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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.04.1927
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- 1927-04-30
- Erscheinungsdatum
- 30.04.1927
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>6 100, 30. April 1927. Redaktioneller Teil. bildete anzuschauen nicht unterlassen können. Daß die Bücher, die dieses Leben am eindringlichsten und lebendigsten schildern, zu gleich die wertvollsten, wichtigsten und wohl auch die schönsten Romane ihrer Zeit sind, ist ein glücklicher und doch auch berech tigter Umstand, der ihren Platz um so sicherer legitimiert. (7.) Es will uns aber bcdünken, daß mit dem Ernst im Leben nicht allein auszukommen sei. Wir müßten es ldennoch, wenn wir nur einen minderwertigen Spaßmacher wüßten, dem wir in dieser strengen Reihe die heitere Violine anzuvertrauen hätten. Ader es spielt sie eine wahrhastige Seele, ein humor voller Weiser, «in Kind und ein Mensch. Sei es denn, daß für viele die fromme Helene vertretbar ist, je nach des Lesers Neigun gen, durch den Pater Filuoius oder das familiärere Paar »on Max und Moritz, ich gebe ihr die siebente Stelle in meiner Aus wahl; und wenn auch nicht mehr mit ihrem Namen bezeichnet sein soll als ein Werk des höchsten, ewigen Humors, ohne den Bildung ein trauriger Zustand wäre. — Näher jedoch, fast wie eine persönlich« Berührung und Bei pflichtung mit dem lebendigen Anhauch der Zeit, gehen uns die letzten fünf der Bücherwesen an, die sich, wie jene ersten sieben, durch ein Gemeinsames zu einer Gruppe vereinigt sehen. Es ist nicht mehr und nicht weniger: als daß wir wünschen dürfen, mit ihnen gemeinsam — wo sie es einzeln nicht vermögen — jenes seelische Bedürfnis zu befriedigen und jene seelische Verpflichtung zu erfüllen, die den Menschen von heute als einen in einer neuen, gereinigteren Zeit lebenden bewegen und bedrängen. (8.) Vorweg steht die Verfassung des deutschen ^Reichs als das Buch und Gesetz, das neben den Rechten des Staats auch die »Grundrechte und Grundpflichten des Deutschen» enthält. Diese zu wissen, diesen nachzuhandcln wird das Vorrecht des Gebildeten sein. Aber seltsam genug: Wer kennt sie? »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste«. — -Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche Pflicht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert». Ehren wir eine Verfassung, die solches enthalten darf; — auch sie ist mehr als ein Buch. (9.) Ein Reisetagebuch, damit wir der weiten Welt nicht vergossen, folgt; nicht als Kunstwerk des Stils und des Ausdrucks, nicht um des Philosophen willen, sondern als ein großes Mensch liches Dokument, als der eigentlich seelische Roman des Deutschen unserer Zeit: jener ewig faustischen Natur, die mit sich, mit ihrer Seele, mit ihrer Religion nicht fertig wird und, all« Grenzen durchbrechend, das Fremde in sich hineinreiht, die ganze Erde nach dem inneren Gewicht und Gleichgewicht abfucht, die ihr fehlen. Wunderbares, unfreiwilligstes Geständnis! Belehrend, bildend und deutsch. Diese, die jüngere Zeit hat keinen größeren Roman. (Iv.) Doch ist dies nicht der erste, erschauernde Ausdruck eines Neubeginns. Diesen suchend stehen wir unmittelbar vor dem großen Drama unserer Zeit. Das Elementare des losgelösten Geschlechts wird frei, das die Welt der alten Tage nicht mehr kennt. Hier ist Schrei; denn aller erster Ausdruck Ist Schrei. Schrei der Geburt! Schrei des Geborenen! — Wer heute leben will, muß diesen Klang einmal vernommen haben. Di« Tragödie des »Geschlechts» ist der finstre und trächtige Urgrund zum Men schen, zu uns, zu dem entsagungsvollen Helden unserer Zeit, Die Furchen sind aufgerissen, das Erdreich umgepflügt. Auf diesem gereinigten Forum wird unsere Sache verhandelt: der Mensch. (il.) Das größte Erlebnis unseres Volkes selbst ober, das bitterste und tiefste, wir können es nicht von unseren Lidern ob wischen wie eine Müdigkeit und den Krieg abtun wie das Miß geschick eines Tages. Ein unverfälschtes Zeugnis erklingt: Die Stimme des in das »vieltausendsträhnige Schicksal» des Volkes, der Völker verstrickten Menschen, die einzige — leider — von Klang und dichterischem Rang, die Stimme, der der innere Gott und nicht eine Absicht Ausdruck verlieh. Vielleicht wissen andere ein besseres Buch. Ich setze das Buch »Aus dem