher. Ich glaube, das ist auch das einzige, womit Sie den Antrag verteidigen und mich zurückweisen werden. lHeiterkeit.) Ich will hierüber gleich ein Wort sagen. Der Ein wand der Übertreibung bedeutet gar nichts, als daß die Urheber dieses Gesetzentwurfes die Hoffnung und die Zuversicht haben, daß die aussührenden Organe das Gesetz besser ausführen werden, als es gemacht ist. (Heiterkeit.) Das ist aber eine bedenkliche Gesetzesmacherei. Man macht nicht ein schlechtes Gesetz und hofft, daß die Organe, die es ausführen werden, so klug sein werden, es besser zu machen. Ein Gesetz soll so ausgeführt werden, wie es geschrieben ist. Die Polizeibehörde ist, wenn sie auch noch so tadelt, verpflichtet, das Gesetz seinem Wortlaute gemäß auszu führen, und darum sollen wir uns bemühen, gute Gesetze zu und wortgemäß ausgeführt werden. Auf eins möchte ich Sie bei dieser Gelegenheit noch auf merksam machen; denn ich habe schon verschiedene Male gemerkt, daß dieser Gesichtspunkt den Lesern des Ausschußberichtes ent gangen ist. Das Unbegreifliche an diesem Ausschußantrage ist, daß nicht etwa die Auslage der für die Jugend bestimmten und auf die Jugend schlecht wirkenden Bücher verboten ist, sondern daß das Verbot auch alle Bücher, die sür Erwachsene geschrieben sind, trifft, weil das Buch möglicherweise einmal in die Hände eines Kindes kommen und auf dieses Kind ungünstig wirken könnte. (Sehr wahr!) Sehen Sie überall nach — wir bekommen ja täg lich in den Zeitungen Bericht über die Bewegung in Deutsch land —: Sie werden überall finden, daß man sich bemüht, die schlechten, vergiftenden Jugendschriften zu treffen. Sie werden aber bisher nicht gefunden haben — das ist ein Verdienst des Ausschusses, eine Erfindung, auf die er ein Patent nehmen kann (Heiterkeit) —, daß irgendein Mensch den Gedanken gehabt hat, man möge die Auslage der für Erwachsene bestimmten Bücher verbieten, weil sie möglicherweise, wie ein medizinisches Werk, einmal in die Hände eines Kindes kommen und diesem Kinde schaden könnten. Ich habe privatim einem hervorragenden Ausschußmitgliede meine Meinung mitgeteilt und er hat mir darauf erwidert: »wir wollen für die Buchhandlungen nur dasselbe schaffen, was jetzt schon für die Verkaufsstände gilt«. Das ist aber ein ganz verkehrter Gedanke, der uns aber klar macht, wie der Aus schuß auf die Anträge gekommen ist, die er gestellt hat. Erstens ist diese Ansicht verkehrt, weil das Publikum seine literarischen und wissenschaftlichen Bedürfnisse nicht in den Ver kaufsständen, sondern in den Buchhandlungen befriedigt, und zweitens ist sie verkehrt, weil das Reichsrecht aus wohlverstandenen Gründen es für richtig und notwendig gehalten hat, den Verkauf auf offener Straße unter polizeiliche Gewalt zu stellen, dagegen 1S4
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