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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.04.1927
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- 1927-04-30
- Erscheinungsdatum
- 30.04.1927
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shs: 100, 30. April 1927. Redaktioneller Teil. Kennwort: Bimm. Erhard Wittel, BcrIIn-Charlottenburg. Bevor man an die Beantwortung der Frage geht, ist zu begründen, warum man nicht Werke wie den vierbändigen »Brock haus«, Westermanns Weltatlas, Bocks Buch vom gesunden und kranken Menschen in die Auswahl ausnehmen kann, di« im ge bildeten deutschen Hause heute zur Bewältigung der praktischen Anforderungen des täglichen Lebens unbedingt gebraucht werden und bei jedem Deutschen von Bildung, soweit er sich sein« Haus bücherei systematisch zusammenstellt, zweifellos neben einigen anderen Werken, deren Zahl sich wohl aus zwölf festlegen ließe, den Grundstock 'des Bücherbesitzes zu bilden hätten. Der Begriff »jeder gebildete Deutsche», an sich eine reine Konstruktion ohne Leben, ist für «ine Fragestellung nach solchen Werken unbrauchbar; denn selbst wenn sich eine brauchbare Defi nition finden ließe, was zu bezweifeln ist, ließen sich doch niemals die zwölf Bücher finden, di« — nach den praktischen Bedürfnissen des täglichen Lebens ausgewählt — »in die Hausbücherei jedes gebildeten Deutschen gehörten». Das fromme katholische, das fromm« protestantische, das freidenkerische, das nationale »gebildet« Haus» hat grundverschiedene Bedürfnisse nach »praktischen Wer ken- in diesem Sinne, was sofort klar wird, wenn man di« Aus wahl über die drei schon genannten Werke hinaus erweitern will — ganz zu schweigen vom gebildeten sozialistischen Hause, das mit derselben Bestimmtheit Marx' Hauptwerk wohl auch heute noch in die Auswahl aufnehmen würde, mit 'der das nationale Haus etwa Bismarcks »Gedanken und Erinnerungen» nennen würde. Die befriedigende Antwort der so verstandenen Preisfrage ist also unmöglich. Daß aber jede engere Bestimmung des Wortes »gebildet» absichtlich unterlassen wurde, daß also nicht etwa die richtige Beantwortung der Frage in der Zusammenstellung ver schiedener Hausbüchereien für die verschiedenen Gruppen der Ge bildeten gesucht werden soll, das zeigt «ine näher« Untersuchung des der eigentlichen Preisfrage mitgegebenen Begleittextes, 'der doch offenbar die Bestimmung hat, den Sinn der gestellten Auf gabe zu 'verdeutlichen und die Richtung näher anzugeben, in der die Lösung zu suchen ist. Eine andere Erklärung für di« Beigabe weiteren Textes wäre logisch nicht haltbar. Gleichzeitig zeigt diese Untersuchung, daß es für di« Beantwortung gleichgültig ist, ob unter »Hausbücherei» nur die Familienbücherei zu verstehen ist oder nicht. Das an den Anfang des Ausschreibens gesetzte Jahn-Zitat nämlich spricht von den »heiligen Büchern» eines Volkes: »Ein Volk, das «in wahres, volkstümliches Bücherwesen besitzt, ist Herr von einem unermeßlichen Schatze ... Es kann aus der Asche des Vaterlandes wieder ausleben, wenn sein« heiligen Bücher gerettet werden». Im unmittelbaren Anschluß daran heißt es unter direktem Hin weis auf das Jahn-Wort: »Welches sind aber . . . dies «wich tigsten Bücher?» Gefragt ist also nach den heiligen Michern des deutschen Volkes aus den letzten 90 Jahren, und vor solchen Maßstäben verschwinden allerdings die Unterschiede 'der Bildung und der Weltanschauung. Die heiligen Bücher eines Volkes ge hören in jedes Haus. Nicht jedes »gebildete» Haus wird für alle diese Werke zu jeder Zeit empfänglich sein, aber wie Wohl jeder Deutsche, der auf die Bezeichnung »gebildet» Anspruch erhebt, ein mal seinen (besonderen, nur ihm gehörenden) Goethe entdeckt, so wird in jedem Hause wohl jeder einmal (und sei es auch nur für kurze Zeit) in einem der -heiligen Bücher» fein Wesen über sich selbst gehoben finden. »Die heiligen Bücher warten auf die Söhn« und Töchter ihres Volkes,. .. nennt ihnen die heiligen Bücher! Nicht damit sie nun gelesen, verschlungen werden, sondern damit jeder Deutsche weiß: diese edelste Stärkung wartet noch auf mich, und immer wieder kann