Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 11.08.1927
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1927-08-11
- Erscheinungsdatum
- 11.08.1927
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19270811
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-192708116
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19270811
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1927
- Monat1927-08
- Tag1927-08-11
- Monat1927-08
- Jahr1927
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
X- 186, ll. August 1927. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Öffentlichkeit jenes berufliche Erlebnis, das mich veranlaßte, diese Schrift zu verfassen: Den Kunstmaler Otto Dix kannte ich aus jenem erschüttern den Gemälde des Stacheldrahtzaunes, an dein zerschossene Mon turstücke und blutige Teile zerfetzter Menschenleiber hängen, von strahlendem Sonnenglanz wie zum Hohne vergoldet!: eine aus den Spuren Wereschtschagins wandelnde furchtbare Mahnung und Absage gegen jede Wiederholung eines Krieges! — Dix hatte nunmehr folgendes Bild gemalt: eine durch Laster und Krankheit offensichtlich ausgemergelte, reizlose Dirne schminkt und schmückt sich für ihren Erwerbsgang, um Männer durch vorgetäuscht« Reize anzulocken und vermutlich sicherem gesundheitlichen Ver derb zu überliefern. —- Dieses Gemälde war mit aller Raffinesse und vollendeter Kunstfertigkeit ausgesührt. Die Tendenz war für jeden, der Augen zu sehen und Vernunft zu denken hatte, unver kennbar: Otto Dix schrie auch hier in moralischem Entsetzen laut auf und predigte in bitterernster, eindringlichster Sprache seine Warnung vor ekler, käuflicher Liebe; wie es im Fiesko heißt: »Hgben Sie Lust, Ihr Herz in eine Pfütze zu werfen?- - Vor der Strafkammer erklärte nunmehr der Künstler selbst die in die Augen springende hochmoralische Tendenz des Kunstwerks, das aus jeden nur halbwegs gebildeten Beschauer ohnehin niemals unzüchtig, sondern (in Bezug auf sexuelles Empfinden) nur ekel erregend wirken konnte. Professor Slevogt, als Sachverständiger gehört, erklärte jenes Gemälde für ein vollendetes Kunstwerk. — Dennoch beantragte der Staatsanwalt Beschlagnahme des Bildes als eines unzüchtigen Kunstwerks und Bestrafung des Malers Dix wegen seiner Verbreitung. Wie war das möglich? Der Staats anwalt fußte eben auf der von den Professoren,v. Liszt, Binding, von vr. Alsberg und mir nachdrücklich angegriffenen Rechtspre chung des Reichsgerichts. Das Reichsgericht spielt Verstecken und erklärt, «in Kunstwerk in des Wortes höchster Bedeutung könne niemals unzüchtig sein, wohl aber jedes andere Kunstwerk. Um bestrafen zu können, muß also der Richter jedem Künstler zunächst den Makel anheften, sein Kunstwerk sei nicht ein solches in des Wortes höchster Bedeutung. Das Rezept für diese »höchste Be deutung- bleibt das Reichsgericht schuldig. Mit Recht (wie ich in meiner Schrift Nachweise): es gibt nämlich keins. — Ein ge bildeter Beschauer, der die Tendenz des Bildes sofort durchschaut, findet dasselbe aber doch gar nicht unzüchtig? »Tut nichts-, sagt das Reichsgericht, »der Jude wird verbrannt!- Das Reichsge richt unterscheidet nämlich von diesem Empfinden des allzu Ge bildeten das »Normalempfinden auf mittlerer Linie-; dieses allein solle entscheiden über die Frage, ob das Bild auf den Be schauer unzüchtig wirke. Vorliegend würde also etwa vielleicht ein Chauffeur, ein Budikenwirt oder dergl. vom Richter zu be fragen gewesen sein. Was von dem Dixschen Bilde gilt (dessen Straflosigkeit die Strafkammer aussprach), gilt natürlich auch von jedem literarischen Erzeugnis. Ich habe die These auf gestellt: es gibt keinen Unterschied zwischen Kunstwerken an sich und Kunstwerken in des Wortes höchster Bedeutung. Ein Kunst werk, habe ich behauptet, kann niemals unzüchtig sein. Das Normalempfinden mittlerer Linie ist ein unbrauchbarer Kaut- schukbegrisf, diese ganze Rechtsprechung des Reichsgerichts ist ver altet, widerspricht dem »Normalempsinden- weitester Bolkskreise und muß beseitigt werden. — Herr vr. Hellwig mag mich doch offen angreifen und zu widerlegen suchen. Die von vr. Hellwig erwähnten (sämtlich begeistert zustim- mcnden) Äußerungen namhafter Schriftsteller habe ich selbst ihm mitgeteilt. Solche liegen mir u. a. vor von Ludwig Fulda, Her mann Hesse, Arno Holz, Thomas und Heinrich Mann, Freiherrn von Gleichen-Rußwurm, Geheimrat Muthesius, Wilhelm von Scholz, Professor Max Liebermann, Stefan Zweig, Walter von Molo, Gerhart Hauptmann. — Die Äußerung von Thomas Mann (aus der Herr vr. Hellwig nur einen Satz mitteilt) lautet wie folgt: »Es ist erstaunlich, welchen Täuschungen selbst ge scheite Männer wie der Abgeordnete Theodor Heuß, der mir neulich darüber schrieb, sich über den Sinn des Gesetzes (so. des Schund- und Schmutzgesetzes) und die damit verbundenen Ge fahren hingeben. Ihre kluge und gründliche Schrift hat mich diese Gefahren wieder recht deutlich erkennen lassen und mich in meiner Stellungnahme bekräst-. SS2 Der Amerikanische