Kriege» hierher nicht aus Vorliebe, sondern aus Not, weil ich kein besseres weiß. 498 Werke über Kunst entfallen. Die bildende Kunst ist Sache der Anschauung, nicht des Worts; und die Reproduktion im Buche wird dem Gebildeten nicht genügen. (12.) Noch aber fehlt das Gedicht. Denn ein Gedicht ist ein Inbegriff. Die Welt ist in ihm begriffen: die Welt der Seele. Ein Gedichtwerk der erhabensten Stimme, die unter uns lebt, darf nicht fehlen. Und wenn es nur »meines Gedichtes willen wäre, das uns, unerbittlich zwar und doch voller Tröstung, gemahnt, Erloschenes nicht neu entfachen zu wollen: Ihr tratet zu dem Herde Wo alle Glut erstarb. Licht war nur auf der Erde Vom Monde — leichenfarb. Ihr tauchtet in die Aschen Die bleichen Finger ein Mit Suchen, Tasten, Haschen — Wird es noch einmal Schein? — Seht, was mit Trostgebäriw Der Mond euch rät: Tretet weg vom Herde. Es ist worden spät. Kennwort: Echnaton. vr. Max Schumann, Leipzig. Wir sprechen vom Zeitgeist, ohne uns seiner ungeheuren Macht auch nur annähernd bewußt zu sein; auch wenn wir zugeben, daß Ideen in der Luft liegen, ahnen wir ihr« ungemein infizierende Macht nicht. Der natürlich« Mensch ist aber für das, was in der Lust liegt, viel empfänglicher als der Intellektuelle, der sich ihm aufdrängendc Ideen kritisch zu verarbeiten gewohnt ist und aus seiner Urteilskraft heraus meint, Getstcsströmungcn, oder sagen wir: Entwicklungstendenzen des menschlichen Geistes — nicht min der auch der menschlichen Seele, und zwar als Kollektivbegrifs — lenken und bestimmen zu können. Grundlegender Irrtum, aus dem sich allein schon die Unbercchcnbarkeit jeder GcschmackStendcnz, jedes Stils, jedes »ismus» erklärtl Wenn man bedenkt, daß es auch unter den Wissenschaftlern Künstler gibt — man denke nur an Goethe und seine morphologischen Schriften —, so kann man sagen: der Künstler allein, soweit er intuitiv schafft, d. h. sich von seinem überpcrsönlichen Innern leiten läßt, vermag zum Werk zeug einer außerhalb der Menschheit aktiv wirkenden geistigen Ten denz zu werden, er ahnt sie und wirk! darum, ob er will oder nicht, in ihrer Richtung; wir sagen dann: er war seiner Zeit um so viel voraus. Unter unzähligen nur ein Beispiel: Hölderlin. Will Man NUN aus dem reichen Schatz unserer Literatur 12 Bücher nennen, die in die Hausbücherei jedes Gebildeten gehören, so kann es sich nur UM solche handeln, die gewissermaßen überzeitlich sind, die also von der Gegenwart aus in die Zukunft unserer Gcistes- kiitwicklung weisen. Ein Buch kann in einem bestimmten Augenblick des Lebens bestimmend aus «inen Menschen «inwirken und somit den Anstoß geben für die weitere Richtung dieses Lebensablaufes; dann hat es mit dieser einmaligen Bekanntschaft seine Mission für diesen Menschen erfüllt. Ein Buch kann aber auch ein Samenkorn in ein« Menschenseelö legen, das erst nach einer gewissen Zeit aufgeht. Wie 'der Same wächst, wird der Mensch sich entwickeln, und das Buch, das ihm entscheidend wurde, ohne daß er sich dessen bewußt war, wird ihm dann zum Begleiter durch das Leben. Er wird es wieder und wieder lesen, und jedesmal wird er dann, seiner fortgeschrittenen Entwicklung entsprechend, Neues aus ihm schöpfen, Und es selbst wird ihm auch immer wieder neu sein. Von loschen Büchern soll hier die Rede sein. Was uns vor allem nottut, ist di« religiös« Erneuerung, nicht im Sinne einer Moral, sondern in jenem höchsten Sinne von Reli gion, der uns Abendländern ganz abhanden gekommen ist, religiöse Erneuerung von innen heraus also, die das wahrhaft Göttliche im Menschen wieder in seine Recht« «insetzt. Und darum sei zuerst genannt Wilhelm Raabes »Abu Telfan». Gottesluft weht durch das Erlebnis eines Menschenschicksals, das erlebt wird ohne Ichsucht und Rechthaberei, einfach aus verstehendem Herzen. Bei keinem Dichter findet man dieses sein«, humorvolle Verstehen für die menschlichen Schwächen anderer, das wir uns aneignen müssen, wenn wir zur wahren Volksgemeinschaft heranwachsen wollen. Die Einsicht, daß der Taugenichts immer noch besser ist als di« Leute, di« sich überhaupt nicht entwickeln, sondern ewig bleibekt, wie sie find, die ihren Erbentag nicht nützen, nur um das eigene Ich besorgt, verhärteten Herzens, Larven, bedeutet Selbst einkehr, di« Vorbedingung jeglichen Höherstrebens.
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