ich danach greifen». Das scheint, vielleicht etwas pathetisch ausgedrückt, aber der Tiefe 'der Frag« durchaus angemessen, ihr Sinn zu sein. Kein Volk bringt in 90 Jahren zwölf heilig« Bücher hervor, aber es sollen die in diesem Sinn wichtigsten Bücher gefunden werden. Wenn nun di« Titel der Werke endlich genannt werden sollen, so ist es selbstverständlich schwer, ein« Begründung sür die ge troffene Auswahl zu geben. Die einzige Antwort aus di« Frag« nach dem Warum der Auswahl kann immer nur lauten, daß die Formung des Inhalts der genannten Werke von absoluter Meister schaft zeugt, mit dem schon oben geäußerten Vorbehalt allerdings, daß kein Volk innerhalb 90 Jahren zwölf vollendete Werke hervor bringt. Wenn also bei den einzelnen Titeln dennoch einige Be gründungen gegeben werden, so ist immer daran sestzuhalten, daß di« Kunst zwecklos und als Manifestierung des reinen menschlichen Geistes anzusehen ist. Die einzig richtige Begründung sür di« Wahl eines Werkes also ist: »es ist ein vollkommenes Kunstwerk-, und diese Erklärung sei hiermit als gültig sür alle genannten Werke abgegeben. Wer mehr sagt, sagt weniger, denn zu literar- theoretischen Begründungen fehlt, abgesehen von anderem, der Raum. Natürlich lassen sich einig« mehr oder weniger zeit- und geschmackgcbundene Bemerkungen machen; das sei im folgenden »ersucht. Für die zwölf besten Bücher aus der Zeit seit Goethes Tode halte ich: 1. Hebbel: Tagebücher. Diese Tagebücher sind als ein geschlossenes Werk anzusehen, das wie kein anderes einen großen Denker, Dichter und Menschen in unbarmherziger Be leuchtung zeigt, und zwar auch da, wo der Schreiber sich bemüht, das Licht, das manchmal gar zu hell auf seinen Charakter fallt, zu dämpfen. 2. Hebbel: Die Nibelungen. Zu einer theoreti schen Begründung für das Herausgreifen gerade dieses Dramas fehlt dem Laien das Rüstzeug. Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß kein anderes Drama Hebbels eine solche Fülle von Stellen höchster dichterischer Schönheit und dramatischer Wucht aufweist wie gerade dieses. Außerdem kommt nicht nur germa nische Treu«, sondern noch viel stärker germanische Untreue in diesem Werk zum Ausdruck, zusammen mit dem bis zur Vernich tung führenden Rasen gegen die eigene, durchaus vorhandene Ver nunft. 3. S ti fter : Na chso m mer. Das Hohelied von der Ge lassenheit der Lebensführung, die Leidüberwindung und 'Kraft ist. 4. Schopenhauer: Parerga und Paralipo- mena. Wenn auch kein geschlossenes Werk wie »Die Welt als Wille und Vorstellung- (die vor Goethes Tode erschien), so ge hörten die »Parerga» ohne jeden Zweifel doch in diese Auswahl. 5. Spitteler: Prometheus und Epimet Heus. Nirgends sonst in der Literatur findet sich «in Preislied wie dieses auf das Recht und den Zwang des großen und reinen Menschen, er selbst zu fein. Dieses Epos ist ein gsschlossenes Kunstwerk, was von 'dem mosaikartigen »^Olympischen Frühling» nicht gesagt werden kann, der zudem dichterisch geringere Schönheiten hat. 6. Nietzsche: Also sprach Zarathustra. 7. Mörike: Gedichte. In dieser Nachbarschaft er scheint Mörike zunächst deplaciert, aber seine Lyrik ist höchste und reinste Kunst; um ein Wort von George anzuwenden: in ihm stieg alle Kraft und alle Größe »aus eines Knaben stillem Flötenlied». 8. Gottfried Keller: Di« Leute von Seld- wyla. Romane vom Werte des »Grünen Heinrich» haben wir mehrere, ein« Novellensammlung wie »Die Leute von Seldwyla- haben wir nicht «in zweites Mal. 9. WilhelmRaabe: DieAkten des Vogelfangs. »Sei gefühllos! Ein leicht bewegtes Herz ist ein elend Gut auf der wankenden Erde». Dieses Goethe-Wort, das Motto des Buches, kann sich der Deutsch« von heut« ebenso oft hersagen wie Velten Andres, und er wird es ebensowenig beherzigen können wie dieser. 10. Wilhelm Busch: Hausscha tz. Die Verkörperung des niedersächsischen Humors mit dem Blinken in den Augen winkeln, bissig und doch gütig. 11. Stefan George: Der Stern des Bundes. Als Buch gesehen der Gipfel von Georges Kunst, soweit sie bis her der breiteren Öffentlichkeit zugänglich ist. SOI
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