Buchhandel unter strenger Zensur. Von Egon E i se n h au e r-New Nork. Der von den »Pilgervätern- von England nach Amerika über tragene Puritanismus, der bereits die Vereinigten Staaten mit Hilfe einer durch den Weltkrieg erzeugten, jetzt allgemein bedauerten Hysterie mit der Prohibition beschert und das amerikanische Volk in das Joch zwangsweiser Enthaltsamkeit von allen die Lebens freude anregenden Getränken gespannt hat, droht jetzt auch die amerikanische Literatur und den Buchhandel des Landes in Kesseln zu schlagen. Bis jetzt sind die hauptsächlichen Verlustträger die Buchhändler von Boston, der Hauptstadt der New England-Staaten, die sllr sich den Rang der amerikanischen Metropole der Intelligenz in Anspruch nimmt. Doch bas polizeiliche Vorgehen, das in den letzten Monaten von den Verkaufstischen der Bostoner Buchhändler die fesselndsten Werke der bekanntesten amerikanischen und auch eng lischer Autoren schöngeistiger Literatur hinweggesegt hat, beginnt bereits den ganzen amerikanischen Buchhandel mit einer willkür lichen behördlichen Zensur zu bedrohen. Diesen von behördlicher Seite dem Vertriebe moderner Literatur neuerdings bereiteten Schwie rigkeiten liegt der hierzulande übliche Amtseifer zu einer verant wortlichen Stellung gelangter Politiker zugrunde, die sich damit an maßgebender Stelle sür wettere Befriedigung ihres politischen Ehr geizes in Empfehlung bringen wollen. Dazu kommt dann die dem amerikanischen Charakter entsprechende llderhebung und Sucht, die eigene Meinung als maßgebend der übrigen Mitwelt auszunötigen. Ein solch übereifriger Beamter ist im vorliegenden Falle der össent- llche Ankläger von Boston, Distrtktsanwalt Foley, der ein ver altetes Gesetz, das vordem wegen seiner Undurchsllhrbarkeit in ver ständiger Weise gehandhabt worden war, in rücksichtsloser Weise durchznführen sucht. Es handelt sich um ein im Jahre 18M von der Legislatur des Staates Massachusetts angenommenes Gesetz, das den Verlaus von Büchern verbietet »mit obszöner, unanständiger und unreiner Sprache, oder solcher, welche die Moral der Jugend gefährden können (oontalning odsoene, inckeeant or lmpurs kanguage or tsucking to corrupt tke moral.- ok xoutbj«. In Boston hatte mit Rücksicht aus die Gefahr, die dem legitimen Handel von dem Gesetz drohte, seit dessen Inkrafttreten bis noch vor kurzem zwischen den Buchhändlern und der Gerichtsbehörde ein Einver ständnis geherrscht, das beide Seiten bisher befriedigt hatte. Wie in New Aork, so besteht auch in Boston eine Anti-Lastergesellschast, die sich die Verhütung und Bekämpfung von Verbrechen aller Art zur Ausgabe macht. Auch die Durchführung des Schmutzliteratur- Gesetzes fällt in ihr Bereich, und sie wurde sowohl vom Handel wie auch von der Behörde als Schiedsrichter anerkannt. Nach der sich jahrzehntelang bewährenden Abmachung wurde jedes Buch, das zu Beschwerden Anlaß gab oder Beanstandung be fürchten ließ, einem gemeinsamen Schiedsgericht zur Beurteilung übergebe». Dieser Jury gehörten drei Mitglieder der betressen den Gesellschaft und drei Vertreter des Bostoner Buchhandels an, mit Richard R. Kuller, dem Inhaber der ältesten Buchhandlung da selbst, des OIck Lorner Look Store, an der Spitze. Wenn dieses Schiedsgericht der einstimmigen Meinung war, daß der Vertrieb des Buches Beschwerden und daraufhin gerichtliches Vorgehen gegen den Verkäufer veranlassen könnte, so wurde der Buchhandel von dem Befunde verständigt und ihm achtundvierzig Stunden Zeit gegeben, das Buch aus dem Verkehr zu ziehen. Konnten sich die beiden Parteien nicht einigen, so wurde das zweiselerregende Buch einem Munizipalrichter unterbreitet, dessen Meinung dann über Anstößigkeit oder Nichtanstößigkeit den Ausschlag gab und von beiden Setten akzeptiert wurde. Dieses Verfahren hatte den großen Vor zug, baß dadurch jede Publizität vermieden wurde, da nichts darüber in die Zeitungen gelangte, daher dem betressenden Buche keine kosten freie willkommene Reklame zuteil und die lüsterne Neugier des Leserpublikums dadurch nicht erregt wurde. In einigen Fällen wurde das mit dem Bann belegte Buch doch unter der Hand zu entsprechend erhöhtem Preise verkauft, doch da die Gerichte diese Bücherjury anerkannten, so wurde dieser mockus vivencki allseitig als befriedigend angesehen. Am meisten waren die Bostoner Buch händler damit zufrieden, denn sie sind gesetzlicbende Bürger, und der Erfolg ihres Geschäfts hängt von friedlichen und gesicherten Verhält nissen ab- Der Urheber des Planes war I. Frank Chase, ein früherer Prediger, der Sekretär der sich »Makel» an<l VVartt Sooietx« nennen den Gesellschaft. Doch leider ist der Genannte vor einigen Monaten gestorben, und seitdem befinden sich die Bostoner Buchhändler, wie man hier sagt, »in heißem Wasser-. Di« durch das Ableben des Genannten geschaffene Situation hat dadurch ihren Höhepunkt erreicht, daß der oben genannte Distrikts anwalt die bisherig« Abmachung für beendet erklärt und auf sein
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder